Die Chefärztin Ines Vogel (links) und die leitende Hebamme Gudrun Zecha arbeiten Hand in Hand – wenn es nötig ist. Foto: factum

Die Geburtshilfe-Station im Herrenberger Krankenhaus ist als „Babyfreundliche Klinik“ zertifiziert und bietet einen Hebammenkreißsaal an. Damit hat die Klinik ein Alleinstellungsmerkmal – und will die Geburtshilfe nun erweitern.

Herrenberg - Der Blick aus dem Fenster des Kreißsaals im Herrenberger Krankenhaus ist idyllisch: Das Krankenhaus liegt mitten im Grünen. „Das ist den Frauen zwar während der Geburt ziemlich egal – aber davor tut der schöne Ausblick in den Pausen zwischen den Wehen doch gut“, sagt die leitende Hebamme Gudrun Zecha. Deshalb sei sie froh, dass dieser Ausblick und die Atmosphäre den werdenden Eltern auch nach der geplanten Erweiterung der Geburtshilfe-Station erhalten bleibe. Das zumindest steht schon fest, denn die neuen Räume sollen sich auf derselben Ebene befinden wie die bestehenden. Doch sonst ist noch vieles im Unklaren.

 

Dabei laufen die Planungen des Klinikverbunds Südwest, zu dem das Herrenberger Krankenhaus gehört, bereits seit einem Jahr. „Es gibt sehr viel zu beachten – und die Bauvorschriften sind heute ganz andere als zu den Zeiten, in denen das Krankenhaus gebaut wurde“, erklärt Ines Vogel, die Chefärztin der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Da sei es wichtig, vorher alles zu bedenken und akribisch zu planen. Dass die Erweiterung nötig ist, verdanken die Verantwortlichen dem großen Zuspruch, den sie seit Jahren von werdenden Müttern erfahren. Das Einzugsgebiet der Geburtshilfe umfasst laut Ines Vogel 50 Kilometer: „Wir haben auch Frauen aus Karlsruhe oder Tübingen, die bei uns entbinden wollen.“

Klinik wollte Kaiserschnittrate senken und Geburtenzahl erhöhen

Als sie im Jahr 2003 aus Jena an die Klinik nach Herrenberg kam, stand die Entscheidung an, wie man die Geburtenrate steigern kann. „Wir haben uns gefragt, für was wir stehen wollen, und kamen zu dem Schluss: Wir wollen den Fokus auf die natürliche Geburt legen“, sagt Ines Vogel. Damals lag die Kaiserschnittrate bei mehr als 30 Prozent – und das Krankenhaus wollte diese Rate senken.

Als dann Gudrun Zecha die Leitung der Hebammen übernehmen sollte, hatte sie die Idee, einen Hebammenkreißsaal einzurichten. „Das war meine Bedingung, und sie passte zu der Vision von Geburtshilfe, die man hier im Krankenhaus hatte“, erinnert sich die 58-Jährige, die ihren Beruf bereits seit knapp vier Jahrzehnten ausübt. Eine Vision, bei der es um mehr ging, als „die Babys einfach nur irgendwie auf die Welt zu bringen“.

Besonderes Konzept des Hebammenkreißsaals

Um das Angebot zu ergänzen, wurde im Jahr 2009 der Hebammenkreißsaal eingeführt – wobei es sich nicht um einen speziellen Raum, sondern um ein Konzept handelt. Gesunde Frauen, deren Schwangerschaft normal verläuft und deren Kind ebenfalls gesund ist, kommen für eine Geburt im Hebammenkreißsaal in Frage. Vorher müssen sie zu zwei Vorgesprächen mit einer Hebamme in die Klinik kommen. Die Geburt wird von Anfang bis Ende ausschließlich von zwei Hebammen begleitet. Ein Arzt greift nur ein, wenn es zu Schwierigkeiten kommt. „Natürlich werden die Ärzte informiert, wenn eine Frau im Hebammenkreißsaal entbindet“, sagt Vogel. Doch wenn alles glatt läuft, ist keine Einmischung notwendig.

