Digitalisierung könnte dabei helfen, dass Bäcker ihre nächtliche Arbeit in der Backstube etwas später beginnen können. Foto: dpa

Durch eine bessere Beratung soll die starke Abwanderung in die Fabriken bekämpft werden. Das Südwest-Handwerk und Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut kündigen ein umfangreiches Programm an.

Stuttgart - Das Handwerk kann nur die allerwenigsten Beschäftigten halten, die dort ausgebildet wurden. Durch eine ganze Reihe von Maßnahmen unter dem Titel „Handwerk 2025“ wollen der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) deshalb die Bindung an die Betriebe stärken. Gerade in Zeiten einer guten Konjunktur im Handwerk müssten die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt werden, sagte Hoffmeister-Kraut.

Bundesweit wanderten im Laufe ihres Berufslebens zwei Drittel aller Beschäftigten aus dem Handwerk ab, die dort einmal ausgebildet worden seien, sagte die Wirtschaftsministerin. Nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers des Baden-Württembergischen Handwerkstags, Oskar Vogel, dürfte diese Quote im Südwesten wegen seiner vielen attraktiven Industrieunternehmen sogar noch höher liegen.

Personalberatung wird ausgebaut

Bei dem neuen Programm gehe es erstmals nicht darum, neue Mitarbeiter zu finden ,sondern die bereits Beschäftigten in den Handwerksbetrieben zu halten, sagte Vogel. Im Rahmen einer „Personaloffensive“ würden an jeder der acht Handwerkskammern im Lande Personalberatungsstellen eingerichtet, die mit einer Person besetzt seien, kündigte Hoffmeister- Kraut an. Diese Personalberater sollen noch in diesem Herbst mit ihrer Arbeit beginnen. Vom Wirtschaftsministerium werden diese Stellen zunächst bis zum Jahr 2019 mit 2,2 Millionen Euro gefördert. Zudem soll eine digitale Beratungsplattform zum Thema Personal aufgebaut werden. Kurzzeitige Personalberatungen sind kostenlos, für ein längerfristiges Coaching werden 350 Euro pro Tag verlangt.

Die Beratung in Personalangelegenheiten wird nach Meinung von Vogel nicht nur wichtiger, weil sich der Fachkräftemangel verschärfen dürfte. Die Schere bei der Größe der Handwerksbetriebe geht seiner Ansicht nach in Zukunft immer weiter auseinander. Die Mitte werde schwächer werden, kleine Betriebe blieben, aber der Trend zu einer steigenden Beschäftigtenzahl sei unverkennbar. „Wenn ein Betrieb dann 50 oder 100 Beschäftigte hat, muss eine zweite Ebene in der Geschäftsführung eingezogen werden, außerdem muss der Inhaber immer mehr Aufgaben delegieren“, sagte Vogel. Um sich auf diese Entwicklung vorzubereiten, bräuchten die Handwerker schon jetzt verstärkte Beratung in personellen Angelegenheiten.

Viele wandern nach der Ausbildung ab

Vor allem drei „Wellen“ hat der Hauptgeschäftsführer bei der Abwanderung ausgemacht: „Das ist nach dem Abschluss der Lehre, in der Phase von Familiengründung und Häuslebauen und wenn die Beschäftigten etwas über 50 Jahre alt sind und sich die Frage stellen, ob ihr Handwerksberuf nicht zu einem gesundheitlichen Risiko führt“. Löhne wie in der Industrie könne das Handwerk zwar „nicht zahlen“, aber die Einstiegsgehälter seien etwa bei einem Handwerksmeister nicht geringer als bei einem Sozialwissenschaftler.

Auch die Digitalisierung kann nach Meinung von Vogel helfen, das Handwerk attraktiver zu machen. So könnten etwa Geräte so eingestellt werden, dass ein Bäcker nicht schon nachts um zwei Uhr, sondern erst zwei Stunden später in der Backstube erscheinen müsse.

Digital-Werkstatt für Esslingen

Zu den Maßnahmen von Handwerkstag und Landesregierung gehört auch eine bessere Vorbereitung auf die Digitalisierung im Handwerk. Dazu soll zunächst in Esslingen eine Digital-Werkstatt eingerichtet werden. Nach den Worten der Ministerin sollen sich Auszubildende dort nicht nur über die Arbeit automatisierter Anlagen informieren, sondern auch selbst an diesen tätig werden können. Unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ gibt es landesweit bereits mehr als ein Dutzend ähnlicher Anlagen.

Südwesten hat bundesweite Vorreiterrolle

Ein dritter Bestandteil der Maßnahmen unter dem Thema „Handwerk 2025“ ist eine sogenannte Strategieoffensive. Dabei geht es nach Angaben von Hoffmeister-Kraut darum, die Handwerker bei der zu erwartenden Veränderung von Märkten und Geschäftsmodellen zu beraten. Dazu soll beim Handwerkstag eine Stabsstelle eingerichtet werden. Die Strategiemaßnahmen werden vom Wirtschaftsministerium ebenfalls mit 2,2 Millionen Euro gefördert. Bei ihrem Programm wollen Handwerkstag und Ministerium nicht warten bis Anfragen kommen, sondern „aktiv auf die Betriebe zugehen“, wie Hoffmeister-Kraut sagte. „Bisher war unsere Beratung oft erst gefragt, wenn es gebrannt hat, jetzt wollen wir vorbeugend beraten“, erklärte Vogel. Mit der geplanten Breite des Programms habe Baden-Württemberg bundesweit eine Vorreiterrolle, so die Ministerin.