Für Boris Palmer hat es bei Maybrit Illner viel Lob gegeben (Archivbild). Foto: dpa

Bei Maybrit Illner wird der harte Lockdown vor Weihnachten quasi schon eingetütet. Für Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer dürfte es trotzdem ein einigermaßen schöner Abend gewesen sein.

Berlin - Knapp daneben ist auch vorbei. Die überraschend selbstkritische Feststellung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zur deutschen Corona-Politik hat bei der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ den Ton vorgegeben. Der Lockdown light hat nicht geklappt, die Infektionszahlen steigen und steigen, es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der harte Lockdown kommt. Doch einer in der Runde hat das schon vorher gewusst: Boris Palmer. Für den Tübinger Oberbürgermeister war es insofern sowieso ein schöner Abend, der allerdings in einem Punkt ganz anders war, als die vielen Maybrit-Illner-Sendungen zuvor.

Die Moderatorin

Das spöttische Schmunzeln ist ein Markenzeichen von Maybrit Illner. Diesmal war davon nichts zu sehen. Die 55-Jährige, die seit 1999 zur wöchentlichen Talkrunde lädt, musste passen. Sie liege „mit einem blöden Infekt krank zu Hause im Bett“, sagte der Ersatzmoderator Matthias Fornoff. Immerhin, es sei kein Corona, ein Test sei schon negativ ausgefallen, sagte Fornoff. Der moderiert sonst das ZDF-Politbarometer und war konzentriert bei der Sache. Als die Philosophin Svenja Flaßpöhler anregte, Jugendliche zuerst zu impfen, weil die ja häufig Superspreader seien, ohne es zu wissen, wies er sie gleich auf ihren Denkfehler hin. Kurz zuvor hatte Flaßpöhler nämlich noch betont, dass gar nicht sicher sei, ob der neue Impfstoff bloß vor einer Erkrankung schütze oder auch die Weitergabe des Virus verhindere. Sei das nicht der Fall, „wie Sie sagen, wäre es ja sinnlos, die Jungen zuerst zu impfen“, sagte Fornoff.

Die Defensive

Doch wer ist eigentlich schuld daran, dass die Corona-Bekämpfung verbaselt wurde und es jetzt nichts wird mit einem rauschenden Weihnachtsfest? Das eigentlich „wunderbare System des Föderalismus“ habe da wohl seinen Anteil daran, meinte Altmaier. Die Ministerpräsidenten hätten nicht rechtzeitig gehandelt, meinte auch der Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die aus Mainz zugeschaltet war, wollte dieses „Länder-Bashing“ natürlich nicht so stehen lassen. Nichts sei so schwarz-weiß, wie es häufig dargestellt werde. Auch sie würde sich wünschen, es würde im Kreise der Ministerpräsidenten nicht ständig vorgeprescht.

Gleichwohl habe man nicht leichtfertig gehandelt, letztlich sei es im Sommer wegen der geringen Zahlen auch juristisch nicht möglich gewesen, die harten Maßnahmen fortzuführen, auch wenn das die Ausbreitung der Krankheit hätte komplett stoppen können. Manche Gerichtsentscheidung, die zur Aufhebung von Maßnahmen geführt habe, sei tatsächlich nicht nachvollziehbar, sagte der Ärztechef Montgomery. „Da ging es nicht um Unverhältnismäßigkeit, sondern um Dummheit.“

Die Selbstkritik

Auch Montgomery gab sich, seinen eigenen Berufsstand betreffend, zerknirscht. Die Ärzte hätten in aller Öffentlichkeit streitig diskutiert. „Noch nie wurde Wissenschaft so früh nach außen getragen.“ Dies habe zur Verunsicherung der Bevölkerung geführt. Altmaier räumte ein, dass man sich schlicht verschätzt habe. Mitte November habe es noch so ausgesehen, als ob der Teil-Lockdown die Welle brechen könnte. „Keiner konnte sich vorstellen, dass wir jetzt so ein exponentielles Wachstum sehen würden.“ Nachdem der weiche Lockdown daneben ging, habe man nur „noch einen Schuss“, sagte der Wirtschaftsminister.

Der Held

Wenn die Lage nicht so ernst wäre, hätte sich Boris Palmer hier zufrieden zurücklehnen können. Allerdings sieht auch der Tübinger Oberbürgermeister jetzt keine Alternative zu einem harten Weihnachtslockdown. Er sei Mathematiker und habe die Fixierung auf Kulturbetriebe und Gaststätten beim November-Lockdown von Anfang an nicht verstanden, sagte der Grüne. Zusammen mit anderen Rathauschefs hatte Palmer in einem Brief an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann deshalb auch protestiert.

Was er allerdings nicht sagt: seine Strategie ohne Lockdown hätte die Infizierung weiter Teile der Bevölkerung in Kauf genommen. Lob erntete Palmer jedoch von allen Seiten für die Tübinger Strategie, die Risikogruppe der Alten besonders zu schützen. Schnelltests, FFP-2-Masken und spezielle Taxiangebote für Senioren haben dazu geführt, dass es in den vergangenen zwei Wochen keine Corona-Toten in den Tübinger Pflegeheimen gab. „Es ist eine tolle Sache, wenn eine Stadt so voraus geht“, sagte Malu Dreyer. Ausgerechnet derjenige, der im Frühjahr noch Empörung hervorgerufen habe, weil er gesagt hatte, man schütze jetzt diejenigen, die ohnehin in einem halben Jahr tot seien, stellte der Moderator Fornoff fest. Ja, damals habe er im Grunde das Gleiche gemeint, sich nur dumm ausgedrückt, gestand Palmer ein. Auch Altmaier äußerte Lob. Am selben Abend hatten schon die ARD-Tagesthemen über den Tübinger Weg berichtet.

Die Lehre des Abends

Ein harter Lockdown ist nicht zu vermeiden und er dürfte wohl eher vor als nach dem Fest kommen. Nur sagen darf man das noch nicht, „sonst rennen morgen alle in die Stadt, um noch ihre Geschenke zu kaufen“, sagte Malu Dreyer. Weihnachten 2020 werde anders als jedes Weihnachten zuvor und selbst für das Weihnachtsfest 2021 wagte noch keiner eine Voraussage zu machen. Es störe sie, dass die Impfung nun quasi als „Heilsversprechen“ angesehen werde, sagte die Philosophin Flaßpöhler. Die Einschätzung von Palmer stimmte da viel hoffnungsvoller. „Im Sommer haben wir es weitgehend hinter uns. Wir werden nicht die nächsten 20 Jahre Maske tragen.“ Palmer hat aber auch gut reden. Er ist dank seiner Teilnahme an einer Versuchsstudie der Tübinger Firma Curevac schon geimpft.