Nichts als Qual oder bewundernswerte Dressur? Auch an solchen Zirkusnummern scheiden sich die Geister. Foto: AFP

Immer mehr Städte wollen Zirkusbetrieben mit exotischen Dressuren das Gastrecht verwehren. Tierschützer begrüßen diese Entwicklung, Freunde klassischer Darbietungen sähen gerne weiterhin Elefanten und Löwen.

Stuttgart - Noch bis zum 8. Januar gastiert der Weltweihnachtszirkus auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart – und einer von vielen Höhepunkten ist der Auftritt Géraldine Katharina Knies und ihres Ehemanns Maycol Errani. „Sie führen eine prächtige Freiheitsnummer auf edlen Pferden vor, und danach wimmelt die Manege von Zebras, Lamas und Kamelen“, heißt es in der Eigenwerbung: „Es ist eine Hommage an den klassischen Zirkus, der zeitlos ist.“ Das könnte – zumindest in der Landeshauptstadt – bald ein Ende haben. Wenn nicht alles trügt, wird eine knappe Mehrheit aus SPD, Grünen und SÖS-Linken an diesem Freitag im gemeinderätlichen Ausschuss ein grundsätzliches Verbot von Zirkussen mit Wildtieren beschließen. Denn in reisenden Betrieben, so die Begründung, könnten Löwen, Tiger und Elefanten, Kängurus, Lamas und andere exotische Lebewesen nicht artgerecht gehalten werden.

Das, was Stuttgart nachholen will, haben mehr als 50 Städte in Deutschland bereits vorexerziert, darunter Köln und Leipzig, Schwerin und Rostock. Schon immer haben Tierschutzorganisation gegen die ihrer Meinung nach artfremde Haltung von Wildtieren in Zirkussen protestiert. Aber seit einem Beschluss des Bundesrats vom 18. März dieses Jahres über ein Verbot der Haltung wild lebender Tierarten im Zirkus sehen sich Kommunalpolitiker in Zugzwang. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, „zeitnah eine Rechtsverordnung vorzulegen“, heißt es in dem Beschluss. Insbesondere sollen Affen, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner und Flusspferde unter Schutz gestellt werden.

Es habe „fortgesetzte Verstöße gegen die Haltungsvorschriften“ gegeben, so die Begründung. Tiere entwickelten zudem durch die beengte Haltung erhebliche Schäden, etwa Skelettveränderungen, chronische organische Erkrankungen oder „erhebliche Verhaltensstörungen“.

In Baden-Württemberg wächst die Zahl der Kommunen rasch, die in der Manege keine Wildtiere akzeptieren oder ihre Auftritte zumindest beschränken. In Heilbronn etwa hat der Gemeinderat vor mehr als einem Jahr entschieden: Der Vergabe von städtischen Plätzen wird nur zugestimmt, wenn die Zirkusunternehmen keine „Wildtiere“ und „Großwildtiere“ mitführen oder zur Schau stellen. Dies gilt für die Neuvergabe von Zirkusgastspielen seit diesem Jahr, der Weihnachtscircus, der am 21. Dezember beginnt, darf auf der Theresienwiese noch gastieren, obwohl indische Elefanten auftreten. Denn es greift bis zum Jahr 2019 ein „Platzüberlassungsvertrag“, demzufolge der hinter dem Heilbronner Weihnachtscircus stehende Zirkus Charles Knie „Vertrauensschutz“ genießt. Die Stadt befürchtet, dass bei einem Verbot die Tiere verkauft oder getötet würden.

Die Stadt Heidelberg hat bereits 2002 differenzierte Regeln für Zirkus-Gastspiele erlassen. Jeder Zirkus, der kommen will, wird daraufhin überprüft, ob er in jüngerer Vergangenheit wegen seiner Tierhaltung negativ aufgefallen ist. „Wir legen großen Wert darauf, dass die mitgebrachten Tiere artgerecht gehalten und gepflegt werden“, erklärte eine Sprecherin der Stadt. Zudem prüfen Amtstierärzte die Haltung. Die klassischen Wildtierdressuren – etwa der Auftritt von Elefantenkühen oder Löwen – sind in Heidelberg erlaubt. Eine ganze Reihe anderer Tiere dürfen die Zirkusse aber nicht mitbringen, unter anderem Krokodile, Menschenaffen, Elefantenbullen, Robben, Delfine und Pinguine.

