Die Jobvermittler der Bundesagentur für Arbeit (BA) sollen Arbeitslose verstärkt in kleinen und mittleren Unternehmen unterbringen und weniger bei Zeitarbeitsunternehmen. Doch kleine Firmen stellen seltener ein, und viele Arbeitslose haben jenseits der Zeitarbeit gar keine Chance, heißt es bei der BA.
Stuttgart - Christian Rauch (49) spricht mit bayerischem Akzent, und eigentlich lacht der gebürtige Regensburger auch gern – wenn es nicht gerade um das Thema Zeitarbeit geht. „Es ist ein dickes Brett, das wir hier zu bohren haben“, sagt er den Stuttgarter Nachrichten. Rauch ist seit Ende Juli Chef der baden-württembergischen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA ist in die Kritik geraten, weil der Bundesrechnungshof das interne Zielsystem moniert hat, das den Vermittlern nach Angaben der Rechnungshüter falsche Anreize setze. Das will die BA jetzt ändern, erteilt überzogenen Erwartungen aber eine Absage.
In dem Prüfbericht, der den Stuttgarter Nachrichten vorliegt, kritisieren die Rechnungshüter, dass die BA-Mitarbeiter die internen Zielvorgaben nur erreichen können, wenn sie Arbeitslose intensiv in die Zeitarbeitsbranche vermitteln.
„Wir haben die Hinweise des Bundesrechnungshofs aufgenommen und unter anderem das Zielsystem weiterentwickelt“, sagt Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, unserer Zeitung.
„Wir wollen, dass die Menschen nachhaltig in Beschäftigung gebracht werden“, so Becker. Nachhaltig sei eine Stellenbesetzung, wenn die Menschen nach sechs Monaten immer noch im vermittelten Job arbeiten. „Knapp über 70 Prozent der von uns vermittelten Menschen waren 2013 sechs Monate und länger in Beschäftigung.“
BA hat Zeitarbeit reduziert
Kritiker bemängeln, dass in der Zeitarbeit oft schlechtere Löhne gezahlt werden als bei den Stammbeschäftigten und dass die Arbeitsverhältnisse oft nur kurz sind. So ist nach drei Monaten nur noch die Hälfte der Zeitarbeiter beim gleichen Zeitarbeitsunternehmen tätig.
Zwar hat die BA die Vermittlungsquote in die Zeitarbeit seit 2011 von 37 auf 31 Prozent gesenkt, Hoffnungen auf eine kurzfristige dramatische Absenkung der Quote erteilen Rauch und Becker aber eine Absage – trotz der geänderten Zielvorgaben. „ Beim Thema Zeitarbeit müssen wir die Realität des Marktes sehen“, sagt Becker.
Wenn der Vermittler die Wahl habe, eine andere unbefristete Stelle zu besetzen, wird er diese zwar vorziehen. Aber: „In unseren örtlichen Arbeitsagenturen kommen 30 bis 50 Prozent der gemeldeten Stellen aus der Arbeitnehmerüberlassung“, so Becker. „Es geht nicht darum, das Geschäft mit der Zeitarbeit liegen zu lassen, sondern darum, mehr Stellen bei den kleinen und mittleren Unternehmen zu besetzen“, sagt Rauch. „Würden wir die Zeitarbeit nicht mehr bedienen, würden wir vielen Menschen eine Chance verbauen“, so Rauch. Es gebe Betriebe wie Daimler, die zum großen Teil Mitarbeiter einstellen, die sie bereits aus der Zeitarbeit kennen. „Der Autobauer hat vor kurzem 250 Menschen eingestellt, davon kamen über 90 Prozent aus der Zeitarbeit.“
Seit einem Jahr arbeitet die BA daran, die Zusammenarbeit mit kleineren und mittleren Unternehmen zu stärken. Jedoch: „Da sieht man keine kurzfristigen Ergebnisse“, sagt Rauch. „Wenn wir zehn Mittelständler ansprechen, erhalten wir maximal in einem Fall eine offene Stelle.“ Der Vorteil liege eher darin, dass der Mittelständler sich an den BA-Mitarbeiter erinnere und sich melde, sobald er wieder eine Stelle zu besetzen habe. „Aus der Zeitarbeitsbranche dagegen erhalten die Vermittler jeden Monat mehrere Stellenangebote“, sagt Rauch.
In Baden-Württemberg gibt es derzeit rund 100 000 Zeitarbeiter
Kein Wunder, dass der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) an der Zusammenarbeit der BA festhalten will. „Die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit ist dem IGZ sehr wichtig“, sagt eine Sprecherin des Verbands den Stuttgarter Nachrichten. „Zwei Drittel aller Zeitarbeitskräfte waren zuvor beschäftigungslos.“ Gerade für diese Menschen bedeute Zeitarbeit oft einen Weg zurück in den Arbeitsmarkt. „Das funktioniert noch besser, wenn Zeitarbeit und BA weiter an einem Strang ziehen.“
Angesichts der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hätten auch die Zeitarbeitsunternehmen zunehmend Schwierigkeiten, Personal zu bekommen, sagt Arbeitsmarktexperte Stefan Sell. „Natürlich ist den Zeitarbeitsfirmen die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur wichtig, schließlich können diese kostenlos von der Infrastruktur der Arbeitsverwaltung profitieren und auf einen riesigen Pool potenzieller Arbeitskräfte zugreifen.“
Kritikern wie Sell ist der Vermittlungsanteil von über 30 Prozent immer noch viel zu hoch. Insgesamt arbeiten in Deutschland nämlich nur 2,5 Prozent der abhängig Beschäftigten in der Zeitarbeit.
In Baden-Württemberg gibt es derzeit rund 100 000 Zeitarbeiter. Das sind 6,1 Prozent mehr als im September 2013. Gemessen an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten macht der Anteil der Zeitarbeiter im Land 2,3 Prozent aus.
Im August haben im Land insgesamt 16 508 Arbeitslose einen Job gefunden (August 2013: 18 930). Davon sind 19,4 Prozent (3208) in der Zeitarbeitsbranche untergekommen. Bei dieser Zahl handelt es sich wohlgemerkt nicht um Vermittlungen durch die Jobcenter, sondern um Arbeitsaufnahmen.
Bundesweit haben zwischen Oktober 2013 und September 2014 rund 2,2 Millionen Menschen eine Beschäftigung aufgenommen – 14,6 Prozent davon bei Zeitarbeitsunternehmen.