Gedenken an Hatun Sürücü Foto: dpa-Zentralbild

Der Mord an Hatun Sürücü vor zehn Jahren hat Deutschland für das Thema Zwangsehe und den Schutz von Frauen sensibilisiert. „Diese Tat hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt“, sagt Baden-Württembergs Integrationsministerin Öney (SPD).

Berlin - Es war ein brutaler Mord. Einer, der ganz Deutschland erschütterte und irgendwie auch wachrüttelte. Vor zehn Jahren wurde Hatun Sürücü mit drei Pistolenschüssen an einer Bushaltestelle im Berliner Stadtteil Tempelhof hingerichtet. Von ihrem eigenen, damals 19 Jahre alten Bruder Ayhan. Die junge Frau musste sterben, weil sie sich nach einer Zwangsehe von ihrem Mann getrennt und für ein Leben nach westlichen Werten entschieden hatte. Sie legte das Kopftuch ab, feierte Partys, zog ihren kleinen Sohn alleine auf und begann eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin. Ihre kurdisch-türkische Familie fühlte sich durch das Verhalten in ihrer Ehre verletzt – es war das Todesurteil der damals 23-Jährigen.

Seit dem sogenannten Ehrenmord an Hatun ist seitens der Politik viel über Integration, Zwangsehe und Verschleppung von jungen Frauen mit Migrationshintergrund debattiert worden – und auch geschehen. „Diese Tat hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt“, sagte die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) den Stuttgarter Nachrichten. Deshalb habe sie seit ihrem Amtsantritt im Land Maßnahmen zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung und von Gewalt im Namen der Ehre hohe Priorität eingeräumt. „Bei diesem Problem dürfen wir nicht wegschauen“, sagte Öney.

Zwar gibt es mittlerweile bundesweit deutlich mehr qualifizierte Beratungsangebote und Hilfe- und Schutzeinrichtungen für Betroffene als noch 2005. Außerdem ist Zwangsverheiratung seit 2011 ein eigener Straftatbestand in Deutschland; in vielen Mordfällen werden vermeintlich verletzte Ehrgefühle der Familie nicht mehr strafmildernd berücksichtigt. Doch trotz aller Bemühungen kommen Gewalt und Morde im Namen der vermeintlichen Ehre an Mädchen und Frauen sowie homosexuellen Männern auch zehn Jahre nach dem Sürücü-Fall noch vor.

Einer Studie des Bundeskriminalamtes zufolge ist eine Liebesbeziehung meist Auslöser für den sogenannten Ehrenmord. Erst vor kurzem wurde in Berlin eine hochschwangere 19-Jährige von ihrem türkischstämmigen Ex-Freund und einem Komplizen erst mit Messerstichen verletzt, dann lebendig verbrannt. Der mutmaßliche Haupttäter ist geständig. Der Grund für die bestialische Tat: Er habe das Kind nicht gewollt. Ein anderer Fall ereignete sich vor wenigen Tagen in Darmstadt. Ein Pakistani erwürgte die eigene Tochter. Das Motiv, so glauben die Ermittler: Die 19-Jährige wollte einen Mann heiraten, den ihr Clan nicht akzeptierte.

Für die Geschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, Christa Stolle, sind die jüngsten Taten Beleg, dass es noch viel zu tun gibt: „Die bisherigen Initiativen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte sie in Berlin, „wir brauchen flächendeckend Präventions- und Unterstützungsangebote.“ Das bedeute, es brauche mehr als Projektarbeit, die nach wenigen Jahren wegen fehlender finanzieller Mittel wieder eingestellt werde.

In Berlin werden an diesem Samstagmittag Hunderte Menschen erwartet, die an einem Gedenkstein an Hatun Sürücü und die schreckliche Tat erinnern wollen.

Ihr Bruder Ayhan, der im Juli 2005 vom Landgericht wegen Mordes zu neun Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war, ist unterdessen nicht mehr in der Hauptstadt. Er wurde nach seiner Freilassung im Sommer 2014 in die Türkei abgeschoben. Dort lebt er mit seinen Brüdern Mutlu und Alpaslan, denen eine Tatbeteiligung zunächst nicht nachgewiesen werden konnte.

Als der Bundesgerichtshof die Freisprüche 2007 wieder aufhob, hatten sie sich bereits in die Türkei abgesetzt. Sie werden nach wie vor mit internationalem Haftbefehl gesucht. Die türkischen Behörden lehnen es aber ab, die Brüder auszuliefern.

Übrigens: Reue zeigte Ayhan nie. In einem Dokumentarfilm brüstete sich der Mörder stattdessen noch: „Ich war mit mir selbst zufrieden.“ Er habe die Ehre seiner Familie wiederhergestellt. Man fragt sich allein: was ist das nur für eine Ehre?