Nicht nur die Alstom-Mitarbeiter haben Vorbehalte gegen die Fusionspläne. Foto: AFP

Alstom gilt noch heute als das Flaggschiff der französischen Industrie. Umso größer sind in Paris die Befürchtungen, der TGV-Hersteller werde von Siemens überrollt.

Paris - Die angekündigte Fusion der beiden ZugherstellerSiemens und Alstom trifft in Frankreich auf wenig Zuspruch. Der rechtsnationale Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan spricht gar von einem „massiven Betrug“, wobei er den französischen Staat“ im Visier hat oder genauer gesagt Präsident Emmanuel Macron, der laut Pariser Pressemeldungen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Hintergrund den Deal abgesegnet haben soll. Und dieser falle zuungunsten von Alstom und seiner Belegschaft aus, schimpfte der diesjährige Präsidentschaftskandidat Dupont-Aignan am Dienstag: Aller Voraussicht nach werde Siemens die Kapitalmehrheit halten; auch die allfällige Ausschüttung einer Sonderdividende, von der am Dienstag gerüchteweise die Rede war, solle den Beschäftigten lediglich Sand in die Augen streuen – während der Münchner Konzern die Kontrolle an sich reißen werde.

Der Ökonom Elie Cohen nennt die Fusion ohne große Begeisterung „unerlässlich“

Gewiss soll der Sitz des neuen Unternehmens in Paris sein und der Vorsitzende ein Franzose werden: der aktuelle Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge. Aber auch diese Zugeständnisse bestärken französische Kritiker nur: Damit werde der allein entscheidende Punkt kompensiert, dass in Zukunft Siemens das Sagen haben werde. Auch eine Jobgarantie auf vier Jahre gilt in Frankreich nicht gerade viel, seitdem sich der US-Konzern General Electric nach dem Kauf von Alstom-Energie schnöde darüber hinweggesetzt hatte.

Der Pariser Ökonom Elie Cohen begrüßt die Fusion ohne große Begeisterung als „unerlässlich“: Wenn die europäischen Zugshersteller ihre Kräfte nicht bündelten, dann würden sie über kurz oder lang von der aufstrebenden Konkurrenz aus Fernost überflügelt oder gar geschluckt, meint Cohen. Schon heute komme der chinesische Gigant CRRC auf 30 Milliarden Euro Umsatz – doppelt so viel, wie Siemens (7,8 Milliarden Euro) und Alstom (7,3 Milliarden) zusammen auf die Waage brächten. Erst kürzlich hätten die Chinesen die erste Eigenproduktion eines modernen Hochgeschwindigkeitszuges mit Internetanschluss und 400 km/h Reisegeschwindigkeit in Betrieb genommen – und das zu Stückpreisen, bei denen weder der deutsche ICE- noch der französische TGV-Hersteller mithalten könnte.

Am Aushängeschild der französischen Industrie ist der Lack seit Langem ab

Alstom, so der Tenor in Paris, habe schlicht keine Wahl. Am Aushängeschild der französischen Industrie und Ingenieurkunst ist der Lack seit Langem ab. Nach einer jahrelangen Durststrecke feierte der TGV vor einem Jahr endlich wieder einmal einen Verkaufserfolg im Ausland für die Strecke Boston-Washington. Ansonsten verkauft sich dieser feste Bestandteil des französischen Nationalstolzes nur noch an den französischen Staat, der aus Rücksicht auf die Arbeitsplätze systematisch bei Alstom bestellt.

Darin zeige sich auch das eigentliche – und sehr französische – Problem von Alstom, meint Elie Cohen: Der Konzern habe seit seiner Gründung im 19. Jahrhundert von Staatsaufträgen gelebt, während Konkurrenten wie Siemens oder Bombardier auf private Aktionäre und Abnehmer gesetzt hätten. Aus diesem Grund sei Alstom, als die öffentlichen Aufträge mehr und mehr ausgeblieben seien, eine leichte Beute für den US-Konzern General Electric geworden.

Als dieser die Energiesparte von Alstom im Jahr 2014 kaufte, meldete Siemens alsbald sein Interesse für die verbleibende Bahnsparte der Franzosen an. Doch der damalige Alstom-Chef Patrick Kron blockte die innereuropäische Fusion ab: Er war zu lange im Amt, um in Siemens etwas anderes als einen Erzfeind zu sehen. Hatten die Deutschen nicht ein paar Jahre zuvor in Brüssel gegen einen staatlichen Hilfsplan für Alstom lobbyiert? Waren sie nicht selber schon mehrfach in den französischen U-Bahn- und Zugsmarkt eingedrungen? Auf jeden Fall scheiterten sämtliche Pläne für einen europäischen „Airbus der Schiene“ an Krons heftigem Widerstand gegen Siemens.

Die französischen Gewerkschaften reagieren beunruhigt

Mit seinem Abgang und der Wahl von Emmanuel Macron im Mai ist die Idee wieder aktuell geworden. Der neue französische Präsident ist ein überzeugter Proeuropäer und Freund Deutschlands. Auch arbeitete er beim französischen Fusionsexperten Rothschild, der die neue Annäherung von Alstom und Siemens nun in die Wege geleitet hat. Der Vorwurf, ein „liberaler“ Staatschef verhökere das „nationale“ Tafelsilber an die Privatwirtschaft, zieht allerdings nicht: Den Verkauf der französischen Schiffswerft STX – früher ebenfalls Teil von Alstom – an die italienische Fincantieri sucht Macron derzeit gerade mit allen Mitteln zu verhindern, indem er sehr dirigistisch das Interesse des Staates geltend macht.

Die französischen Gewerkschaften reagieren beunruhigt. „Es gibt eine Doppelproduktion, da muss man sich nichts vormachen“, meint Olivier Kohler von der CFDT. „Auf beiden Seiten werden Stellen abgebaut werden.“ Im Elsass, dem Alstom-Stammland, hofft man allerdings durch die Nähe zu den Standorten deutscher Unternehmen, glimpflich davonzukommen.