Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll – hier bei einer Baustellen-Überprüfung auf dem Killesberg – soll die Einhaltung des Mindestlohns überwachen. In Stuttgart gibt es dafür aber kein zusätzliches Personal Foto: Max Kovalenko

Die Wirtschaft schimpft über den neuen Mindestlohn. Besonders Gastronomiebetriebe fürchten um ihre Zukunft. Doch in der Region Stuttgart könnte die Angst vor flächendeckenden Kontrollen unnötig sein: Für den hiesigen Zoll ist bisher keinerlei zusätzliches Personal für die Mammutaufgabe vorgesehen.

Stuttgart - 8,50 Euro. Um diesen Stundenlohn streitet sich die Republik. Der neue Mindestlohn, der seit Januar flächendeckend gilt, treibt den Vertretern vieler Branchen die Sorgenfalten auf die Stirn. Den einen, weil sie nicht so viel bezahlen können oder wollen, anderen – auch Sportvereinen –, weil die damit verknüpfte Dokumentationspflicht sie extrem belastet.

In der Gastrobranche treibt viele Wirte und Hoteliers die Pflicht zur Stundenerfassung auch deshalb um, weil damit das 20 Jahre alte Arbeitszeitgesetz eine ganz neue Bedeutung erlangt. Es sieht vor, dass nicht länger als zehn Stunden am Stück gearbeitet werden darf. Bei Festen, Restaurants oder sonstigen Veranstaltungen ist das kaum einzuhalten – und wird jetzt kontrollierbar.

„Das Gesetz führt zu einer alarmierenden Kollision mit der Lebenswirklichkeit“, sagt Daniel Ohl, Landessprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Es sei „völlig praxisfern“. Viele Betriebe könnten dadurch nicht mehr legal arbeiten. Deshalb fordert der Dehoga eine Ausnahme mit einer Ausweitung auf zwölf Stunden. Und befürchtet im anderen Fall hohe Strafen für Betriebe: „Wir rechnen mit einer ernsthaften Kontrolltätigkeit.“

Doch vielleicht erweist sich diese Sorge vieler Branchen ja als unbegründet. Unabhängig von allen Streitpunkten könnte sich das Mindestlohngesetz in manchen Regionen nämlich als zahnloser Tiger entpuppen. Denn ausreichende Kontrollen sind alles andere als gesichert. Übernehmen soll sie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls – eine Gruppe, die sich ohnehin nicht über mangelnde Arbeit beschweren kann. 1600 neue Stellen soll es bundesweit für die Überprüfung der Mindestlohnregelungen geben. Allerdings keine einzige davon beim Hauptzollamt Stuttgart, das für die Landeshauptstadt sowie die Landkreise Esslingen, Rems-Murr und Böblingen zuständig ist.

„Nach dem bisher angelegten Schlüssel werden wir in den nächsten Jahren kein zusätzliches Personal für die Mindestlohnkontrollen zugewiesen bekommen“, sagt der Stuttgarter Zollsprecher Thomas Seemann. Man müsse mit den derzeit 133 Beschäftigten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auskommen und das zusätzliche Programm irgendwie bewältigen.

„Die Frage, mit welcher Intensität der gesetzliche Mindestlohn kontrolliert wird, muss und kann nur die Politik beantworten“, sagt Seemann diplomatisch. Aber er fügt an: „Man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass eine flächendeckende, permanente Überwachung schwierig wird.“ Bisher sind die Zöllner nur präventiv unterwegs und weisen auf das neue Gesetz hin. Verstöße können erst von April an geahndet werden, weil Arbeitgeber den Januar noch bis zum März abrechnen dürfen.

Die Personalfrage klingt beim Bundesfinanzministerium, dem die Zollverwaltung unterliegt, allerdings ganz anders. Es sei beabsichtigt, der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die bisher bundesweit rund 6700 Mitarbeiter hat, „bis 2019 jährlich rund 300 zusätzliche Beschäftigte zuzuführen“, sagt ein Sprecher. Damit würden mittelfristig insgesamt weitere 1600 Kontrolleure eingesetzt. „Die regionale Verteilung ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen und wird sich aus den regionalen Bedarfen ergeben“, so der Ministeriumssprecher weiter.

