Teresa Annina Korfmacher auf der Bühne des Kammertheaters in Stuttgart Foto: Björn Klein

Muss sich der Mensch vor den neuen Maschinen fürchten? Das Schauspiel des Staatstheaters Stuttgart denkt darüber nach im „Innovationslabor Zukunft“.

Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Das fragte bereits im Jahr 1968 Philip K. Dick, bis heute wohl einer der bekanntesten Visionäre der modernen Science-Fiction-Literatur. Lange konnte der Mensch nur mutmaßen, zu welchen Gedanken Computer und Roboter fähig sind. Inzwischen ist die Wissenschaft im Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz und des Maschinellen Lernens der Antwort ein erhebliches Stück näher gekommen, wie die Auftaktveranstaltungen zum ersten Innovationslabor Zukunft im Stuttgarter Kammertheater am Mittwoch gezeigt haben. Bis einschließlich Sonntag setzen sich dort Kunstschaffende und Forschende in Präsentationen, Vorträgen und Workshops mit den Chancen und Gefahren Künstlicher Intelligenz im Anwendungsbereich von Wissenschaft und Kultur auseinander.

 

Ein Gesicht mit Krone schreit

Träume von elektrischen Schafen, die über Hürden hüpfen, wären wohl viel zu banal für jene Wesenheiten, vermittelt der Jazzpianist Roberto Di Gioia im Rahmen einer kurzen Musikpräsentation. Di Gioias künstlich intelligenter Spielpartner hat jedenfalls ganz andere Bilder in petto, nachdem er mit ein paar Keywords zum Thema „Hamlet“ gefüttert worden ist. Während di Gioia am präparierten Klavier zu spielen beginnt, wirft die KI Bilder von bizarrer, teils beängstigender Schönheit auf eine aufgestellte Leinwand. Eine weiße Burg schimmert auf dem Screen, schwebend über einem roten See, der nach unten hin austropft in eine menschliche Figur. Eine Tänzerin erscheint mit seltsam verdrehtem Körper. Der Kopf schaut nach hinten, der Torso sitzt merkwürdig verrenkt auf der Hüfte, die Füße trippeln auf permanent morphendem Untergrund. Ein Mann kämpft mit schlangenartig gewundenen Wurzeln, die ihn allmählich überwuchern. Ein anderes männliches Gesicht mit Krone steckt in einem Steinblock und schreit.

Die Szenen formen keine herkömmliche Erzählung, am ehesten funktionieren sie nach einer Albtraumlogik, die Motiv auf Motiv schichtet, ohne sinnfällige Verknüpfung. Die Ästhetik wirkt dagegen vertraut, aus Filmen und Bildern bekannter Maler wie des Schweizers HR Giger, der unter anderem für die „Alien“-Filmreihe das titelgebende martialisch knöcherne Monster entwarf. Einmal spuckt die KI eine Impression aus David Lynchs Serie „Twin Peaks“ aus; das mit schwarz-rotem Fischgrätmuster ausgelegte Jenseits der ermordeten Schönheitskönigin Laura Palmer. Wirklich eigenständig träumt die Maschine also nie, erkennt man, sie muss immer auf etwas bereits Bestehendes, von Menschen Erschaffenes zurück greifen. Ob diese Leistung wirklich kreativ genannt werden kann oder eben doch bloß als zufällig verketteter, surreal schöner Nonsens Wirkung entfaltet, ist schwer zu sagen.

Der Computer kann keine Schachfigur ziehen

Inwiefern KI intelligent und damit auch in gewisser Weise kreativ ist, versucht der Informatiker Bernhard Schölkopf, Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, in einem Vortrag zu erhellen. In knapp fünfzig Minuten galoppiert der Wissenschaftler durch die unvorstellbar komplexen Anwendungsfelder des Maschinellen Lernens.

Intelligenz lässt sich sehr unterschiedlich definieren, erläutert Schölkopf und zeigt Bilder eines Bakteriums, eines Frosches, eines Chores beim Singen sowie einer Gruppe, die einen waghalsigen Parcours mit Sprüngen über Hausdächer absolviert. „Wenn es um Intelligenz geht, geht es nur ums Lernen“, stellt er eine erste These auf, und beschreibt die Probleme von Maschinen, gewisse Fähigkeiten zu entwickeln, die für den Menschen selbstverständlich sind. Zwar habe der Schachchampion Garry Kasparov gegen den Computer Deep Blue 1997 verloren, Deep Blue habe aber einen Menschen gebraucht, der die Figuren auf dem Brett sehen und die vom Computer errechneten Züge händisch ausführen konnte.

Für die KI fehlte ein kleines Detail

Auch im Anwendungsbereich der Medizin täten sich die Künstlichen Intelligenzen schwer, erklärt Schölkopf anhand von Röntgenbildern eines Pneumothorax. Man habe die KI immer wieder an Aufnahmen diagnostizierter Patienten geschult, bei Verdachtsfällen ohne Diagnose scheiterte die KI aber, weil auf den Röntgenbildern ein winziges Detail fehlte, das bei bereits diagnostizierten Patienten immer zu finden gewesen war: ein von Medizinern nach Diagnose gelegter Drainage-Schlauch.

In der Muster-Erkennung und Simulation sei die KI aber gut. Sie könne etwa die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher darstellen und errechnete Phänomene im All simulieren. Es gehe nicht darum, ob und wie intelligent die KI sei, sondern um die Frage, wie klug der Mensch mit ihr umgehe, um das Beste aus ihr zu machen.

Die KI hat Humor

Wer von Schölkopfs Ausführungen noch nicht genug Input erhalten hat, konnte an diesem Abend noch zwei spannende künstlerische Interventionen erleben. Die berühmte katalanische Performance-Gruppe la Fura dels Baus hat eine interaktive Gerichtsverhandlung entwickelt, in der das Publikum als Anwender der App Kaliope Recht sprechen muss – und dabei von KI manipuliert wird. Hervorragend gelungen ist auch Wilke Weermanns mit Hilfe einer KI entwickelte Kafka-Neudichtung „Die Verwandlung des Gregor Samsung“, die so humorvoll wie kritisch untersucht, wie postdramatisches Theater der Zukunft aussehen könnte – wenn die KI die Regie übernimmt.

Das kommende Programm

Festival
 Den Workshop der katalanischen Kompanie Fundacion Epica La fura dels Baus gab es nur am Mittwoch und Donnerstag zu sehen; Wilke Weermanns Kafka-Version „Die Verwandlung des Gregor Samsung“ kann man nachholen (Sa., 31.05., 20.30 Uhr).

Freitag
Studierende der Hochschule der Medien präsentieren ihr Projekt „Weltenspringer“ (16.30 Uhr, Kammertheater), in der mit Motion-Capture-Technologie digitale Avatare zum Leben erweckt werden. Nach einem Gespräch zum Thema „Fördert KI die Bildung?“ ( 18.30 Uhr, Foyer Kammer) beleuchtet Alessa Bollack in „Kostja“ nach Motiven von Anton Tschechows Drama „Die Möwe“ den Themenkomplex Sterben, Trauer und Gedenken im digitalen Zeitalter – wiederum im Kammertheater.

Samstag
Experten sprechen über „Wie man KI in Kunst und Kultur nutzt“ (Kammertheater, 16 Uhr); die bekannte Künstlergruppe Rimini Protokoll lässt in „Uncanny Valley/Unheimliches Tal“ das Double des Schriftstellers Thomas Melle auftreten (Treffpunkt ist am Infopoint, 18.15 und 20.45 Uhr).

Das gesamte Programm
unter
www.schauspiel-stuttgart.de