Vor zehn Jahren hat der Chocolatier Kevin Kugel seine Schokoladenmanufaktur gegründet. Anlass für uns, im Pralinenworkshop auszuprobieren, wie die kleinen Genussbomben hergestellt werden. Und man erfährt auch, warum die Schokoladenpreise explodieren.
Passt rosa Pfeffer zu Tonkabohne? Vanille zu Maracuja? Gin zu Rote Bete? Es gibt viel zu entscheiden beim Pralinenworkshop des Sindelfinger Chocolatiers Kevin Kugel. Nicht nur, welche Aromen harmonieren, sondern auch, ob dunkle oder Vollmilchschokolade verwendet wird oder der Trüffel mit Goldbröseln oder Kornblumen bestreut werden soll. An diesem Nachmittag sind vierzehn Teilnehmer in Kevin Kugels Schokoladenmanufaktur gekommen, um beim Workshop selbst Hand anzulegen.
Es ist eine bunt gemischte Gruppe: Stefan aus Aidlingen löst mit seinem Freund Christoph einen Gutschein ein. „Ich koche und backe gerne, vor allem Nachtische“, sagt er. Die beiden haben sich für Trüffel mit Mango-Maracuja, Rosenblättern und Batida de Coco entschieden. „Mal gucken, wie’s schmeckt“, sagt Stefan. Esther Knecht hat sich angemeldet, weil sie zuhause oft Pralinen macht und auf Tipps hofft, wie diese noch besser werden. Dann sind da noch zwei Schwestern aus Mössingen, die Kugels Köstlichkeiten immer genießen, wenn sie zu Ikea fahren. Auch ein Mutter-Tochter-Paar aus Böblingen ist dabei und notiert gewissenhaft jeden Arbeitsschritt. „Das ist eine große Batzelei“, sagt die Mutter und lacht.
Kevin Kugel stellt den Teilnehmern zwei Rezepte zur Wahl: Formpralinen mit Füllung oder Trüffel, bei denen Schokolade, Sahne und Aromen vermengt und zu Kugeln gerollt werden. Beides macht der Chocolatier Schritt für Schritt vor. Für die Formpraline lässt er Sahne, Himbeermark und einen Rosmarinzweig aufkochen, füllt den Sud in eine Schüssel mit Schokoladenplättchen und schwenkt sie, bis eine homogene, glänzende Masse entsteht. Regel Nummer eins: grammgenau arbeiten. „Anfangs war das schwer. Ich habe Koch gelernt, da gibt es keine Waage“, sagt Kugel. Regel Nummer zwei: Bloß nicht mit dem Löffel rühren, sonst kommen Luftbläschen in die Masse. Regel Nummer drei: „Je besser die Rohzutaten sind, desto besser schmeckt die Praline.“
Dass die Rohschokolade, die der 38-Jährige selbst herstellt, qualitativ in der Champions League spielt, hat der Chocolatier den Teilnehmern zu Beginn des Workshops in einer Schokoladenverkostung nahegebracht. Er bezieht seine ungespritzten Kakaobohnen von Bauern, die er persönlich kennt, aus den Ländern Ecuador, Peru, Mexiko und Dominikanische Republik. Je nach Land und je nach Sorte schmeckt der Kakao mal erdig, mal nussig. „Wie bei Äpfeln gibt es viele Sorten mit verschiedenem Süße- und Säuregehalt“, sagt Kugel. Bei Industrieschokolade würden viele Sorten zusammengemischt – ein geschmacklicher Einheitsbrei.
Der Kakaopreis explodiert
Qualität hat ihren Preis: Kugel zahlt seinen Bauern das 1,7-fache des Fairtrade-Preises und das Vierfache des Weltmarktes. Dass der Kakaopreis seit Jahresbeginn explodiert ist, nennt der Chocolatier einen „kompletten Albtraum“. Warum das so ist, kann er selbst nicht verstehen; er vermutet den Grund neben schlechten Ernten darin, dass Kakao an der Börse gehandelt wird. „Für Lebensmittel gehört das verboten“, findet er. Viele Hersteller hätten noch Vorräte oder laufende Verträge, Kugel rechnet aber zu diesem oder spätestens nächstem Weihnachten mit einem starken Preisanstieg von Schokolade.
Zurück zum Workshop: Kugel schneidet eine Kakaofrucht auf und zeigt etwa 30 mit weißem Fruchtfleisch überzogene Kerne. Er erzählt, dass diese noch im Ursprungsland in Kisten gepackt werden, wo in der Hitze die Fermentation beginnt. Das sei eine schleimige, stinkende Angelegenheit. „Wenn Sie das riechen, würden Sie sagen: Das esse ich niemals“, sagt Kugel. Doch dieser Gärvorgang sei wichtig, weil sich dabei das Aroma entfalte. Anschließend breiten die Kakaobauern die Bohnen zum Trocknen aus. Alle zwei, drei Stunden müssen sie gewendet werden – bei Billigkakao passiere das nicht, weshalb sie häufig zusammenkleben und schimmeln.
