Mitarbeiterin Caroline Holowiecki hat in Stuttgarter Supermärkten getestet. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

In Stuttgart gibt es seit 2016 einen Unverpackt-Laden. Auch andere Supermärkte reagieren auf den Wunsch der Kunden, möglichst wenig Müll anzuhäufen. Doch wie einfach ist es wirklich, plastikfrei einzukaufen? Wir haben es getestet.

Stuttgart - Ein Einkauf beschert einem nicht nur einen gut gefüllten Kühlschrank oder eine gut gefüllte Vorratskammer, sondern meist auch viel Verpackungsmüll. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft fallen bei jedem Bundesbürger 37,4 Kilogramm Abfall aus Plastikverpackungen an – jährlich.

Dagegen steht das wachsende Bewusstsein vieler Bürger und der Politik, unnötigen Verpackungsmüll zu vermeiden. So hat die EU Ende 2018 ein Verbot für Einwegplastik auf den Weg gebracht. Doch wie schwierig oder einfach ist es im Alltag, Verpackungen beim Einkaufen zu vermeiden? Wir haben es getestet – mit einem vermeintlich simplen Einkaufszettel: ein Liter Vollmilch, drei Orangen, eine Gurke, 500 Gramm Müsli und 100 Gramm Gouda. Dass es diese Waren frei von Verpackung im Unverpackt-Laden gibt, ist zu erwarten – aber wie sieht es im Supermarkt, im Discounter und im Bioladen aus? Wie verbraucherfreundlich sind die Geschäfte beim Wunsch nach unverpackten Lebensmitteln? Und wie teuer muss das gute Gewissen bezahlt werden?

Supermarkt

Die Suche nach unverpackten Lebensmitteln scheint einfach. Zweierlei Orangensorten, lose in Kisten, stehen direkt am Eingang, sämtliche Gurken sind nackig. Ebenso flüssig läuft’s bei der Milch. Mehrere Sorten in Glasflaschen warten im Kühlregal. Wermutstropfen: Die Eigenmarke im Tetrapak gäbe es schon für 70 Cent und damit für weniger als die Hälfte der günstigsten Milch in der Flasche plus Pfand.

An der Käsetheke wird seit Sommer offensiv dafür geworben, ein Gefäß mitzubringen – nur kein Glas, mahnt die Verkäuferin, aus Sorge vor Scherben. Das Prinzip ist simpel. Die Verkäuferin stellt ein Tablett auf die Theke, der Kunde platziert darauf seine offene Dose, die Verkäuferin nimmt alles zu sich, befüllt die Dose – ohne Extrapapier – und reicht das Tablett wieder rüber. Die günstigsten Goudascheiben aus dem Kühlregal hätten zwar nicht mal die Hälfte gekostet, dafür gibt es einen kostenlosen Plausch. Der Marktleiter Willi Bauer glaubt ans Öko-Shopping: „Das wird die Zukunft sein.“ Edeka lasse ihm weitgehend freie Hand in puncto Nachhaltigkeit, plastikfreie Alternativen wolle er aber von sich aus vorantreiben. Schon jetzt gibt es in seiner Obstabteilung Papiertüten und Textilnetze. „Die Kunden sagen, das ist eine tolle Idee.“

Einzig am übervollen Müsliregal scheitert der plastikfreie Einkauf. Das einzige Schokoprodukt ohne Folie ist eine 1,7-Kilo-Großpackung für 7,99 Euro. Die wesentlich kleinere Packung ist nur von außen plastikfrei. Im Karton aber ist das Müsli noch mal in Plastik verpackt.

Orangen (0,76 kg): 1,90 EuroGurke: 1,49 EuroMilch: 1,29 Euro plus 15 Cent PfandMüsli (600g): 3,19 EuroKäse (106g): 1,58 Euro Gesamtsumme: 9,60 Euro

Unverpackt-Laden

Verpackungen? Gibt es bei Schüttgut nicht. Seit Mai 2016 gibt es den Unverpacktladen im Westen. Jens-Peter Wedlich bietet an die 800 Produkte an – Süßigkeiten in Gläsern, Waschmittel zum Zapfen, Nudeln zum Abfüllen, ebenso zweierlei Schokomüslisorten. Bevor der Kunde Waren in sein mitgebrachtes Gefäß füllt, wird die Box gewogen und mit einem Aufkleber versehen. Dann geht’s ans Zapfen und Abfüllen - und das macht tatsächlich Laune. „Das hören wir immer wieder“, sagt Jens-Peter Wedlich, „das ist ein Erlebnis wie im Kaufmannsladen.“ Einziger Nachteil: Für Ungeübte ist es schwer, das Gewicht richtig einzuschätzen. Ins mitgebrachte Gefäß passen am Testtag gerade mal knapp über 400 Gramm. „Dafür ist der Kunde Herr über seine Entscheidung, zu kaufen, wie viel er tatsächlich möchte“, so der Chef.

Die Orangen liegen einzeln in der Auslage, dafür gibt es keine Gurken, da sie aktuell keine Saison haben. Auch Gouda hat Schüttgut nicht, „wir haben mit Absicht keine 08/15-Sorten, sondern nur regionale aus dem Allgäu oder Hohenlohe“. Verpackt wird der Käse in eine mitgebrachte Dose. Die Milch ist sechs Cent teurer als dasselbe Produkt im Biomarkt, doch dafür gibt es eine individuelle Beratung und – damit wirbt Jens-Peter Wedlich – faire Preise für die Erzeuger. Bei der Klientel kommt das an. Der Laden ist am Testtag gut besucht. Bis zu 70 Kilometer Anfahrt nehmen einzelne Kunden auf sich, sagt Wedlich.