In Ulm hat der Aufsichtsrat der städtischen Messegesellschaft, auf deren Gelände der Weihnachtszirkus gastiert, ein Wildtierverbot verhängt, das vom neuen Jahr an gilt. Der Gemeinderat wird wohl mit einem gleich lautenden Beschluss nachziehen. Der Zirkuschef Matthias Bergstaedt verzichtete daraufhin schon für das diesjährige Gastspiel, das am 21. Dezember beginnt, auf Raubtiernummern – gegen die eigene Überzeugung. Das Publikum, sagte Bergstaedt, wolle Wildtiernummern durchaus sehen.

Diese Ansicht vertritt auch das Aktionsbündnis „Tiere gehören zum Circus“, das am Freitag bei einer Demonstration in Stuttgart deutlich machen will: Zirkus ohne Wildtiere ist kein Zirkus. Laut dem Stimmführer der Initiative, Dirk Candidus aus dem rheinland-pfälzischen Kirchheimbolanden, lebten Zirkustiere „heute in großen strukturierten Freigehegen“, die einem „zoologischen Garten“ ähnelten. Ein „verhaltensgerechtes“ Verhalten müsse aus den individuellen Bedürfnissen der Tiere und ihrem konkreten Wohlbefinden hergeleitet werden und nicht aus der Vorstellung, was sie in freier Natur täten. Auch dass eine Mehrheit der Gesellschaft Wildtiernummern ablehnend gegenüber stehe, dass es einen „Wertewandel“ gebe, lässt Candidus nicht gelten. Die „sehr hohen Besucherzahlen“ etwa des Circus Krone spräche für die Faszination, die in der „Begegnung zwischen Tierlehrer und Wildtier“ liege.

Ein Wildtier-Verbot ist – zumindest bisher – juristisch umstritten. Auf diesen Umstand weist unter anderem Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) hin. Das Stadtoberhaupt hat zu erkennen gegeben, dass er das 2010 beschlossene „Stuttgarter Modell“ nach wie vor als die ideale Lösung erachtet: nämlich aus prinzipiellen Erwägungen tierschutzrechtlicher Art Zirkusse mit Wildtieren auf normalen Festplätzen zu untersagen – auf dem Cannstatter Wasen aber Ausnahmen zuzulassen. Dort sei der Aufbau von großzügigen Stallungen möglich, es könnten sehr gute, über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehende Bedingungen für die Tiere gewährleistet werden.

Etliche andere Städte üben grundsätzlich Toleranz. Die Tübinger Verwaltung beispielsweise spricht sich gegen ein generelles Verbot aus. Erst vor wenigen Tagen kam das Thema im Verwaltungsausschuss erneut zur Sprache. Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage wolle man weiterhin den Festplatz an Zirkusunternehmen mit Wildtieren vergeben. In Mannheim hatten die Grünen im Mai 2010 einen Antrag auf ein Wildtierverbot in Zirkussen gestellt, eine Mehrheit dafür haben sie aber nicht bekommen. Die Stadt sehe solche Darbietungen kritisch, erklärte eine Sprecherin der Mannheimer Verwaltung. Bei Prüfung der Sachlage sei man damals aber zu dem Ergebnis gelangt, dass generelle kommunale Verbote rechtlich nicht haltbar seien, weil der Tierschutz dem Bundesrecht unterliege und außerdem Grundrechte der Berufsfreiheit betroffen seien.

Im Kreis Schwäbisch Hall ist im Augenblick für den Crailsheimer Weihnachtscircus, hinter dem der Circus Alberti steckt, plakatiert. Im Programm wird vom 23. Dezember an eine Dressur mit sibirischen Kamelen angekündigt. Laut einer Sprecherin habe die Stadt auf das Gastspiel keinen Einfluss, da der Zirkus sein Zelt auf privatem, nicht öffentlichem Grund aufschlägt – wobei unabhängig davon der Crailsheimer Gemeinderat vor kurzem mehrheitlich ein Wildtierverbot mit der Begründung abgelehnt, dass diese Frage bundesweit geregelt werden müsse.