Heilbronn pflegt seinen Nachwuchs: Die Stadt spendiert die Kindergartengebühren – freiwillig. Foto: factum/Weise

Seit zehn Jahren ist für Drei- bis Sechsjährige in Heilbronn der Besuch des Kindergartens gebührenfrei. Die Stadt investiert vier Millionen Euro dafür. Diese Ausgabe mache sich unterm Strich bezahlt, davon ist der Oberbürgermeister überzeugt.

Heilbronn - Die Stadt Heilbronn verteilt an Familien seit zehn Jahren Geschenke. Eltern müssen für die Betreuung ihrer Kindergartenkinder im Alter von drei bis sechs Jahren keine Gebühren bezahlen, egal, ob die Kleinen nur die Regelbetreuung, die verlängerten Öffnungszeiten oder einen Ganztagesplatz in Anspruch nehmen. Damit spendiert die Stadt den Eltern bis zu 5000 Euro pro Jahr.

Als die Gebührenfreiheit am 1. Januar 2008 eingeführt wurde, war Heilbronn deutschlandweit die erste Großstadt mit diesem kostenlosen Service. In Baden-Württemberg tut es nur noch die Stadt Künzelsau den Heilbronnern gleich. Einige Gemeinden im Land spendieren ihrem Nachwuchs zumindest das letzte Kindergartenjahr, Keltern und Straubenhardt im Enzkreis etwa.

Mergel hofft, dass das Heilbronner Beispiel Schule macht

Dem Heilbronner Oberbürgermeister geht das nicht weit genug. Harry Mergel (SPD) hofft, dass sich seine Parteikollegen bei eventuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin durchsetzen mit ihrer Forderung nach entgeltfreier Bildung vom Kleinkind bis zum Studenten. „Das ist eine bessere Investition als in das Kindergeld“, sagt der Rathauschef. Das SPD-regierte Rheinland-Pfalz hat die Gebührenfreiheit für Zwei- bis Sechsjährige vor sieben Jahren als erstes Bundesland flächendeckend eingeführt. Mergel ist überzeugt: Für Heilbronn mache sich die freiwillige Ausgabe von vier Millionen Euro im Jahr unterm Strich bezahlt.

„Damals sind junge Familien aus unserer Stadt in den Speckgürtel abgewandert“, sagt Mergel, der vor zehn Jahren noch Sozialbürgermeister in Heilbronner war. Das sei ein wichtiger Aspekt gewesen, der den Gemeinderat bewogen hat, einstimmig die Gebührenfreiheit zu beschließen. Außerdem leuchte es nicht ein, warum der Schulbesuch nichts koste, Kindergärten als wichtige Bildungseinrichtung aber Gebühren verlangten, so der Sozialdemokrat. „Der gebührenfreie Kindergarten erhöht die Chance, mehr Kinder frühzeitig in den Bildungsprozess zu bringen“, sagt Mergel.

Heilbronn wächst

Der Deckungsgrad im klassischen Kindergartenalter ist mittlerweile überall beträchtlich. Landesweit haben im vergangenen Jahr nach Angaben des Statistischen Landesamtes 94 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen eine Kita besucht. Nirgendwo sonst aber ist die Betreuungsquote so hoch wie in Heilbronn, dort sind es über 97 Prozent. Damit hat der Stadtkreis zugelegt. 2006 wurden nur 94,5 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in einer Einrichtung betreut. Landesweit lag die Quote damals bei 93 Prozent. Und Heilbronn wächst. Der Stadtkreis gehört zu den 19 von 44 Kreisen im Land, in denen 2016 mehr Babys geboren wurden als Menschen gestorben sind.

Die Entscheidung zugunsten der Gebührenfreiheit, darauf legt Mergel Wert, war nur der eine Teil eines Doppelbeschlusses. Der zweite Part bestand in einer Qualitätsoffensive: Die Stadt führte an allen Kitas Sprachförderung ein, stockte den Erzieher-Springerpool auf und stellte alle Kitaleiterinnen frei von der Betreuungsarbeit. 45 Millionen Euro habe die Stadt seit 2007 in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert, sagt Agnes Christner, Mergels parteilose Nachfolgerin im Sozialdezernat. „Und wir investieren immer noch eine ganze Menge.“

Eltern waren anfangs skeptisch

Unlängst hat der Gemeinderat weitere zehn Millionen für neue Kitaplätze beschlossen. Es geht um den Ausbau der Ganztagesbetreuung und um die Schaffung von mehr Krippenplätzen. Mittlerweile gibt es im Stadtgebiet 94 Betreuungseinrichtungen. Etwa ein Drittel davon sind städtisch, der Rest wird von kirchlichen und freien Trägern betrieben – die ihre Gebühren nicht den Eltern, sondern der Stadtkasse berechnen.

