EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält eine Zinserhöhung im kommenden Jahr für „sehr unwahrscheinlich“. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Die Notenbanken in Großbritannien und den USA ziehen die Zügel an. Die Europäische Zentralbank dagegen will weiter Geld in die Märkte pumpen, wenn auch weniger.

Frankfurt - Die Notenbanken in Großbritannien und den USA stemmen sich gegen die hohe Inflation: Die Bank of England (BoE) erhöhte am Donnerstag ihren Leitzins von 0,1 auf 0,25 Prozent. Die US-Notenbank stimmte die Märkte auf mehrere Zinserhöhungen im kommenden Jahr ein. Die Europäische Zentralbank (EZB) will dagegen lediglich den umstrittenen Kauf von Staatsanleihen zurückfahren, mit dem sie monatlich Milliarden in die Märkte pumpt.

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Der EZB-Rat bekräftigte nach seiner Sitzung am Donnerstagmittag, das bei Ausbruch der Coronakrise aufgelegte Kaufprogramm PEPP werde Ende März eingestellt. Über dieses Programm flossen zuletzt rund 70 Milliarden Euro monatlich in Staatsanleihen und andere Wertpapiere. Nach Ablauf des PEPP will die EZB jedoch das Volumen eines anderen Kaufprogramms, genannt APP, von 20 Milliarden auf 40 Milliarden Euro monatlich verdoppeln. In der zweiten Hälfte des kommenden Jahres sollen die APP-Käufe nach und nach wieder auf 20 Milliarden Euro im Monat zurückgehen.

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„Eine großzügige Geldpolitik ist weiter erforderlich, damit sich die Inflationsrate mittelfristig bei zwei Prozent stabilisiert“, erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Eine Zinserhöhung im kommenden Jahr sei sehr unwahrscheinlich.

EZB erwartet 2022 Teuerungsrate über drei Prozent

Zwar erwartet die Notenbank nach dem Anstieg der Teuerungsrate auf 4,9 Prozent im November nur einen langsamen Rückgang, für 2022 prognostiziert sie nun einen Jahresmittelwert von 3,2 Prozent. 2023 wird die Teuerungsrate nach Einschätzung der EZB aber wieder unter ihrer Zielmarke von zwei Prozent liegen. Allerdings haben sich die Prognosen der Notenbank zuletzt als wenig zuverlässig erwiesen – noch im September hatte sie für 2022 eine Inflationsrate von 1,7 Prozent vorhergesagt.

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Die US-Notenbank Federal Reserve geht mit einem ähnlichen Ausblick ganz anders um. Zwar äußerte auch Fed-Chef Jerome Powell am Mittwochabend die Erwartung, dass die Inflationsrate 2022 ganz allmählich wieder sinken und Ende des nächsten Jahres nahe zwei Prozent liegen wird. Anders als Lagarde kündigte Powell aber einen raschen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik an: Im März will die Fed den Kauf von US-Staatsanleihen und anderen Wertpapieren beenden. Bis Ende 2022 erwartet eine Mehrheit der Notenbanker drei Zinserhöhungen. Als zentrales Motiv für diese Beschleunigung gegenüber früheren Plänen nannte Powell den Anstieg der US-Inflationsrate auf 6,8 Prozent im November.

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Auch die Löhne steigen in den USA kräftig

Lagarde erklärte dazu, die Lage in den USA oder auch im Vereinigten Königreich – wo am Donnerstag bereits eine Zinserhöhung erfolgte – sei mit der Situation im Euroraum schwer vergleichbar. Tatsächlich ist die wirtschaftliche Erholung von der Coronakrise im angelsächsischen Raum weiter fortgeschritten.

Zudem sind in Großbritannien und den USA die Löhne dieses Jahr kräftig gestiegen. Die Tarifbeschäftigten in Deutschland dagegen müssen 2021 mit dem geringsten Lohn- und Gehaltszuwachs seit 2010 auskommen; das Statistische Bundesamt schätzt den Anstieg der Tarifverdienste in diesem Jahr auf 1,3 Prozent. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale scheint damit im Euroraum vergleichsweise gering.

Kritik an Fortsetzung der Anleihekäufe

Von deutschen Ökonomen kam dennoch Kritik: „Es wird weiter zu viel Geld in Umlauf kommen“, erklärte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mit Blick auf die EZB-Beschlüsse. Die Notenbank nehme zu viel Rücksicht auf die „Finanzierungswünsche der hoch verschuldeten Länder im Süden des Währungsraums“.

Ähnlich äußerte sich Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Die Anleihekäufe, die in der akuten Krise „vertretbar“ gewesen seien, würden „mit zunehmender Konjunkturerholung und hohem Inflationsdruck immer problematischer“.

Dagegen kommentierte der Chefvolkswirt der Targobank, Otmar Lang, die EZB habe sich einfach Zeit verschafft. „Die Auswirkungen der Coronamutation Omikron kann derzeit niemand verlässlich einschätzen. Das hält die konjunkturelle Unsicherheit hoch“, gab er zu bedenken. Der EZB-Rat sei nun „geldpolitisch noch nicht so festgelegt wie die Kollegen bei der britischen oder der amerikanischen Notenbank“.

Börsen reagieren positiv

Noch beurteilt die EZB die Wachstumsaussichten für 2022 recht zuversichtlich: Nach ihrer Einschätzung wird die Wirtschaftsleistung der 19 Euroländer dieses Jahr um fünf Prozent und 2022 um 4,6 Prozent steigen.

Auch US-Notenbankchef Powell machte deutlich, dass er die mit Omikron verbundenen Risiken angesichts steigender Impfquoten für beherrschbar hält. An den Börsen kam seine Zuversicht gut an: Der Leitindex Dow Jones Industrial schloss am Mittwochabend 1,1 Prozent im Plus, der breiter gefasste S&P 500 stieg um 1,6 Prozent. Auch der Deutsche Aktienindex (Dax) legte am Donnerstag kräftig zu.