Auf ein Gläschen mit Ernest Hemingway: Malcolm Barrett und Abigail Spencer in „Timeless“ Foto: Netflix

Im Serienzeitalter haben Zeitreisen Konjunktur. Netflix bietet aktuell gleich zwei Titel an: Unterhaltsame Thriller­Geschichtsstunden in „Timeless“ und Beziehungsdramen in einem Endzeit-Szenario in „Travelers“.

Stuttgart - Groß ist die menschliche Sehnsucht, durch die Zeit zu reisen, vergangene Epochen zu besuchen, in die Zukunft zu schauen – und hier und da ein paar Korrekturen vorzunehmen. Marty McFly (Michael J. Fox) fuhr in Robert Zemeckis‘ komödiantischem Meisterwerk „Zurück in die Zukunft“ aus dem Jahr 1985 zurück ins Jahr 1955, um dafür zu sorgen, dass seine Eltern zueinanderfinden – sonst würde er aufhören, zu existieren. In Woody Allens ausgeklügeltem Zeitreise-Drama „Midnight in Paris“ (2011) lernte der Protagonist Gil (Owen Wilson), dass Illusionen vom mondänen Gestern das eigene Leben in der Gegenwart nicht voranbringen und seine Flucht in die Vergangenheit nichts anderes ist als die Flucht vor sich selbst.

Heute widmen sich Qualitätsserien allen wichtigen Genre-Themen auf die ihnen eigene, epische Art. Der Streamingdienst Netflix hat aktuell gleich zwei Zeitreise-Stoffe im Programm: „Timeless“ und „Travelers“. In „Timeless“ von Eric Kripke („Supernatural“) soll ein dreiköpfiges Team den vermeintlichen Terroristen Garcia Flynn (Goran Višnjic) aufhalten, der eine im staatlichen Auftrag entwickelte Zeitkapsel gestohlen hat und nun in der Vergangenheit Unheil stiftet. Die Historikerin Lucy (Abigail Spencer) wird aus ihrem bislang sehr beschaulichen akademischen Leben herausgerissen und trifft auf den nicht zimperlichen Spezialagenten Wyatt (Matt Lanter), an dessen Cowboy-Attitüde sie sich zunächst abarbeitet. Der Dritte im Bunde ist der sensible Afroamerikaner Rufus (Malcolm Barrett), der als einziger den herrlich ratternden Prototypen der Zeitmaschine fliegen kann und nun ständig über sich hinauswachsen soll.

„Timeless“ ist eine unterhaltsame Geschichsstunde

Das Team reist in unterschiedliche Epochen und trifft historische Gestalten wie den Bürgerkriegs-Präsidenten Abraham Lincoln, den versoffenen Schriftsteller Ernest Hemingway, das Verbrecher-Pärchen Bonnie & Clyde und den Entfesslungskünstler The Great Houdini. Manche erweisen sich als hilfreich, andere weniger – unterhaltsame amerikanische Geschichtsstunden bieten sie alle. Was „Timeless“ brisant macht, ist eine Verschwörungsebene: Eine geheime Elite-Organisation namens „Rittenhouse“, benannt nach ihrem Gründer, zieht seit der Gründung der USA die Fäden – ähnlich wie die Freimaurer in Dan Browns Bestseller-Roman „Das verlorene Symbol“. In den USA läuft bereits die zweite Staffel von „Timeless“, das deutsche Publikum muss sich noch gedulden.

Bei der kanadischen Serie „Travelers“ dagegen ist die zweite Staffel auch in Deutschland freigeschaltet. Hier lassen sich Menschen aus der Zukunft in die Vergangenheit transferieren, um die Welt zu bewahren vor menschengemachten Katastrophen wie Umweltzerstörung, Überbevölkerung und Nahrungsmangel. Die Ankömmlinge übernehmen die Körper von Menschen kurz vor deren historisch überliefertem Tod. So bekommen sie ein zweites Leben mit einer anderen Persönlichkeit, der FBI-Agent Grant (Eric McCormack, „Will & Grace“), der heroinabhängige Student Philipp (Reilly Dolman), die junge, misshandelte Mutter Carly (Nesta Cooper), der Oberstufenschüler Trevor (Jared Abrahamson) und versehentlich auch die mental eingeschränkte Marcy (MacKenzie Porter). Alle müssen die Päckchen ihrer Wirte weitertragen, ausdifferenziert bis in die Nuancen ihrer Beziehungen.