Die Begeisterung der Eltern war übrigens keineswegs ungeteilt, als der Gemeinderat die Gebührenfreiheit absegnete. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ zitierte damals eine junge Mutter mit „Was nix kostet, ist nix“. Sie bezahle die Stadt für die Kinderbetreuung, also könne sie auch Ansprüche stellen. Ihre Befürchtung damals: mit der Gebührenfreiheit werde der Einfluss der Eltern abnehmen und die Qualität sinken.

Zentrales Problem bleibt der Erziehermangel

Diese Sorge scheint sich nicht bestätigt zu haben. „Das war noch nie ein Thema“, sagt Michael Kiefer, der Sprecher des Gesamtelternbeirates der Kindergärten in Heilbronn. Zentrales Problem seien wie überall sonst die fehlenden Erzieher. „Die Stadt hat die Gebührenfreiheit nicht eingeführt, weil sie zuviel Geld hat“, sagt der Elternvertreter, sondern weil dies für den Industriestandort ein schlagendes Argument sei im Ringen um Fachkräfte. Dennoch beobachtet Kiefer Veränderungen. „Die Lust an der Kritik nimmt ab“, sagt er. Wenn die Eltern Geld bezahlen müssten für die Betreuung ihres Nachwuchses, vermutet er, gäbe es womöglich auch eine andere Erwartungshaltung an die Einrichtungen. Selbstverständlich ist die Gebührenfreiheit in Heilbronn dennoch nicht. In der Vergangenheit wurde sie mehrfach vom Gemeinderat infrage gestellt – allerdings auch immer wieder bestätigt.

Die Kommunalverbände bewerten das Heilbronner Angebot eher skeptisch. Wer es sich leisten könne, der könne ruhig auch Kinderbetreuungsgebühren bezahlen, heißt es beim Städtetag und beim Gemeindetag. Und bei den Eltern, denen die nötigen Mittel dafür fehlten, springe ohnehin die öffentliche Hand ein. Aktuell verhandeln die Verbände mit der Landesregierung einen Pakt für gute Bildung und Betreuung. Dabei stünden andere Themen an erster Stelle, sagt Benjamin Lachat, der zuständige Dezernent vom Städtetag. So beteiligt sich das Land bei den Kinderkrippen für unter Dreijährige mit 68 Prozent der Kosten. Im klassischen Kindergartenbereich aber ist dieser Förderbetrag gedeckelt bei gut 500 Millionen Euro, trotz steigender Kinderzahlen. Und schließlich brauche man dringend Lösungen für den Fachkräftemangel bei den Erzieherberufen.

Kommt auch in Stuttgart eine Entlastung?

Vorschläge der Fraktionen

Erneut gibt es im Stuttgarter Gemeinderat Bestrebungen, Familien stärker von den Kitagebühren zu entlasten. Am weitesten geht dabei der Vorschlag von SÖS/Linke-plus: Die Fraktionsgemeinschaft fordert, dass der Kitabesuch für alle Kinder bis sechs Jahre grundsätzlich gebührenfrei sein soll, da Kitas zum Bildungssystem gehörten – das würde die Stadt 26,5 Millionen Euro pro Jahr mehr kosten. Die SPD hat beantragt, den Kitabesuch schrittweise gebührenfrei zu machen und künftig neben Familien mit Bonuscard auch Schwellenhaushalte mit Familiencard und einem Einkommen bis 60 000 Euro gebührenfrei zu stellen – das würde laut dem Bildungsreferat mit 2,7 Millionen Euro im Jahr zu Buche schlagen. Rückenwind für diesen Plan erhofft sich die SPD durch die Mehreinnahmen im städtischen Haushalt von mehr als 30 Millionen Euro pro Jahr. Die Freien Wähler wollen mit einer Trennung von Betreuungs- und Bildungszeiten in Kitas einen Teil der Gebühr aufheben.

Die bisherigen Gebühren

In Stuttgart gibt es bisher nur für Kinder mit Bonuscard eine Befreiung, für Kinder mit Familiencard sowie für Geschwister eine Ermäßigung. Regulär kostet ein Ganztagskrippenplatz bis zu 256 Euro, für Drei- bis Sechsjährige bis zu 186 Euro. (