An die erste Geburt im Hebammenkreißsaal im Dezember 2009 erinnern sich sowohl die Ärztin als auch die Hebamme noch gut. „Die Ärzte haben alle mitgefiebert, und wir waren etwas aufgeregt“, sagt Zecha. Schnell stellte sich heraus, dass die Erfahrung mit dem Hebammenkreißsaal auch einen positiven Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen hatte. „Man bekam mehr Verständnis für den anderen“, sagt Ines Vogel. „Wir Ärzte fühlen uns nicht ausgegrenzt“, betont die 54-Jährige. „Auf der anderen Seite ist es für uns Hebammen wichtig zu wissen, dass wir uns jederzeit auf die Ärzte verlassen können, wenn wir Hilfe benötigen“, ergänzt Gudrun Zecha.

Zertifizierung als babyfreundliche Klinik

Zwei Jahre nach der Eröffnung des Hebammenkreißsaals erhielt das Krankenhaus die Zertifizierung als babyfreundliche Klinik. Laut Gudrun Zecha geht es dabei darum, dass die Frauen selbstbestimmt gebären können. Aber auch darum, die frisch gebackene Familie so gut zu unterstützen, dass sie die Klinik mit dem Gefühl verlässt, die neuen Herausforderungen meistern zu können.

„Zusammen mit unserem Schwerpunkt auf der natürlichen Geburt, der Zertifizierung und unserem Hebammenkreißsaal haben wir ein Konzept, das sich auf drei Säulen stützt und uns ein Alleinstellungsmerkmal verschafft“, sagt Ines Vogel. Ein Konzept, das aufgeht: Die Klinik konnte die Kaiserschnittrate auf 20 Prozent senken. Die Geburtenzahl liegt durchschnittlich bei 1400 pro Jahr – das ist doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Davon kommen mittlerweile 170 Babys im Hebammenkreißsaal auf die Welt.

Umfrage unter Wöchnerinnen mit positivem Ergebnis

Auch bei einer aktuellen Umfrage unter den Wöchnerinnen wurde den Mitarbeitern des Krankenhauses ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Behandlung insgesamt wurde von 96,3 Prozent der Befragten mit „gut“ oder besser bewertet.

Allerdings gibt es auch Kritikpunkte, wie die Qualität des Essens, das Entlassungsmanagement und die Schmerzkontrolle während der Geburt. Das hat sich die Chefärztin zu Herzen genommen, sie arbeitet bereits an Verbesserungen. Doch die größte Verbesserung würde mit der geplanten Erweiterung einhergehen. Dadurch sollen vor allem neue Ruheräume für Frauen geschaffen werden, die noch keine starken Wehen haben, aber sicherheitshalber lieber im Krankenhaus warten als zuhause. Die neue Geburtshilfe soll neun Räume umfassen, davon drei bis vier Kreißsäle. „Die Frauen sollen sich jederzeit gut aufgehoben bei uns fühlen“, sagt Gudrun Zecha.

Hebammenkreißsäle in Deutschland:

Das Krankenhaus in Herrenberg hat als eine von bundesweit 18 Kliniken einen sogenannten Hebammenkreißsaal. Das ist sozusagen ein Geburtshaus unter dem Dach und mit den Vorteilen einer Klinik. Frauen, die an diesem Betreuungskonzept teilnehmen, werden bei der Geburt besonders intensiv betreut, damit sie möglichst ohne Schmerzmittel auskommen.

Der erste Hebammenkreißsaal in Deutschland wurde 2003 im Klinikum Bremerhaven Reinkenheide gegründet. In der Region bieten die Stuttgarter Frauenklinik und das Krankenhaus Bietigheim-Vaihingen ebenfalls Hebammenkreißsäle an.