Kritik von ganz links und ganz rechts: Harald Martenstein Foto: Bertelsmann

„Zeit“-Kolumnist Harald Martenstein über seine Premiere als Kinoschauspieler und das Ergebnis der Bundestagswahl. Am Freitag, 29. September, 20.15 Uhr, liest der Autor im Stuttgarter Theaterhaus.

Stuttgart - Seine Kolumne „Martenstein“ gehört seit Jahren zu den populärsten Rubriken im „Zeit“-Magazin. Wir sprachen mit Harald Martenstein am Morgen nach der Bundestagswahl.

Guten Tag Herr Martenstein, alles klar bei Ihnen?
Bei mir ist alles klar, ich bin gerade auf dem Sprung, eine biografische Erfahrung erster Güte zu machen.
Nämlich?
Ich fahr gleich zu Dreharbeiten nach Weimar, um im neuen Film von Detlev Buck mitzuspielen.
Wahnsinn, jetzt wird der Star-Kolumnist auch noch Filmstar.
Davon können Sie ausgehen. Buck dreht eine Komödie über Hunde, also genau genommen über Hundehalter, die im Pressemilieu angesiedelt ist. Ich darf die Rolle des Herausgebers spielen – eine Rolle, für die ich im wahren Leben völlig ungeeignet bin. Das wird sicher lustig.
Wie sind Sie an die Rolle gekommen? Mussten Sie dafür was bezahlen?
Nein, die haben mich einfach gefragt. Da bin ich wie aus allen Wolken gefallen. Ich bin ja nun Laie, aber immerhin weiß ich, welcher Ton in Redaktionen herrscht.
Wann kommt der Film ins Kino?
Nächstes Jahr.
Können wir davon ausgehen, dass Sie als ehemaliger Filmkritiker den Film dann auch selbst besprechen?
Das ist eine gute Idee. Das werde ich tun und meine eigenen Darbietungen schonungslos kritisieren.
Herr Martenstein, meine eingangs gestellte Frage, ob bei Ihnen alles klar ist, zielte in eine andere Richtung. Ich wollte wissen, wie Ihre Nacht nach der Bundestagswahl war.
Relativ kurz, wir waren bei einer Wahlparty, in so einer Promi-Butze in Berlin, dem Borchardt, und haben uns da das Ergebnis angeschaut.
Und Sie waren über das Abschneiden der AfD geschockt.
Ich finde, dass es im Grunde ein maßvolles Ergebnis ist. Wenn wir uns die Wahlergebnisse in den USA, in Frankreich oder in Österreich anschauen, müssen wir feststellen, dass die Deutschen mit ihren 13 Prozent AfD noch relativ vernünftig sind. Ich kann zwar die Besorgnis der Leute nachvollziehen, aber 13 Prozent ist so viel nicht. Angeblich sehen 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung die Migrationspolitik der Regierung kritisch. Wenn dann dabei nur 13 Prozent für die AfD herauskommen, zeigt das, dass die meisten Leute recht besonnen sind. Ich kenne übrigens das Geheimrezept, bei dessen Anwendung die AfD schnell wieder verschwinden würde.
Und das wäre?
Die CDU müsste eine Koalition mit der AfD eingehen. Jede Partei, die mit Frau Merkel koaliert, hat anschließend eine Nahtoderfahrung.
Sie sind durch Ihre Lesungen ein vielgereister Mann. Wie erklären Sie sich die 30 Prozent für die AfD in Sachsen?
Ich bin sogar Ostbewohner, mein erster Wohnsitz ist Brandenburg. Aber leider ist mir die sächsische Seele nicht so vertraut wie die schwäbische. Ich weiß nicht, was da los ist.
Womöglich kamen die 30 Prozent auch nicht zu Ihren Lesungen.
Ich hatte in Sachsen immer den Eindruck, dass ganz normale Leute im Publikum sitzen. Für Depression besteht ohnehin kein Anlass, es steht uns mit der AfD ein unglaubliches Spektakel bevor. Da wird es Austritte, Übertritte, Spaltungen und Parteiausschlussverfahren nur so hageln.
Frau Petry und ihr Mann sind nur ein Anfang?
Sicher. Mit Bernd Lucke sind die Rechtsliberalen rausgegangen, mit Frauke Petry die Rechtskonservativen, was dann noch übrig bleibt, kann man sich denken. Die Rechten haben, das habe ich vor vielen Jahren mal geschrieben, lustigerweise immer ein Führerproblem. Für mich ist das der Beweis, dass die Geschichte einen Humorfaktor besitzt. Bei denen will jeder Führer sein.
Wäre es jetzt nicht die Zeit für eine Wählerbeschimpfung?
Nein, das wäre ganz blöd. Da muss ich ganz abgedroschen darauf hinweisen, dass die Sorgen, die manche Leute haben, nachvollziehbar und berechtigt sind. Die Menschen für ihre Ängste zu beschimpfen, wäre das Falscheste, was man machen kann. Der AfD-Erfolg hängt ja auch damit zusammen, dass über manche Dinge wenig diskutiert wurde. Wir in den Medien sind da auch ein bisschen schuld. Als erste Hinweise auf steigende Kriminalitätszahlen auftauchten, habe ich Artikel gelesen, in denen die Statistik so interpretiert wurde, dass das Problem nichts mit der Migration zu tun habe. Man muss die Dinge aussprechen. Und dann muss man sich überlegen, wie man sie auf eine demokratische und nichtrassistische Weise in den Griff bekommt. Diese Probleme müssen auch von der SPD, der CDU und den Grünen angesprochen werden – und die müssen dann andere Lösungen anbieten als die Dumpfbacken.
Wer regelmäßig Ihre „Zeit“-Kolumne liest, bekommt den Eindruck, dass sie politischer wurde.
Ein bisschen vielleicht, das stimmt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass man nicht 20 Jahre lang den gleichen Stiefel schreiben kann. Im Grunde schreibe ich jede Woche das auf, was mir durch den Kopf schwirrt. Das war in den letzten Wochen eher mehr Politisches, das kann in den nächsten Wochen aber auch wieder was ganz anders sein. Aber natürlich ist die politische Korrektheit immer ein Thema, das einen als Autor betrifft. Ich stelle mir immer wieder die Frage: Ist das, was Du gerade denkst, druckbar. Bisher habe ich mich immer im Bereich des Druckbaren bewegt.
Bei Ihrer Lesung im Theaterhaus wird man vor allem Texte von Ihnen hören, die mit dem Kino zu tun haben.
Ich werde aus allen möglichen Büchern lesen, auch aus meinem neuen Buch „Im Kino“. Aber es gibt auch bisher unveröffentlichte Texte und Texte zur AfD. Ich bin in einer Lage, auf die ich ein wenig stolz sein kann: Ich werde sowohl von Rechts- wie auch von Linksradikalen angegangen. Offenbar haben die Leute meine Botschaft verstanden. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass einem von den Rechtsradikalen meist Prügel angedroht werden. Linksradikale wollen mich häufig verbieten lassen.
So gesehen wirken die Linksradikalen sympathischer.
Sagen wir mal so: Verbotsforderungen empfinde ich als eine sehr schwache Form der Sympathiebekundung.