Gleichberechtigung auch aller sexuellen Orientierungen? Schwule und Lesben? Homo-Ehe? Ein großes Thema auf dem Kirchentag Foto: dpa

Gender, Homo-Ehe, Homo-Heiler, neue Familienformen – der Kirchentag hat, kaum begonnen, sein Streitthema. Auch wenn das Zentrum Gender und Regenbogen „nur“ in Kirchen zu finden sind, sind die Themen doch überall auf dem Kirchentag und Christustag präsent und werden heftig diskutiert.

Stuttgart - Gender ist ein Reizwort. Vor allem auf diesem Kirchentag. Gleiche Rechte für Männer und Frauen. Da kann noch jeder zustimmen. Gleichberechtigung auf allen gesellschaftlichen und beruflichen Ebenen. Auch das noch. Aber Gleichberechtigung auch aller sexuellen Orientierungen? Schwule und Lesben? Homo-Ehe? Gleichgeschlechtliche Partnerschaften genauso zu akzeptieren wie die klassische Ehe von Mann und Frau? Und dann womöglich noch ein uneingeschränktes Adoptionsrecht für Homo-Paare? Das geht manchem Kirchentagsbesucher dann doch etwas zu weit. Und nicht nur frommen Pietisten, die sich an diesem Donnerstag zum Christustag in der Porsche-Arena treffen.

20.000 bis 25.000 mögen es sein, die sich hier versammelt haben. Gesittet geht es zu, fromm und andächtig. Nicht so laut, ausgelassen und frenetisch wie am Abend der Begegnung. Alles ist verhaltener – die Musik, der Sound, die Lieder. Nur die Stimmen der Redner sind weniger verhalten. Homo-Ehe? Das geht gar nicht. Da sind sich die meisten hier einig. Die Ehe von Mann und Frau ist gottgewollt. Das steht in der Bibel. Seid fruchtbar und mehret euch. Auch das geht nur mit Mann und Frau. Wie soll, wenn das Wort Gottes über allem steht, dann der Gesetzgeber ein neues Recht schaffen, in dem alle – Heterosexuelle, Homosexuelle, Bisexuelle und Transsexuelle – gleichberechtigt sind? Hat die gesellschaftliche Emanzipation nicht dort ihre Grenzen, wo sie die Grenzen des biblischen Gesetzes überschreitet oder vermeintlich oder tatsächlich widerspricht?

Viele sind der Meinung: Homosexualität sei eine „Krankheit“

Fragen, die nicht nur württembergische Pietisten umtreiben. Wüstenstrom, ein Verein, der Homosexuelle „heilen“ will, hat das Kirchentagspräsidium nicht zum Markt der Möglichkeiten zugelassen. Kein Stand für solche, die andere, in dem Fall Schwule und Lesben, diskriminieren, hat die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär, als Losung ausgegeben. Den Pietisten und ihren Wortführern von der Lebendigen Gemeinde hat das im Vorfeld gar nicht gefallen. Und sie machen aus ihrer Meinung keinen Hehl. „Falsch“ sei das, die „Bruderschaft des Weges“ nicht offiziell einzuladen, meint ein Christustag-Besucher. Jeder müsse willkommen sein – egal, ob er zu den messianischen Juden oder den „Homo-Heilern“ gehöre.

Offen sagen will es in der Porsche-Arena ja keiner, aber hinter vorgehaltener Hand, sagt man’s doch: Homosexualität sei eine „Krankheit“, und wer sie auslebe, müsse „geheilt“ werden. Ganz so sektiererisch ist diese Ansicht nicht. Auch in der katholischen Kirche gibt es viele Gläubige und nicht wenige Bischöfe und Priester, die ähnlich denken. Den Sünder von seinem sündhaften Tun abbringen, dass sehen manche Evangelikale als ihren Auftrag an.

„Da kann man doch was machen…?!“ lautet das Thema der Diskussionsrunde in der Michaelskirche in Wangen. Das Zentrum Regenbogen hat hier während des Kirchentages geöffnet. Für „Neugierige und Interessierte“, wie es heißt, die sich über andere als heterosexuelle Orientierungen informieren wollen. Die „Umpolungsversuche an Lesben/Schwulen und ihre Folgen werden an diesem Donnerstagvormittag diskutiert. Heftig diskutiert.

