Die Dürrlewanger Nachbarschaftsspaziergänger. Foto: Kai Müller

Menschen aus mehr oder weniger fernen Ländern erzählen an der Haustür ihre Geschichte. Die evangelische Kirchengemeinde hat den Rundgang durch Dürrlewang initiiert.

Dürrlewang - Wer lebt in meiner Nachbarschaft? Dieser Frage ging ein Dutzend Dürrlewanger Bürger am vergangen Freitag auf den Grund. Und das im wahren Wortsinn. Denn die evangelische Kirchengemeinde hatte zu einem Nachbar-schaftsspaziergang eingeladen, bei dem die unterschiedlichsten Menschen erzählten, wie sie in den Ende der 50er Jahre aus dem Filderboden gestampften Stuttgarter Stadtteil gekommen waren.

Entstanden war die Idee nach Worten von Pfarrerin Claudia Kook bei der Vorbereitung des diesjährigen Weltgebetstages. Dessen Thema „Ich war fremd, – ihr habt mich aufgenommen“, wurde von der Mesnerin Bärbel Püngel mit auf die Fildern gebracht und umgesetzt. Schließlich hätten viele Menschen in Dürrlewang diese Erfahrung gemacht.

Erinnerungen an das Kino

Einer der Bewohnerinnen der ersten Stunde ist Margret Wask. Sie stammt aus dem ehemaligen Ostpreußen, flüchtete zu Kriegsende vor den russischen Soldaten über die zugefrorene Ostsee und kam über Umwege schließlich nach Dürrlewang. „Es war für uns eine ganz schwere Zeit“, sagt sie rückblickend und erinnert sich an die eigene Schuhmacherwerkstatt in einer Baracke hinter dem Haus, die später zur ersten Kirche wurde. Oder daran, dass es im Ort sogar einmal ein Kino gab und mehr Geschäfte.

Aus einem völlig anderen Kulturkreis – sogar von einem völlig anderen Kontinent – stammt Ainealem Damtew. „Ich bin seit 1980 in Stuttgart“, erzählt die aus Eritrea stammende Frau, „und bin aus Angst vor dem Krieg in meiner Heimat nach Deutschland geflohen.“ Auch ohne Deutschkenntnisse sei sie sehr freundlich aufgenommen worden und habe bereits nach zwei Wochen eine Arbeit bekommen. Deutschland bezeichnet sie inzwischen als ihre Heimat – in der ihr Sohn jedoch kürzlich eine schlechte Erfahrung machen musste. Die in Aussicht gestellte Wohnung bekam er beim ersten Treffen mit dem Besitzer wegen seiner dunklen Hautfarbe dann doch nicht. „Solche Erlebnisse hatte ich vor 30 Jahren auch“ bedauert die Frau, die nach eigenen Angaben viele deutsche und afrikanische Freunde hat.

Nach dem Menschen unter dem Kopftuch schauen

Das sagt auch Gürücü Gülbahar, die vor 24 Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland auswanderte. „Die Anfangszeit war“, bekennt sie, „jedoch schwierig.“ Die fehlende Sprachkenntnis sei ein Hemmnis gewesen: „Ich hatte wenig Kontakt zu Gleichaltrigen.“ Außerdem hätte es Probleme wegen ihres Kopftuches gegeben. „Das finde ich schade, denn man sollte zuerst den Menschen kennenlernen und sich dann ein Urteil bilden“, sagt sie. Das habe sich jedoch mittlerweile geändert: „Viele Menschen bemühen sich nun, nach dem Menschen unter dem Kopftuch zu schauen.“ Mit einem mag sie sich jedoch nicht abfinden: dass man manchmal nicht zurückgegrüßt werde.

Von einer „Zerrissenheit“ berichtet Isabella Troiani den Nachbarschafts-Spaziergängern. Die Tochter einer Deutschen und eines Italieners wuchs bis zum achten Lebensjahr in der Heimat ihres Vaters auf, kam dann nach Deutschland, wo sie seitdem mit Ausnahme eines kurzen Gastspiels („Der größte Fehler meines Lebens“) in ihrem Geburtsland lebt. Für sie ist die Sprache der Schlüssel zur Integration: „Man bleibt Außenseiter, wenn man sich nicht verständigen kann.“