In „Travelers“ ist alles im Fluss

Zeitreisen sind ein kniffliges Geschäft. Ihre Erfinder haben mit paradoxen Logikproblemen zu kämpfen und die Reisenden gehen permanent das Risiko ein, durch ihre Aktivitäten oder auch nur durch ihre schiere Anwesenheit in der Vergangenheit die Zukunft zu verändern – und damit ihr eigenes Leben in ihrer eigentlichen Gegenwart. In „Timeless“ bekommt Lucy die Risiken und Nebenwirkungen des Zeitreisens gleich zu Beginn zu spüren: Sie kehrt aus der Vergangenheit zurück und stellt fest, dass ihre geliebte Schwester verschwunden ist, eigentlich nie existierte; dafür wird sie mit einem Verlobten konfrontiert, an den sie keinerlei Erinnerung hat. Bei den „Travelers“ haben die Missionen oft nicht den gewünschten Korrektureffekt, dafür ändern sich Parameter in der Zukunft: Mal berichten Neuankömmlinge von einer Rebellion, mal treffen Abtrünnige ein und sabotieren an allen Ecken und Enden – und irgendwann scheint der „Direktor“ in Gefahr, die Künstliche Intelligenz, die in der Zukunft alles steuert.

Demnächst wird eine weitere Serie dazukommen: Der US-Bezahlsender HBO, Produzent großer Erfolge wie „Game of Thrones“, hat die Rechte an Audrey Niffeneggers Roman „Die Frau des Zeitreisenden“ erworben. Sie erzählt die Geschichte des abenteuerlustigen Bibliothekars Henry, der wegen einer genetischen Anomalie unfreiwillig durch die Zeit reist, und der Künstlerin Clare, die sich in ihn verliebt und mit seinem Handicap umgehen muss. Der aus Stuttgart stammende Regisseur Robert Schwentke verfilmte den Stoff 2009 mit Eric Bana und Rachel MacAdams als Mitfühl-Melodram fürs Kino. HBO hat nun den zweimaligen Emmy-Gewinner Steven Moffat engagiert, einen der kreativen Köpfe hinter der Alien-Serie „Doctor Who“ und der Krimi-Serie „Sherlock“ mit Benedict Cumberbatch. „Die Frau des Zeitreisenden“ ist das dritte Erstliga-Projekt, das HBO binnen kurzer Zeit ankündigt neben J. J. Abrams’ („Star Wars“) „Demimonde“ and Joss Whedons („Avengers“) „The Nevers“, zwei Science-Fiction-Stoffen. Der Bezahlsender punktet damit in der harten Konkurrenz zu Streamingdiensten wie Netflix und Amazon.

Er habe Niffeneggers Roman vor vielen Jahren gelesen und sich in ihn verliebt, sagte Moffat dem Branchenmagazin „Deadline“: „Tatsächlich habe ich die ,Doctor Who‘-Episode ,The Girl In The Fireplace‘ als Reaktion darauf geschrieben. Als Audrey in ihrem nächsten Buch eine Figur genau diese Episode anschauen ließ, war mir klar, dass sie mich wohl ertappt hatte.“ Nun kann Moffat den Roman selbst adaptieren und ist überzeugt: „Die schöne neue Welt des Langformat-Fernsehens ist jetzt bereit für diese Art von Tiefe und Komplexität.“

Man darf gespannt sein, ob und wie es Moffat gelingt, sich nicht in den Tücken der Zeit zu verheddern.