In 60-Kilo-Säcken werden die Bohnen verschifft, „dann beginnt unsere Arbeit“, sagt Kugel. Er und seine Mitarbeiter sortieren die Bohnen und rösten sie im Ofen. Die Schale platzt dabei wie bei einer Nuss auf, die inneren Bruchstücke werden gemahlen und zu sogenanntem Kakaolikör verarbeitet. Die Teilnehmer dürfen einen Taler davon probieren: Er riecht wunderbar schokoladig, schmeckt aber noch nicht. Lecker wird es erst, wenn der Kakao zusammen mit Zucker gerührt wird – in der Fachsprache heißt das conchieren –, und zwar fast zwei Tage lang. Die anfangs dickflüssige Masse wird immer flüssiger und geschmeidiger, Säure und Bitterstoffe verflüchtigen sich.
Der nächste Taler der Verkostung besteht aus 40 Prozent Kakao, 25 Prozent Vollmilch und 35 Prozent Zucker: eine Vollmilchschokolade. Industrielle Schokolade enthalte meist mehr als 60 Prozent Zucker, sagt Kugel, weil er günstig sei und ranzigen Geschmack von minderwertigen Zutaten übertünche; außerdem werde statt Vollmilch- oft günstiges Süßmolkepulver verwendet, das Kakaofett herausgefiltert, teuer verkauft und stattdessen Palmfett zugefügt.
Kevin Kugel gibt Tipps, wie Trüffel und Pralinen gelingen
Nach der Theorie wird es praktisch, die Hobby-Chocolatiers entwerfen ihre Kreationen. Kugel gibt Tipps wie: „Den Rosmarin nicht zu lange kochen, sonst schmeckt die Praline wie Badewasser“, oder erinnert daran, die Schokolade langsam zu schmelzen, damit die Masse nicht krisselig wird. Während die Pralinen-Teams ihre Förmchen in mehreren Schritten befüllen, abstreichen und Luftbläschen herausklopfen, üben sich die Trüffel-Teams darin, die Ganache in Spritzbeutel zu füllen und gleichmäßig auf Tabletts zu verteilen. Während das beim Deutschen Schokoladenmeister mühelos aus dem Handgelenk passiert und ansehnliche Häuflein ergibt, verunglücken jene der Amateure zu braunen Haufen, die gar nicht appetitlich aussehen. Doch Kugel beruhigt alle: Nach dem Abkühlen werden die Haufen per Hand geformt. Sein Tipp: Erst in eine quadratische Form quetschen, dann zügig rollen, damit die Masse nicht in der warmen Hand schmilzt. Zum Schluss werden die Kugeln in flüssiger Schokolade gewendet und in Kakaopulver, Zimtzucker oder Kokosraspel gerollt. Wer das Wort „batzen“ nicht kannte, hat spätestens jetzt einen Begriff davon.
Dem bekennenden Schwaben Kevin Kugel ist es wichtig, dass alle sorgsam mit den Zutaten umgehen. „Bissle mehr auskratzen, da sind noch zwei Gramm drin“, sagt er zu Esther Knecht. Die lacht und sagt: „Ich hab’ vorhin aber auch zwei Gramm mehr abgefüllt.“ Überhaupt wird viel gelacht an diesem Nachmittag, sich ausgetauscht und gegenseitig probiert. Das Fazit einer Teilnehmerin: „In den Pralinen steckt so viel Arbeit drin, die muss man echt mit Genuss essen.“
Zehn Jahre Kevin Kugel
Vita
Nach einer Kochlehre im Gasthof Hasen in Herrenberg macht Kugel eine Konditorausbildung. Er gewinnt bei einem Wettbewerb einen Workshop bei Chocolatier Lothar Buss – ein Schlüsselerlebnis. Er arbeitet bei ihm, später als Chefpatissier im Sternerestaurant des Colombi Hotels in Freiburg, macht den Abschluss als Konditormeister und Betriebswirt an der Meisterschule in Köln. 2013 wird er Deutscher Chocolatier Meister.
Manufaktur
2014 startet Kugel klein in Nufringen, 2020 zieht er nach Sindelfingen um. Dort sind Produktion, Büro, Laden und Café unter einem Dach. Im ersten Stock finden Workshops und Firmenevents statt. Außer Pralinen produziert er Tafelschokolade, Taler, Brotaufstrich oder Schokofrüchte. Grundlage ist immer seine eigene, selbsthergestellte Rohschokolade.
Feier
Am Sonntag, 5. Mai, feiert Kevin Kugel in der Schokoladenmanufaktur, Böblinger Straße 6/1, von 11 bis 18 Uhr eine Jubiläumsparty. Es gibt Vorführungen von Chocolaterie und Patisserie sowie Gerichte von den Sterneköchen Franz Berlin und Boris Rommel sowie vom Keltenhof, Verkostungen von Nicolas Feuillatte Champagner und Axel Bauer Weinen. Kinder können eigene Schokolade herstellen.