Ahmed Baydur (l.) lässt die Kinder ausprobieren, wie eine Geige klingt. Foto: Leonie Schüler

Mit seiner Stiftung besucht Ahmet Baydur Kitas, um Kinder an klassische Musik heranzuführen. Er sucht dabei vor allem jene Kitas auf, wo viele Kinder aus sozial schwachen Familien angemeldet sind.

Weilimdorf - Ahmet Baydur streicht zart über die Saiten seiner Geige, ein schöner Ton erklingt. „Man muss dabei ganz vorsichtig sein, wie wenn man Butter aufs Brot schmiert. Wenn man zu stark drückt, dann klingt das wie Katzenklo“, sagt der Musiker und lässt seine Geige kratzen und knarzen. Elf Vorschulkinder der Tagesstätte Ludwigshafener Straße in Weilimdorf finden das saukomisch. Später zeigt ihnen Ahmet Baydur, wie unterschiedlich laute und leise, hohe und tiefe Töne klingen. Die Kinder dürfen die Geige selbst in die Hand nehmen, auf ihr zupfen oder mit einem Bogen aus Pferdehaar darüber streichen. „Toll macht ihr das“, ruft Ahmet Baydur.

350 000 Euro und viel Lebenszeit

Der 69-Jährige besucht zweimal im Jahr 16 städtische Kindertagesstätten, einige davon in Weilimdorf, Zuffenhausen und Stammheim. Er sucht dabei vor allem jene Kitas auf, wo viele Kinder aus sozial schwachen Familien angemeldet sind. Beim ersten Treffen zeigt er ihnen seine Geige und erklärt, wie ein Orchester funktioniert. Das andere Mal geht es um die Stimme und den Gesang. Anschließend dürfen die Kinder das Radio-Sinfonieorchester (RSO) und das Vokalensemble des SWR Stuttgart besuchen und bei einer Probe zuschauen.

Ahmet Baydur hat selbst 36 Jahre lang als Geiger im RSO gespielt. Als er 2007 in Ruhestand ging, suchte er nach einer Möglichkeit, mit dem Orchester in Kontakt zu bleiben und sich sozial zu engagieren. Bald gründete er zusammen mit seiner Frau die Baydur-Stiftung „Zukunfts-Musik“. 350 000 Euro seines privaten Vermögens und viel Lebenszeit hat er seither gestiftet, um anhand verschiedener Projekte Kindern klassische Musik näher zu bringen. „Wir erreichen mit den Mitteln der Musik die Seelen der Kinder“, ist er sich sicher. Das Jugendamt und die Jugendabteilung des SWR namens „Young Classix“ kooperieren mit der Stiftung.

„Musik ist für alle da“

Ahmet Baydur geht es um mehr als nur darum, künftige Konzertbesucher zu gewinnen. „Die Kinder sollen wissen, dass ein Orchester eine Gruppe ist, die zusammen etwas zustande bringt. Man muss aufeinander Rücksicht nehmen und aufeinander hören“, sagt der türkischstämmige Musiker. „Wenn alle zusammen spielen, dann entsteht ein Klang.“ Spielerisch sollen die Kinder, die sonst keinen Zugang zu klassischer Musik haben, die Scheu davor abbauen. „Viele denken, Klassik sei etwas für die obere Gesellschaftsschicht. Ich möchte zeigen: Musik ist für alle da.“

Jedes Mal, wenn eine Kita-Gruppe das Rundfunkorchester besucht, nimmt sich jeweils einer der rund 90 Musiker Zeit, den kleinen Gästen sein Instrument zu zeigen. Die Kinder seien dankbar, so Baydur, wenn sie die Zuwendung und Wertschätzung der Orchestermitglieder spüren.

Selbstbewusstsein durch Musik stärken

„Wer möchte mal reinblasen?“, fragt der Solo-Posaunist Andreas Keller die kleinen Besucher aus Weilimdorf. Erst trauen sich nur wenige Kinder, doch nach und nach stellen sich immer mehr in die Schlange, um der Posaune einen Ton zu entlocken. „Die Kinder sollen sehen, dass sie selber einen schönen Klang erzeugen können. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein“, sagt Baydur. Wird der Chor besucht, dürfen die Kinder sich mitten unter die Sänger setzen und gemeinsam mit ihnen den Kanon „Bruder Jakob“ singen. Der prächtige Klang des professionellen Gesangs umhüllt dann die kleinen Stimmen der Kinder, die aus Leibeskräften mitsingen. „Die Kinder sitzen inmitten von Weltklasse-Sängern“, schwärmt der Stiftungsgründer.

Wichtig ist Ahmet Baydur auch, den Kindern zu zeigen, wie international das Orchester ist. Musiker aus rund 30 verschiedenen Ländern spielen und harmonieren zusammen im RSO. „Klingende Integration“, nennt Baydur dies. „Musik ist eine Weltsprache. Auch wenn man die Sprache des anderen nicht versteht, kann man aus den gleichen Noten zusammen Musik machen.“ Gerade Kinder mit ausländischen Wurzeln sollten am Beispiel es Orchesters sehen, dass sie in ihrem Leben etwas erreichen können, wenn sie sich anstrengen.

Musik in die Wiege gelegt

Auch Ahmet Baydur hat sich angestrengt, um professionell Musik machen zu können – wenngleich sie ihm in die Wiege gelegt wurde. Und zwar im wahren Wortsinn: Als er drei Monate alt ist, kaufen ihm seine Eltern eine Geige und legen sie auf seine Wiege. Als sich zeigt, dass er musikalisches Talent hat, darf er parallel zur Schule das Konservatorium in Istanbul besuchen. Später studiert er an der Musikhochschule in Stuttgart Geige und wird bald beim RSO angestellt. „Ich habe den schönsten Beruf gehabt und ein sehr glückliches Berufsleben erfahren dürfen“, sagt der 69-Jährige. „Jetzt bin ich dran, was zurückzugeben an Kinder, die diese Chance nicht bekommen.“

Damit der Besuch im Rundfunk nicht schnell in Vergessenheit gerät, ist ein weiterer Baustein der Stiftung nachhaltig angelegt. Absolventen der Musikpädagogik besuchen die 16 ausgewählten Kitas über einen Zeitraum von 15 Wochen regelmäßig, um mit den Kindern zu singen, zu klatschen, zu tanzen. Zum Abschluss geben sie ein Konzert. Zusätzlich werden auch die Erzieherinnen weitergebildet, damit sie selbst verstärkt musikpädagogisch mit den Kindern arbeiten können. Im Jahr 2010 bekam Ahmet Baydur für sein Engagement vom Deutsch-Türkischen Forum Stuttgart den Manfred-Rommel-Preis verliehen.