Bei den rechtsradikalen Krawallen wurden bislang 1400 Menschen festgenommen. Foto: dpa/Jordan Pettitt

Mehr als 1000 Menschen wurden in Großbritannien wegen rechtsradikaler Krawalle festgenommen, die Justiz greift hart durch. Doch der Platz für Straftäter ist knapp. Helfen soll ein Notfallplan.

Angesichts wachsender Panik in englischen und walisischen Haftanstalten hat die britische Regierung am Montag einen Notstandsplan in Gang gesetzt, der die drohende Überfüllung der Gefängnisse im Vereinigten Königreich verhindern soll.

Die „Operation Early Dawn“ (Operation Frühe Morgendämmerung) erlaubt es der britischen Justiz, verhaftete Personen so lange in Polizeizellen festzuhalten, bis neuer Platz in den Gefängnissen für sie geschaffen ist. Das kann bedeuten, dass im Einzelfall Prozesse zeitlich aufgeschoben und selbst bereits angesetzte Anklage-Termine abgesagt werden – dass Verhaftete also gegebenenfalls wochenlang in Polizeiwachen einsitzen müssen, bis sie überhaupt einem Richter vorgeführt werden.

Unmittelbarer Grund für die Ausrufung des Notstands waren die jüngsten rechtsradikalen Straßenkrawalle in England und Wales. Im Zuge dieser Krawalle wurden der BBC zufolge bisher 1140 Personen festgenommen und bereits 474 davon angeklagt. Mehr als 100 der Angeklagten sind sogar schon im Eilverfahren abgeurteilt worden. Einige haben mehrjährige Haftstrafen erhalten, für Gewalttätigkeiten oder für Aufhetzung zur Gewalt. „Allein letzte Woche haben wir die höchste Zahl an Neuaufnahmen seit langem verzeichnet“, erklärte dazu Mark Fairhurst, der Chef des Nationalen Verbandes der Gefängnisbeamten. „Am Freitag waren in den geschlossenen Anstalten der Männer-Gefängnisse gerade mal noch 340 Plätze frei.“

Zu wenige Zellen

Mancherorts in Nordengland, wo die Lage besonders ernst sei, würden frisch Verurteilte „100 oder 200 Meilen weit von ihren Wohnorten weggekarrt“, um ihre Strafen absitzen zu können, berichtete Fairhurst, „weil es ganz einfach zu wenige Zellen gibt“.

Hintergrund der Krise ist die allgemeine Überfüllung der Gefängnisse vielerorts auf der Insel. Gegenwärtig ist die totale Kapazität von rund 89 000 Gefängnis-Plätzen schon fast erreicht, obwohl sich vielfach zwei Häftlinge eine Zelle teilen. Bei einer entsprechenden weiteren Zunahme müsse man binnen vier Jahren mit 114 800 Häftlingen rechnen, hat das Ministerium kalkuliert. Dabei hat England neuesten Erhebungen des „Prison Reform Trust“ zufolge schon heute die höchste Sträflingsrate in ganz Westeuropa. Auf 100 000 Einwohner kommen in England und Wales 141 Insassen in Haftanstalten – in Frankreich sind es 106 und in Deutschland 67.

Allein die durchschnittliche Länge der Strafen ist von 13,7 Monaten im Jahr 2010 auf 20,9 Monate im Vorjahr gestiegen. Die Verschärfung von Strafen gerade auch für „geringere“ Vergehen war dabei stets Teil konservativer Politik in den vergangenen 14 Jahren. „Wir setzen mehr Leute hinter Gitter, und das für längere Zeit“, meinte dazu am Montag Lord Ian Burnett, ein früherer Justiz-Präsident für England und Wales. Gebracht habe das allerdings nichts, findet Lord Burnett. Die neue Regierung unter Keir Starmer habe nun Gelegenheit, das zu ändern, auf längere Sicht hin. Das Justizministerium kündigte „noch für dieses Jahr“ einen auf zehn Jahre angelegten Gefängnis-Strategie-Plan an, der unter anderem sehr viel mehr darauf zielen soll, dass entlassene Häftlinge nicht mehr straffällig werden.

Um die Lage wenigstens kurzfristig zu entspannen, und einen Kollaps des Systems zu verhindern, hat Justizministerin Shabana Mahmood verkündet, dass Häftlinge bei guter Führung statt nach Absitzen von 50 Prozent ihrer Strafe bereits nach 40 Prozent abgeleisteter Strafe entlassen werden können.

Nicht eingeschlossen sind dabei Personen, die für Schwerverbrechen, sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt oder andere Gewalttätigkeit verurteilt wurden. Diese Reform soll dazu führen, dass bereits im September und Oktober rund 5500 Häftlinge früher als geplant aus der Haft entlassen werden. Die Konservative Partei und die noch immer einflussreiche britische Rechtspresse habe vor diesen Freilassungen aber bereits nachdrücklich gewarnt.