Die Kehrtwende der Europäischen Zentralbank beschert der Kreditwirtschaft satte Zinseinnahmen. Doch bei einer Reform hätten wohl vor allem jene das Nachsehen, die es jetzt schon schwer haben: die Sparer.
Banken sind die Gewinner der Zinswende. Die Zinsüberschüsse der europäischen Geldhäuser seien nach jahrelangem Schrumpfkurs 2022 wohl um acht Prozent gewachsen, schätzt die Allianz in einer aktuellen Analyse.
Ein Grund dafür: Seit September bekommen die Kreditinstitute für ihre Einlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wieder Zinsen, seit der jüngsten Leitzinserhöhung Anfang Februar liegt der Satz bei 2,5 Prozent. An ihre Kunden geben die meisten nur einen Bruchteil davon weiter, die Zinsen auf Tagesgeldkonten liegen in Deutschland bei vielen Instituten noch immer nahe null.
Dass zunächst einmal nur Banken auf Kundenfang ihre Guthabenzinsen erhöhen und die Wettbewerber nur langsam nachziehen, ist normal. Außergewöhnlich ist allerdings die gewaltige Summe, die Geschäftsbanken derzeit bei der EZB geparkt haben: Mehr als vier Billionen Euro. Sie geht darauf zurück, dass die Notenbank bis zum Sommer jahrelang Geld ins Finanzsystem pumpte, um die Konjunktur zu stützen. Im Ergebnis entstünden nun „durch die Geldpolitik Übergewinne bei den Banken“, kritisiert Michael Peters von Finanzwende.
Der EZB-Einlagenzins soll weiter steigen
Bliebe die Summe der Einlagen bei der EZB konstant und der Zinssatz bei 2,5 Prozent, so ergäben sich aufs Jahr hochgerechnet Zinseinnahmen von rund 100 Milliarden Euro für die europäische Kreditwirtschaft. Das wäre mehr, als sie in den vergangenen Jahren an Negativzinsen an die EZB zahlen mussten. Zudem will die EZB den Einlagenzins im Kampf gegen die Inflation weiter erhöhen. Der Gedanke dahinter: Je mehr Geld bei der Notenbank geparkt wird, desto weniger kommt in Umlauf.
Der belgische Ökonom Paul de Grauwe hält das für den falschen Weg. Die Anhebung des EZB-Einlagenzinses laufe auf eine Subvention des Bankensektors hinaus und schade gleichzeitig der öffentlichen Hand, kritisierte der Professor an der London School of Economics zu Jahresbeginn.
Für Notenbanken und Staaten wird es teuer
Denn: Die hohen Zinszahlungen an die Banken schmälern die Gewinne des Eurosystems, also der EZB und der nationalen Notenbanken in den Euroländern. Damit schrumpfen auch deren Ausschüttungen an die Staatskasse. Die Bundesbank hat bereits in den vergangenen zwei Jahren kein Geld mehr nach Berlin überwiesen, weil sie hohe Rückstellungen für die Zinswende bildete. Auch in diesem Jahr gibt es eine Nullrunde. Und für 2024 könnte laut Bundesbank-Präsident Joachim Nagel erstmals seit 1979 ein Verlust in der Bilanz stehen.
De Grauwe empfiehlt daher, die EZB sollte die Banken einfach zwingen, mehr Geld bei ihr zu deponieren – zum Teil aber unverzinslich. Schon heute sind die Kreditinstitute verpflichtet, bei der EZB eine Mindestreserve zu hinterlegen. Die EZB sollte diese hochsetzen und gleichzeitig keine Zinsen mehr auf die Mindestreserven zahlen, schlägt de Grauwe vor. Tatsächlich ist die Notenbank noch bis vor einem halben Jahr ähnlich verfahren, um die Folgen der Negativzinsen für die Kreditwirtschaft zu lindern. „In den letzten Jahren mit negativem Einlagezins wurde das Sechsfache der Mindestreserve von der Verzinsung ausgenommen. Im Prinzip könnte man das also auch bei positiven Zinsen machen“, meint Finanzwende-Experte Peters.
Die Sparer hätten das Nachsehen
Er räumt allerdings ein, die Banken könnten eine solche Regelung zum Anlass nehmen, die Guthabenzinsen für ihre Kunden weiter niedrig zu halten oder die Kreditzinsen zu erhöhen. „Vor einer Reform muss die EZB natürlich die möglichen Auswirkungen prüfen. Aber eine Diskussion ist dringend notwendig.“
Warnung vor einer anhaltenden Staatsfinanzierung
Der Frankfurter Finanzprofessor Volker Wieland sieht in dem Vorschlag dagegen einen Vorwand, die notwendige Reduzierung der Geldmenge auf die lange Bank zu schieben. Um sie zu erreichen, müsste die EZB den Riesenberg an Staatsanleihen abbauen. Da es sich um Schuldtitel handelt, fließt das dafür ausgegebene Geld zwar nach und nach an die Notenbank zurück. Noch investiert die EZB die Rückzahlungen aber in neue Anleihen, erst ab März will sie diese Re-Investitionen langsam reduzieren. Die kleinen Schritte soll einen abrupten Anstieg der Finanzierungskosten für die Eurostaaten verhindern.
Wieland kritisiert, eine Umsetzung von de Grauwes Vorschlag hätte letztlich nur den Zweck, „eine Staatsfinanzierung zu null Prozent in großem Stil zu erzwingen, um den Zins, den die Regierungen sonst am Markt zahlen müssten, zu vermeiden.“ Aus seiner Sicht wäre „der richtige Weg, in Zeiten hoher Inflation die Anleihebestände zügig zu reduzieren“. Angesichts der hohen Verschuldung von Eurostaaten wie Italien oder Griechenland ist das allerdings heikel.
Professor Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hält de Grauwes Vorschlag deshalb durchaus für bedenkenswert. „Man könnte ihn ja auch graduell umsetzen und zunächst einmal nur auf die Verzinsung der Mindestreserven in ihrer jetzigen Höhe verzichten“, sagt Dullien. Klar sei aber auch: „Wenn man auf diese Weise eine Belastung der Staatshaushalte vermeiden will, belastet man dafür Banken und Sparer.“