Wenige Kilometer entfernt hat das Zentrum Gender seine Zelte in der Leonardskirche aufgeschlagen. „ „Wer hat Angst vor Gender? Stimmungslagen, Stimmungsmache und neue Stimmen“ heißt hier das Thema. Dass Gender ein Reizwort ist, ist den Machern des Kirchentages klar. Aber an dem Thema kommt man nicht vorbei. Und auch wenn sich damit nicht die großen Hallen füllen lassen, ist es doch ein Thema von enormer Brisanz.

Hat die traditionelle Familie auf dem Kirchentag keinen Platz mehr?

Homosexuelle Pfarrer dürfen inzwischen mit ihrem Lebensgefährten im Pfarrhaus zusammenleben. Dasselbe gilt für Pfarrerinnen. In den norddeutschen Landeskirchen ist das längst keine Ausnahme mehr. Das Klima dort ist liberaler, der Protestantismus offener als in Württemberg, wo der Pietismus das Leben in den Gemeinden und Hauskreisen stark prägt. Es ist ein Kreuz mit der Lust – auch in der evangelischen Kirche. Homo-Ehe? Für Pietisten geht das gar nicht. Da hört die Toleranz auf. „Sexualität. Lustvoll, männlich, weiblich und mehr“ – so 'das Thema am Samstag um 15 Uhr in der Leonardskirche -, davon wollen sie nichts wissen. Die Bibel hat immer Recht. Und in der Bibel ist nur die Verbindung von Mann und Frau von Gott gesegnet. Ende der Debatte.

Dass es auf diesem Kirchentag kein Zentrum der Familie gibt, dafür aber eines für Gender und Regenbogen, irritiert viele Gläubige – um es gelinde auszudrücken. Man könnte auch sagen: Viele, vor allem konservative und traditionsbewusste fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Hat die traditionelle Familie auf dem Kirchentag keinen Platz mehr? Verliert vor lauter neuer Wege in der Seelsorge die klassischen Themenfelder und Gruppen aus den Augen?

Erstmals auf einem Kirchentag gibt ein Gender- und Regenbogen-Zentrum. Dort wird mit der Bibel gegen Homophobie und für Toleranz gekämpft. Die „Angst vor der Vielfalt von Beziehungsformen“ sollen den evangelischen Christen und der Gesellschaft gleich mit genommen werden. Kirchentage sind immer auch gesellschaftliche Trendsetter, die aktuelle Themen aufgreifen und in den öffentlichen Fokus stellen. Wo sonst kann man auch so offen und ungezwungen diskutieren und streiten. Die Tradition der Stuttgarter Kirchentage verpflichtet. Die Landeshauptstadt war schon 1969 und 1999 ein guter Ort für eine gute Debattenkultur – auch wenn es vielen vor allem 1969 zu weit ging. Damals trennten sich die Wege der Konservativen und Modernisten endgültig. Vom Ende des Kirchentages war die Rede.

Inzwischen ist man aufeinander zugegangen. Kirchentag und Christustag findet erstmals parallel statt, wenn auch organisatorisch getrennt. Aber immerhin gehen die Flügel innerhalb des deutschen Protestantismus aufeinander zu. Jeden Nachmittag um 15 Uhr tragen tragen außerdem Theologen, Politiker und Soziologen in einer Podienreihe in der Fellbacher Schwabenlandhalle den „Streit um die Familie“ aus. „Vielfalt: Chance und Scheitern“ lautet das Thema am Donnerstag, „… auch nicht mehr das, was es mal war!“ am Freitag und „Und es geht doch!“ abschließend am Samstag. Für viele pietistisch geprägte Gläubige der württembergischen Landeskirche und für viele Protestanten darüber hinaus dürfte das der Öffnung, Toleranz und Vielfalt ein bisschen sein. Immerhin stellen die Konservativen in der Landessynode immer noch die Mehrheit, gefolgt von der offenen Kirche. Und auch in der 2,1 Millionen Mitglieder zählenden württembergischen Landeskirche sind die Pietisten in der Mehrheit.

Aber das ist Kirchentag: Die Meinungen prallen aufeinander, der Streit wird ausgetragen, man versucht Bretter über die Gräben zu legen. Typisch protestantisch eben!