Die Industrie 4.0 bedroht Arbeitsplätze und schafft an anderer Stelle neue. Eine aktuelle IAB-Studie untersucht, welche Regionen in Baden-Württemberg wie schwer betroffen seien könnten. Foto: dpa

In Baden-Württemberg ist die Gefahr besonders groß, dass Arbeitsplätze durch Computer oder Roboter ersetzt werden könnten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die erstmals auch regionale Auswirkungen der digitalen Vernetzung untersucht.

Stuttgart - Christian Rauch vergleicht die dritte mit der vierten „industriellen Revolution“: Vor etwa 25 Jahren habe die deutsche Wirtschaft mit der Automatisierung vor einer ähnlichen Herausforderung gestanden wie heute mit der Digitalisierung, erläutert der Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Baden-Württemberg. Damals seien ebenfalls schaurige Szenarien prophezeit worden, die sich teilweise auch bewahrheiten sollten: „Die Automatisierung hat in Deutschland in den neunziger Jahren zu Massenarbeitslosigkeit geführt, erst in den 15 Jahren danach wurden die Schäden repariert und es kam schließlich zum Beschäftigungswunder“, sagt Rauch. Das Industrieland Baden-Württemberg habe es schließlich geschafft, aus der Automatisierungstechnologie ein Geschäftsmodell zu machen, in dem es heute Weltmarktführer ist. Es seien unterm Strich viel mehr neue Arbeitsplätze geschaffen worden, als der Automatisierung zum Opfer fielen.

Dies, jedoch ohne die vorangehende Phase des Arbeitsplatzabbaus, könne als Blaupause für den nächsten großen Innovationsschritt dienen, vor dem die Wirtschaft mit der so genannten Industrie 4.0 – der intelligenten Vernetzung von Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkten – steht. Dass die Digitalisierung viele Branchen umkrempelt, steht außer Frage. In welcher Größenordnung dabei auch neue Jobs entstehen könnten, vermag momentan niemand verlässlich zu sagen. Welche Arbeitsplätze am stärksten gefährdet sind und welche Regionen im Land durch ihre jeweilige Wirtschaftsstruktur das höchste Substituierbarkeitspotenzial haben – also eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit, dass Computer oder computergesteuerte Maschinen menschliche Tätigkeiten ersetzen –, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Baden-Württemberg untersucht.

Südwesten stärker betroffen als andere Bundesländer

Die Studie, die am Donnerstag veröffentlicht wird, kommt zu folgendem Schluss: „Die fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt stellt Baden-Württemberg vor etwas größere Herausforderungen als die meisten anderen Bundesländer.“ Der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die in einem Beruf mit hohem Substituierbarkeitspotenzial (größer als 70 Prozent) arbeiten, liegt im Südwesten mit 17,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt (rund 15 Prozent). Nur die Bundesländer Thüringen (18,8) und Saarland (20,4) haben höhere Quoten. Als Grund dafür wird die spezifische Wirtschaftsstruktur am Standort Baden-Württemberg genannt. Das höchste Risiko tragen demnach Tätigkeiten im Helfer- und Fachkraftbereich von Fertigungsberufen, etwa im Maschinen- oder Fahrzeugbau.

Gleichzeitig heben die Studienmacher aber hervor, dass die Befürchtungen eines massiven Beschäftigungsabbaus im Zuge der Digitalisierung im Land derzeit unbegründet seien. Andere Untersuchungen aus den vergangenen Jahren errechneten dafür Werte von bis zu 60 Prozent.

Beim Vergleich der einzelnen Landkreise zeigen sich deutliche Unterschiede: In Städten wie Stuttgart, Heidelberg, Freiburg oder Karlsruhe weisen nur rund zehn Prozent der Jobs ein Substituierbarkeitspotenzial von 70 Prozent oder mehr aus. Die Quote in Kreisen wie Biberach, Rottweil, dem Enzkreis oder Tuttlingen liegen dagegen zwischen 26 und 32 Prozent. In der Studie wird dies auf den höheren Anteil von Dienstleistungsberufen in Stadtkreisen zurückgeführt. In der höheren Betroffenheit von ländlich geprägten Gebieten sieht Silke Hamann, eine der Autoren der Studie, auch ein höheres Potenzial: „Gelingt es den Unternehmen in den betroffenen Regionen, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen und ihre Mitarbeiter auf den neuesten Stand zu bringen, dann werden sie Entwicklungsvorteile haben.“

BA-Chef will regionalen Dialog in Gang setzen

BA-Regionalchef Rauch will die Ergebnisse dazu nutzen, einen Dialog in Gang zu setzen: „Es lohnt sich, vor Ort zu untersuchen, wo genau die Risiken liegen und was dagegen getan werden kann.“ Das könne etwa auf Ebene der zwölf regionalen Fachkräfteallianzen im Land oder in den Verwaltungsausschüssen der Agenturen für Arbeit geschehen, denen Vertreter von Kammern, Arbeitgeber, Gewerkschaften sowie die jeweiligen Landräte angehören.

Als ein typisches Gebiet, in dem mit erheblichen Auswirkungen auf die lokalen Beschäftigungsmärkte in vielen Regionen Baden-Württembergs zu rechnen ist, nennt Rauch die E-Mobilität: „Es gibt das Risiko, über Digitalisierung Beschäftigung zu verlieren, und ein sehr hohes Risiko, über den Ausbau der E-Mobilität Beschäftigung zu verlieren.“ In beiden Fällen seien ähnliche Arbeitsplätze bedroht: auf der Ebene der Geringqualifizierten und bei Facharbeitern. Im Wertschöpfungsprozess eines Elektroautos würden im Vergleich zur Fertigung eines benzin- oder dieselbetriebenen Fahrzeugs nur noch zwischen 30 und 40 Prozent der Beschäftigten benötigt. Sowohl die Autokonzerne als auch die Zulieferindustrie bis hin zu mittelständischen Betrieben müssten sich auf einen sinkenden Personalbedarf in nicht mehr benötigten Fertigungsbereichen einstellen.