Wie sieht die Zukunft aus? Foto: Daimler-Future Innovations/Realisierung XOIO

Der Risikoforscher Ortwin Renn erkundet viele Aspekte unserer Zukunft, damit wir weniger Angst haben müssen. Die Zeit für Science Fiction findet er auch.

Stuttgart - Der Risikoforscher Ortwin Renn erklärt, warum der technische Fortschritt manchen Menschen Angst macht. Dass Science-Fiction-Autoren die besten Zukunftsprognosen erstellen, hält der Potsdamer Wissenschaftler für einen Mythos.

Herr Renn, in der Kommunikation, im Verkehr oder der Medizin profitieren viele Menschen vom technischen Fortschritt. Dennoch gibt es in Teilen der Bevölkerung eine große Technikskepsis. Wie passt das zusammen?
Die positiven Wirkungen der Technik nehmen wir als selbstverständlich wahr. Gleichzeitig empfinden wir mögliche Gefahren viel stärker als früher, vor allem wenn sie plötzlich eintreten oder auch nur als neu kommuniziert werden. Wenn irgendwo etwas Schlimmes passiert, wird sofort darüber berichtet. So entsteht der Eindruck, dass die Welt gefährlicher wird, dass Technologien immer riskanter werden und potenziell verheerende Konsequenzen haben. Tatsächlich leben die Menschen in den Industrieländern sicherer als je zuvor.
Woran machen Sie das fest?
In Deutschland werden Männer heute im Durchschnitt 79 und Frauen 82 Jahre alt. Das ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Existenzielle Bedrohungen wie große Unfälle oder verheerende Naturkatastrophen sind in Deutschland weitgehend verschwunden. Auf der anderen Seite haben die Menschen dadurch Zeit, sich mit Risiken zu beschäftigen, die teilweise weit hergeholt sind. Man sollte Umweltgifte oder Feinstaub nicht verharmlosen. Aber viele Dinge, um die wir uns heute sorgen, bergen im Vergleich zu früheren Zeiten nur relativ geringe Gefahren.
Stimmt das Vorurteil, dass die Deutschen besonders skeptisch gegenüber neuen Technologien sind?
Generell würde ich das nicht sagen. Bei der Konsum- und Alltagstechnik – etwa bei Hausgeräten, Computern oder Autos – gibt es in Deutschland keine Akzeptanzprobleme. Die Deutschen geben dafür mehr Geld aus als für Nahrungsmittel. Auch dem technischen Fortschritt in der Arbeitswelt stehen viele positiv gegenüber. Natürlich gibt es auch die Angst vor Arbeitsplatzverlusten, doch die ist in vielen anderen Ländern größer. Kritisch gesehen werden vor allem externe Großtechnologien. Viele fragen sich: Wenn ich sonst kaum Risiken habe, wieso soll ich dann eine Verbrennungsanlage oder ein Windrad in meiner Nachbarschaft hinnehmen? Auch die Kernkraft macht vielen nach wie vor Angst.
Neben der Technikskepsis gibt es auch eine naive Technikbegeisterung. Sie zeigt sich in Visionen zukünftiger Städte, in denen saubere, autonom fahrende Autos für jeden Fußgänger bremsen und Biosalat auf den Dächern wächst.
Sowohl die negativen als auch die positiven Visionen werden als Orientierungspunkte gebraucht. Sie zeigen: im besten Fall kann das passieren und im schlechtesten Fall das. Daraus ergibt sich dann der Auftrag an Politik und Wirtschaft, die Dinge so zu gestalten, dass wir eher in die positive Welt kommen, als in der negativen zu landen. Technik ist nun mal ambivalent. Sie wird nie nur positive Folgen haben, aber man kann absehbare negative Auswirkungen verhindern oder zumindest abmildern.
Die Dinge verändern sich immer schneller – auch durch die Digitalisierung. Macht das Prognosen schwieriger?
Nicht unbedingt. Es gab in jüngerer Zeit kaum Innovationen, die uns völlig überrascht haben. Das Moore’sche Gesetz, nach dem sich die Leistung integrierter Schaltungen alle zwei Jahre verdoppelt, ist 50 Jahre alt – und nach wie vor wirksam. Irgendwann landen wir eben bei optischen Computern oder Quantencomputern. Oder nehmen Sie die E-Mobilität. Wir haben schon vor zehn Jahren geschrieben, dass sich Elektroautos langfristig durchsetzen werden. Wir wissen nur nicht genau, wann es so weit ist. Es spricht aber vieles dafür, dass wir uns diesem Punkt nähern – durch größere Reichweiten und mehr Ladestationen.