Schwerer Gang: Wer als Zeuge vor Gericht Fragen beantworten muss, hat erst einmal selbst eine Menge Fragen. Foto: Caro / Blume

Wem eine Ladung vom Gericht in den Briefkasten flattert, dem flattern häufig die Nerven. Wer zum Zeugen wird, hat Anspruch auf Hilfen. In Baden-Württemberg, beantwortet seit knapp drei Jahren die Internetseite zeugeninfo.de die wichtigsten Fragen – mit wachsendem Erfolg.

Stuttgart - Als Zeuge fühlt man sich leicht umzingelt. Üblicherweise sitzt man bei einer Aussage vor Gericht mitten im Saal, direkt vor den Richtern. An der einen Seite sitzt der Staatsanwalt, an der anderen Seite hat die Verteidigung ihren Platz – und der mutmaßliche Täter. „Da kann es schon helfen, wenn wir als Puffer dazwischen sitzen“, sagt Christian Veith von dem Sozialdienstleister Prävent Sozial gGmbH, der Nachfolgeorganisation des ehemaligen Bewährungshilfevereins Stuttgart. Der 32-jährige Sozialarbeiter und Sozialpädagoge leitet seit vier Jahren den Bereich Zeugen- und Prozessbegleitung. Zeugenbegleiter können helfen, Sicherheit zu gewinnen, indem sie im Vorfeld darüber informieren, was einen bei der Aussage vor der Polizei oder vor Gericht erwartet. Das sind Ehrenamtliche, die sich in diesem Bereich engagieren, oder Rechtsreferendare, die im Rahmen ihrer Ausbildung Unterstützung anbieten.

Die Angebote sind im Südwesten nicht flächendeckend

In Baden-Württemberg ist das Netz der Zeugenbegleiter allerdings keineswegs flächendeckend. Prävent

Der Sozialpädagoge Christian Veith kümmert sich um Zeugen, die vor Gericht aussagen müssen. Foto: PräventSozial gemeinnützige GmbH
Sozial etwa ist in diesem Bereich seit fast 20 Jahren mit etwa 30 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern aktiv. Registriert sind solche Angebote außer in Stuttgart aber nur noch in Villingen-Schwenningen, Rottweil, Hechingen, Tübingen, im Heilbronner Raum und in Karlsruhe. Die Fragen, die dabei auftauchen, sind häufig die gleichen. Wie läuft eine Vernehmung ab? Wer ist dabei? Was passiert, wenn ich mich nicht mehr erinnere? „Stabilere Zeugen“, sagt Veith, „liefern verwertbarere Aussagen.“ Bei der Beratung darf es dabei nicht um die eigentliche Tat an sich gehen; das müssen die Betroffenen mit den Ermittlern oder mit Anwälten besprechen.

Schon 2014 hatte Prävent Sozial deshalb die Idee zu einer Website, auf der die wichtigsten Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven beantwortet werden. Die Organisation bewarb sich mit dem Konzept für zeugeninfo.de bei dem von mehreren Unternehmen getragenen Verein Startsocial, der unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht, um eine Förderung. Unter 300 Bewerbungen gehörte die Idee zu den 25 Auserwählten, als einzige soziale Initiative aus Baden-Württemberg. Nach Anlaufschwierigkeiten entwickelten IBM-Studenten für Prävent Sozial die Website. Vor knapp drei Jahren ging zeugeninfo.de 2016 an den Start. Allerdings fehlte es an Geld, um die Seite kontinuierlich zu betreuen. Für das Internetangebot wurde deshalb zurückhaltend geworben, die Nutzerzahlen waren dementsprechend gering.

Seit das Jusitzministerium fördert, steigen die Nutzerzahlen

Seit Mitte 2017 steuert das baden-württembergische Justizministerium jedes Jahr 75 000 Euro für das Projekt bei. Seitdem sind die Nutzerzahlen kräftig gestiegen. Mittlerweile klicken wöchentlich teils mehr als tausend User zeugeninfo.de an. Die kommen vor allem, aber nicht nur aus dem Bundesgebiet: auch in Österreich oder in den USA nutzt man die Website, das haben die Datenauswertungen ergeben. Gezeigt hat sich auch: Gerade für Kinder als Zeugen besteht eine große Nachfrage. Auf den Kinderseiten von zeugeninfo.de erklärt Max, die Gerichtsmaus, was sie erwartet, wenn sie vor dem Kadi aussagen müssen. Und just diese Seiten, sagt Veith, gehören zu den Top 3 der meistgeklickten bei der Homepage. Das zeige die Nachfrage. „Es ist schlimm, dass so viele Kinder in der Situation sind, aber schön, dass wir helfen können.“ Prävent Sozial würde den Bereich der Onlineberatung gerne stärken. Schon jetzt nutzen zwei bis drei Betroffene jede Woche das Angebot, um über das Internet mit den Stuttgarter Helfern zu kommunizieren. Gerade für Jüngere sei das ein guter Weg. Außerdem arbeitet das Unternehmen an Übersichtsseiten mit einfacher Sprache für Menschen mit leichten Behinderungen. Zudem soll das Internetangebot auch mehrsprachig ausgebaut werden.

Und: für die psychosoziale Prozessbegleitung ist ein eigener Intranetbereich geplant. Seit Januar 2017 besteht ein Rechtsanspruch insbesondere für Kinder und Jugendliche, die Opfer schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten geworden sind, und besonders schutzbedürftige Erwachsene, die schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten mit erheblichen Tatfolgen erlebt haben.

Das Land hat eine Koordinierungsstelle eingerichtet

Diese psychosozialen Prozessbegleiter werden eigens fortgebildet in Viktimologie, der Opferforschung, der Kriminologie und den prozessualen Abläufen und müssen sich von den Oberlandesgerichten in Karlsruhe und Stuttgart anerkennen lassen. Aktuell sind in ganz Baden-Württemberg 69 psychosoziale Prozessbegleiter wie Christian Veith registriert.

Sie stehen den Betroffenen nicht nur während des Gerichtsverfahrens zur Seite, sondern während der gesamten Ermittlungs- und Verfahrensdauer und können von Gerichten offiziell beigeordnet werden. „Wir ziehen an allen Strippen, um diese Zeugen so gut wie möglich durch das Verfahren zu bringen“, erzählt Veith, „damit diese Zeugen nicht zum zweiten Mal zum Opfer werden.“ Je früher man beteiligt werde, „desto mehr können wir helfen“. Das Land hat in diesem Jahr eine Koordinierungsstelle für die psychosoziale Prozessbegleitung eingerichtet, um die Qualitätsentwicklung in diesem Bereich zu gewährleisten. „Wir müssen weiter einen Schwerpunkt auf die Opferzeugen legen“, sagt der Justizminister Guido Wolf (CDU). Denn die befänden sich häufig in einer besonders schwierigen Situation.