Laut gut informierter Quellen sind die zusätzlichen Zöllnerinnen und Zöllner aber längst verteilt. Verantwortlich dafür ist ein Aufteilungsschlüssel. Eine große Rolle spielt dabei die Fläche, für die ein Hauptzollamt zuständig ist, aber auch Bevölkerung, Anzahl der Betriebe oder das Bruttoinlandsprodukt. Für das Hauptzollamt Stuttgart ist nach derzeitiger Planung offenbar dennoch keine einzige zusätzliche Stelle vorgesehen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat bereits im vergangenen August in einem Brief ans Bundesfinanzministerium auf die Schieflage bei der Verteilung hingewiesen. Man sei über die Planungen „irritiert“, heißt es darin, weil der Großraum Stuttgart ausgenommen werden solle. Das sei auch im Hinblick auf Kontrollen beim Großprojekt Stuttgart 21 nicht sinnvoll. Generell reichten die 1600 neuen Stellen bundesweit samt der beabsichtigten Staffelung „nicht aus“.

Das sieht auch die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft so. „Wir fordern 2500 neue Planstellen“, sagt der Bundesgeschäftsführer Christof Stechmann. Der Prüfaufwand sei schließlich erheblich. Das Personal müsse „mit einer transparenten Verfahrensweise flächendeckend verteilt werden“. Das angewandte Modell sei durchaus umstritten. Der Zoll stehe vor einer „Mammutaufgabe“, die er nur bewältigen könne, wenn Personal dafür da sei.

Die Ungereimtheiten bei den Kontrollen entsprechen dem Bild, das auch die Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) vom neuen Mindestlohngesetz hat. „Dass ein Gesetz mit derart vielen handwerklichen Fehlern einfach auf den Markt geworfen wird und nach wenigen Tagen erste Korrekturen angekündigt werden müssen, spricht nicht für die Qualität von Politik“, sagt Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Die Telefone bei der IHK stünden nicht mehr still. Den Betrieben machten vor allem der hohe Aufwand der Dokumentationspflicht, die Rechtsunsicherheit und steigende Lohnkosten zu schaffen.

Derzeit befragt die IHK ihre Mitglieder zu den Konsequenzen des Gesetzes. Das Echo dürfte nicht allzu positiv ausfallen und sich mit den bisherigen Erfahrungen der Gastronomiebranche decken. Doch vielleicht kommt es gar nicht so dicke für die Betriebe: wo kein Kläger, da kein Richter. In einer Veröffentlichung des Dehoga heißt es: „Von einer deutlichen Ausweitung der Kontrollen im Gastgewerbe ist auszugehen.“ Doch dafür braucht der Zoll erst einmal Personal.

Info - Der Mindestlohn

Seit dem 1. Januar gilt in Deutschland für Arbeitnehmer flächendeckend ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde. Ausnahmen gibt es nur in ganz geringem Umfang, sie sollen zudem durch Anpassung in den nächsten Jahren komplett verschwinden. Der Mindestlohn soll in Zukunft regelmäßig neu bewertet und bemessen werden.

Für viele Branchen, die als besonders anfällig für Schwarzarbeit gelten, etwa das Baugewerbe und die Gastronomie, gilt eine umfassende Dokumentationspflicht. In einigen Branchen ist das bisher schon so gewesen, in anderen ist das neu. Der Arbeitgeber muss Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit seiner Angestellten binnen einer Woche aufzeichnen und mindestens zwei Jahre lang aufbewahren.

Nicht alle Arbeitnehmer fallen unter das Mindestlohngesetz. Es gibt einige Ausnahmen. Minderjährige ohne Berufsabschluss, Pflichtpraktikanten, Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres, Azubis oder Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung gehören dazu. (jbo)