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Bis zuletzt hatte der Staat versucht, den Strom an Spätaussiedlern zu lenken. Doch diese dürfen ihren Wohnort künftig selbst wählen und dorthin ziehen, wo sie wollen.

Stuttgart - Bis zuletzt hatte der Staat versucht, den Strom an Spätaussiedlern zu lenken. Doch diese dürfen ihren Wohnort künftig selbst wählen und dorthin ziehen, wo sie wollen. Sozialverbände sind froh. Für sie endet damit eine "unzulässige Einmischung in die Bewegungsfreiheit dieser Menschen".

Diese Geschichte beginnt eigentlich im September 2006. Damals schloss die Landesaufnahmestelle für Spätaussiedler in Empfingen (Kreis Freudenstadt) ihre Pforten. Ein erstes Zeichen, wie sich die Situation mit den Spätaussiedlern weiterentwickeln sollte. Im Jahr 2001 waren in Empfingen noch 12.000 Spätaussiedler angekommen - bevor sie vom Regierungspräsidium Karlsruhe in verschiedene Stadt- und Landkreise verteilt wurden. Doch schon fünf Jahre später - zum Zeitpunkt der Schließung - lag die Zahl der Spätaussiedler bei gerade mal noch 1000. Seitdem kommen sie in Deutschland hauptsächlich im niedersächsischen Friedland unter - um dann in die verschiedenen Kreise im Südwesten zu gelangen.

Wohin die Reise geht, das entscheiden die Spätaussiedler künftig selbst - und nicht mehr das Regierungspräsidium. Denn am 1.Januar ist das sogenannte Wohnortzuweisungsgesetz weggefallen. Dahinter steckt nicht etwa außergewöhnlich politischer Wille - sondern einfach die Aussicht auf weniger Bürokratie. Denn die Zahl der Spätaussiedler hat in den vergangenen Jahren weiter abgenommen. Im vergangenen Jahr sind gerade noch 365 nach Baden-Württemberg gekommen. Die Folge: Immer mehr Übergangswohnheime für Spätaussiedler und auch für Asylbewerber machen dicht. Die Kommunen freuen sich über Ersparnisse in Millionenhöhe.

Dass Spätaussiedler auch weiterhin einen festen Wohnort zugewiesen bekommen - dafür macht sich das Innenministerium stark. In einem Info-Schreiben an die Aussiedler, das in mittlerweile allen Übergangswohnheimen ausliegt, heißt es: "Wir empfehlen Ihnen, das Wohnraumangebot der Kreise weiterhin anzunehmen. Nur dort ist eine umfassende Betreuung und Versorgung gewährleistet." Doch gerade diese Angebote lähmten die Eigeninitiative, kritisiert Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Württemberg. Wer an einen bestimmten Ort gebunden sei, scheue sich nun mal davor, anderswo nach Arbeit oder anderen Möglichkeiten zu suchen. "Zum Beispiel ist die Verfügbarkeit von Sprachkursen in den Kreisen sehr unterschiedlich", sagt Fritz Weller vom Caritas-Verband.

Spätaussiedler werden einem bestimmten Ort zugewiesen: Unter dieser bisherigen Praxis hatte unter anderem die Stadt Lahr in der Ortenau zu leiden. Mitte der neunziger Jahre verließen 12.000 kanadische Soldaten die Stadt. Die bundeseigenen Kasernen wurden zum Auffanglager für Spätaussiedler aus Russland. Im Mai 2002 wurde bei einer Schießerei unter Türken und Aussiedlern ein Mann getötet. Kurz darauf starb ein junger Kasache an den Folgen einer Messerstecherei. Noch heute liegt der Aussiedler-anteil in Lahr bei mehr als 20 Prozent.

Von Problemen will Oberbürgermeister Wolfgang Müller (SPD) aber nichts wissen. "Das sind strebsame und arbeitswillige Menschen", sagt er. Die örtliche Industrie sei froh, dass es sie gebe. Schließlich hätten junge Lehrstellenbewerber mit Migrationshintergrund teils beste Zeugnisse vorzuweisen. Finanziell gesehen betrachtet Müller die Integration von Spätaussiedlern allerdings als "große Aufgabe". 1,2 Millionen Euro müsse die Stadt jedes Jahr dafür verwenden - unter anderem für zweisprachige Beratungsdienste. Bund und Land übernehmen 300.000 davon. "Doch der Löwenanteil bleibt bei der Stadt."

Auf finanzielle Belastungen will Müller die Arbeit mit Spätaussiedlern jedoch nicht beschränken. Schließlich würden diese als deutsche Volkszugehörige nach Baden-Württemberg übersiedeln. "Das ist auch die Bewältigung deutscher Geschichte."