Gewöhnungsbedürftig bleibt der Anblick dennoch Foto: Lichtgut-Oliver Willikonsky

14 000 Tonnen Steine hat die Bahn auf die Feuerbacher Heide gekippt. Stadt und Regierungspräsidium haben die Fläche als Ausweichquartier für streng geschützte Mauereidechsen ausgewiesen. Kritik und Zweifel am Sinn waren groß – jetzt kontert ein Gutachten.

Stuttgart - Es gibt Anwohner auf dem Killesberg, die regelmäßig am neuen Eidechsenquartier vorbeikommen, aber Stein und Bein schwören, dort noch nie eine Eidechse gesehen zu haben. In der Tat ist es nicht so einfach, als Besucher eines oder gar mehrere der 3200 Tiere zu erblicken, die von den Stuttgart-21-Baustellen dorthin umgezogen sind. Selbst an sonnigen Sommertagen.

Auch Experten haben bezweifelt, dass solche Umsiedlungen überhaupt von Erfolg gekrönt sein können. Der Bahn freilich ist gar nichts anderes übrig geblieben – geeignete Flächen sind in Stuttgart absolute Mangelware. Also ging es für die Tiere 2017 und 2018 vom Neckartal eine Etage höher. Die Wiesen, auf denen vorher Hunde spielten, Kinder Drachen steigen ließen und regelmäßig eine Schafherde zu Gast war, wurden mit 19 Steinwällen bestückt. 14 000 Tonnen. Betreten verboten, betrachten erlaubt – sofern sich etwas zeigt. Das passierte dafür alsbald in den Gärten der Anwohner, kaum dass die Zäune entfernt waren. Eine Wanderungswelle weg vom neuen Zwangsquartier hin in die Freiheit, vermutet so mancher.

Derzeit schlafen die Tierchen, über die so viel diskutiert wird. Und doch sind sie jetzt wieder Thema. Denn der erste Bericht zur Entwicklung der Mauereidechsen auf dem Killesberg liegt vor. Ein Fachbüro hat für die Bahn die verpflichtende Überwachung des Areals übernommen und es in diesem Jahr fünf Mal begangen. Beim ersten Mal ist lediglich der Zustand des Ersatzhabitats kontrolliert worden – es war in Ordnung. Zwischen Ende Mai und Anfang September haben die Experten bei vier weiteren Begehungen gezählt. An jeweils sonnigen Tagen sind sie an den verschiedenen Terminen auf zwischen 448 und 805 beobachtete Mauereidechsen gekommen.

Tiere haben sich fortgepflanzt

Was dann folgt, ist kompliziert. Aufgrund von Faktoren wie Bewuchs oder Besonnung der Steinwälle wird hochgerechnet. Die Gutachter kommen so auf einen aktuellen Bestand von 3500 Tieren – 2000 erwachsene und 1500 Jungtiere. Die Zahl hat sich also vergrößert, die Eidechsen haben sich fortgepflanzt. Damit sei „zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Wälle eine grundsätzliche Eignung als Winterquartier, aber auch als Sommerquartier aufweisen“, heißt es im Bericht. Die vielen geschlüpften Jungtiere zeigten zudem die hohe Qualität des Habitats.

Bei der Bahn ist man zufrieden. „Die Eidechsen fühlen sich im neuen Lebensraum offenbar pudelwohl“, sagt Florian Bitzer, der Leiter Umwelt beim Projekt Stuttgart – Ulm. Immerhin etwas, schließlich hat man für den Umzug 3,7 Millionen Euro investiert. Das macht pro umgesiedelter Eidechse 1156,25 Euro. Darin enthalten sind die Kosten für den Bau des neuen Habitats auf der Feuerbacher Heide, für das Absammeln und den Umzug der Tiere sowie für die Errichtung eines Schutzzauns um deren alte Heimat im Neckartal, damit dort keine neuen Reptilien einziehen. Planung, ökologische Bauüberwachung, Nutzung des Grundstücks sowie dessen für 30 Jahre vorgeschriebene Pflege kosten extra.

Das Eidechsenthema ist damit für die Stuttgart-21-Projektpartner aber noch lange nicht ausgestanden. Die Planer suchen seit Jahren händeringend nach Ersatzflächen für die Tiere von ihren Baustellen. Aktuell sind noch 6000 Mauereidechsen von der Fläche des künftigen Abstellbahnhofs in Untertürkheim übrig. Die genetisch speziellen Tiere müssen innerhalb Stuttgarts umgesiedelt werden, was viele Bauherren inzwischen vor massive Probleme stellt.

Druck auf den Artenschutz

Für Untertürkheim hat die Bahn deshalb eine Ausnahmegenehmigung für den Artenschutz beantragt. Die Tiere sollen in Flächen umgesiedelt werden, die eigentlich zu klein sind. Wird das nicht genehmigt, soll ein Teil von ihnen „im Baufeld verbleiben“. Das würde wohl den Tod der meisten bedeuten. Entscheiden muss darüber das Eisenbahn-Bundesamt.

Erschwerend hinzu kommt ein Gutachten der Stadt Stuttgart: Es besagt, dass die streng geschützte Mauereidechse in der Stadt prächtig gedeiht. 140 000 Tiere soll es mindestens geben. Selten ist die Spezies also nicht. Das bringt die Naturschutzbehörden unter Druck. Die Wahl lautet: Bauvorhaben zum Teil unmöglich machen oder Ausnahmegenehmigungen vom Artenschutz erteilen – die dann in der Folge aber womöglich jeder Bauherr will.

Auf dem Killesberg herrscht den Winter über jetzt erst einmal Ruhe. Im nächsten Jahr stehen dann wieder vier bis fünf Begehungen des Geländes an. Dieses Monitoring ist für fünf Jahre vorgesehen. Danach dürfte man sicher sagen können, ob die Eidechsen sich dauerhaft eingelebt haben.