Orangen (1,11 kg): 3,22 EuroGurke: ----Milch: 1,55 Euro plus 15 Cent PfandMüsli (407g): 2,40 EuroKäse (103g): 2,05 Euro Gesamtsumme: 9,37 Euro

Discounter

Der erste Eindruck beim Testkauf ist: Es wird schwierig. Und er soll nicht trügen. Plastikfrei einkaufen ist beim Discounter nahezu unmöglich. Die Vollmilch gibt es im Tetrapak oder in der Plastikflasche. Auch den Käse gibt es nur in dicke Folie eingeschweißt – und das auch in recht großen Packungen.

Beim Schokomüsli kann der Kunde zwischen zwei Schokovarianten zu 750 Gramm wählen, beide im Karton inklusive Plastiktüte darin. Und auch die Gurke, ob bio für 99 Cent oder normal für 89 Cent, ist ohne Plastikschlauch nicht verfügbar. Lidl-Sprecherin Sonja Kling weist jedoch darauf hin, dass das Unternehmen das Ziel verfolge, den Plastikverbrauch in den deutschen Filialen bis 2025 um mindestens 20 Prozent zu reduzieren. Seit etwa einem Jahr verzichte Lidl als erster Discounter in Deutschland auf den Verkauf der Standardplastiktüte und spare damit jährlich über 100 Millionen der Beutel ein.

Für eine Überraschung ist die Lidl-Filiale dann aber doch gut. Orangen gibt es einzeln und auch verhältnismäßig günstig. Etwa die Hälfte des Obstes und des Gemüses ist unverpackt, „in Zukunft wollen wir diesen Anteil weiter ausbauen“, teilt Sonja Kling mit, sie sagt aber auch: „In vielen Bereichen sind Lebensmittelverpackungen allerdings unabdingbar. Sie sorgen für die Transportfähigkeit und Frische, beugen beispielsweise Wasserverlust vor, machen Lebensmittel länger haltbar und reduzieren so Lebensmittelverluste.“

Orangen (1,17kg): 2,22 EuroGurke: 0,89 EuroMilch: 0,70 EuroMüsli (750g): 1,79 EuroKäse (450g): 2,09 Euro Gesamtsumme: 7,69 Euro

Bio-Supermarkt

Verpackungsfreies Obst und Gemüse? Im Biomarkt kein Problem. Die Orangen gibt es ebenso ohne Netz wie die Gurke ohne Folie. Marktleiter Nico Hoffmann betont, dass ihm Nachhaltigkeit ein Anliegen sei. Die Plastiktütchen in der Obstabteilung seien aus Kokosfasern, alternativ gibt es Papiertüten. Einige Produkte sind aber auch hier in Plastik eingepackt. Und manche Verbraucher verlangten sogar nach Plastik – aus Komfortgründen.

In der Sillenbucher Naturgut-Filiale darf der Kunde seit etwa einem Vierteljahr seine eigenes Gefäß zum Käseeinkauf mitbringen, offensiv angepriesen wird die Möglichkeit aber bislang nur im Sozialen Netzwerk Facebook – im Laden selbst nicht. Und es wirkt auch so, als sei das Interesse an dem Service seitens der Mitarbeiterin nicht allzu groß. Der Aufwand ist auch etwas größer. In die Tipperdose des Kunden kommt der Käse samt Papier, danach muss der Mitarbeiter die Dose um den Thekenbereich herum zurück zum Kunden tragen. Der Marktleiter Nico Hoffmann bekennt: „Es ist umständlich.“ Dennoch ist er sicher: „Es wird und sollte mehr werden.“

Deutlich reibungsloser geht es beim Milchkauf zu. Der Preisunterschied zwischen der günstigsten Tetrapak-Vollmilch im Kühlregal und der Milch aus der Flasche ist bei 34 Cent plus Pfand deutlich. Was überrascht: Im meterlangen Müsliregal muss man lange suchen, um eine Schoko-Hafer-Variante ohne Folie zu finden. Mit 3,49 Euro für 425 Gramm ist der Preis zudem knackig.

Orangen (0,66kg): 1,32 EuroGurke: 1,99 EuroMilch: 1,49 Euro plus 15 Cent PfandMüsli (425g): 3,49 EuroKäse (156g): 1,86 Euro Gesamtsumme: 10,30 Euro

Fazit

Plastikverpackungen beim Einkaufen zu vermeiden ist in vielen Fällen nicht schwierig. Allerdings bedarf es auch der Eigeninitiative. Denn nicht immer wird etwa die Möglichkeit, eigene Boxen an die Frischetheke mitzubringen, explizit beworben – so die Erfahrung bei unserem Test. Doch auffallend viele Händler zeigen sich aufgeschlossen. Aber auch der Kunde muss offen sein – und zwar dafür, im Zweifel in mehrere Geschäfte gehen zu müssen, um alles plastikfrei zu bekommen, was auf dem Einkaufszettel steht.

Geld
Ein anderes Ergebnis unseres Tests ist aber auch, dass das Öko-Shopping ins Geld geht. Die Verkäuferin, die den Käse in die Tupperdose füllt, will ebenso bezahlt werden wie der Bauer, der nicht mit der Großmolkerei kooperiert. Die Menge macht in der Regel den Preis. Doch es gibt Sparmöglichkeiten. Wer etwa im Unverpacktladen wirklich nur das kauft, was er auch verzehren möchte, vermeidet, dass die Lebensmittel zu Hause vergammeln – und am Ende dort landen, wo sie keiner haben will: im Müll.