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In Belgien stellt man sich die Frage: Sind Bauunternehmen verantwortlich für das Zugunglück?

Brüssel/Buizigen - Nur eine Frage, nur ein einziges Wort bewegt die Menschen in Belgien nach einer der schwersten Zugkatastrophen des Landes mit 18 Toten. Sie lautet: "Warum?" Warum verfügte einer der Unglückszüge nicht über die moderne Technik, die Züge automatisch stoppt, wenn sie ein Haltesignal überfahren? Warum tat die Bahngesellschaft SNCB nicht mehr nach dem schweren Unglück von 2001 in Pecrot bei Brüssel, als schon einmal ein Lokführer ein Rotlicht übersah und neun Menschen starben? Die Medien ziehen ihre Schlüsse und klagen an: Sparzwang und Schlamperei bei der Bahn hätten das Unglück ausgelöst. Nicht menschliches Versagen sei schuld, sondern das Versagen der Bahnunternehmen.

Das Unglück hat Belgien nicht nur in tiefe Trauer gestürzt, sondern auch in Wut: Wut auf die staatliche Bahngesellschaft SNCB und ihre Tochterfirma Infrabel, die für die Wartung und den Ausbau des Schienennetzes zuständig ist. Für Empörung sorgte ein Satz des Infrabel-Managers Luc Lallemand, der noch am Abend des Unglücks zugab: "Wenn der Zug mit dem automatischen Bremssystem ausgestattet gewesen wäre, hätte die Katastrophe verhindert werden können." Es klang wie ein Schuldeingeständnis.

Im Unglückszug fehlte moderne Technik. Die traurige Erkenntnis lautet: Am Unfallort im kleinen Ort Buizingen, wo auch Hochgeschwindigkeitszüge wie Eurostar und Thalys vorbeifahren, war die moderne Technik namens TBL1+ installiert. Sie zwingt Züge beim Überfahren eines Haltesignals zu einer Notbremsung. Doch einer der beiden Züge, ein älteres Modell, verfügte noch nicht über die notwendige Elektronik. Das Notsignal ging ins Leere. Der Zug rauschte mit hoher Geschwindigkeit weiter und prallte gegen die zweite Regionalbahn.

Milliarden von Bahn falsch investiert

Was in Nachbarländern wie Deutschland oder Frankreich längst zum Standard gehört, lässt in Belgien auf sich warten. Automatische Bremssysteme sind noch lange nicht überall installiert. Erst 2013 will die Staatsbahn SNCB alle Strecken und alle Züge in Belgien komplett ausrüsten.

"Die Entscheidung dafür haben wir 2005 getroffen, aber so etwas schafft man nicht auf einen Schlag", verteidigte sich Bahnvorstand Marc Descheemaecker. Nur wegen Versäumnissen europäischer Behörden habe man automatische Bremssysteme so langsam eingeführt. Diesen Vorwurf wies die EU-Kommission prompt zurück. In der Zwischenzeit riefen die belgischen Bahngewerkschaften die Lokführer zu einem ganztägigen Streik auf. Vor allem im Süden Belgiens kam es zu zahlreichen Ausfällen und Verzögerungen im Bahnverkehr. Die Eisenbahner werfen der belgischen Bahn vor, wegen Sparmaßnahmen Lokführer ständig zu überfordern. Viel zu viele Überstunden, Sieben-Tage-Woche und fehlende Pausen erschöpften sie. "Warum sollten Regionalzüge nicht ebenso wie Flugzeuge einen Fahrer und einen Copiloten haben?", schlug der Sprecher der Fahrgastvereinigung navette.be, Gianni Tabbone, vor.

Doch das Geld scheint der belgische Staat derzeit nicht zu haben. Allerdings klagen Experten, dass die Milliarden in den vergangenen Jahren einfach nur falsch investiert wurden. Mit großem Pomp renovierte die Bahn prestigeträchtige Bahnhöfe und baute Schnellstrecken aus - während das regionale Schienennetz veraltete.