Stefan Waller alias Dr. Heart erklärt Herzkrankheiten auf YouTube. Foto: YouTube

Die meisten Ärzte mögen keine googelnden Patienten, doch ein Berliner Kardiologe setzt auf diese Klientel: Stefan Waller startet eine Zweitkarriere als Internetarzt Dr. Heart. Experten halten solche Lehrvideos für eine gute Ergänzung zum Arztbesuch.

Berlin - Der Doktor ist jetzt auch im Internet erreichbar. Aber den Doktor kann man eigentlich auch weglassen. Stefan Waller legt keinen Wert darauf, dass man ihn mit seinem Titel anredet. Waller ist Kardiologe und Internist. Man begegnet ihm in keiner Praxis, sondern vor allem in Drei-Minuten-Filmen auf seiner Homepage. Er steht im weißen Kittel vor der Kamera und beantwortet Fragen, die sich viele Menschen stellen – ihren Hausarzt aber nie fragen. Zum Beispiel die, wie ein Herzinfarkt entsteht und wie er das Leben verändert. In seinen Erklärfilmen gibt es keine Fremdwörter und keinen erhobenen Zeigefinger. Es sind eher Tutorials als Fachvorträge.

Dr. Heart, so nennt sich der Berliner im Internet. Das klingt eher nach Herzschmerz denn nach Herzinfarkt. Tatsächlich geht es Waller um mehr: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Todesursache Nummer eins in Deutschland, sagt er. Dabei könnten viele Patienten noch leben, wenn sie die Ratschläge der Mediziner nach dem ersten Herzinfarkt ernst genommen hätten. Doch genau hier klaffe eine Lücke. Das staatliche Gesundheitssystem lasse Ärzten kaum Luft, um Patienten darüber zu informieren, wie sie ihr Leben umkrempeln müssten. So kam er auf die Idee mit dem Internet. „95 Prozent der Fragen sind ja immer die gleichen“, sagt er. Wie solle man sich jetzt ernähren? Welche Sportarten eignen sich? Muss man wirklich alle Tabletten nehmen?

Jeder zweite Patient nutzt das Internet, um sich über seine Krankheit schlau zu machen

Dr. Heart liegt damit im Trend. Noch werden seine Videos erst einige Hundert Male pro Tag angeklickt, doch schon hat eine Krankenkasse das Potenzial erkannt und eigene Filme bei ihm bestellt. Schließlich nutzt schon jeder zweite Patient das Internet, um sich selber über seine Krankheit schlau zu machen. Und das Angebot wächst. Es reicht von Netdoktor.de bis zum Portal Pflege-Wiki, von dem Online-Programm für Depressive (Novego) bis zur Hautkrebs-Diagnostik-App. Das wird nicht von jedem Mediziner gern gesehen: Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung empfinden 45 Prozent von 800 niedergelassenen Ärzten solche Patienten als Belastung und weitere dreißig Prozent zumindest als teilweise problematisch. Sie sagen, der Patient werde durch die Flut an Informationen nur verwirrt. Das Internet könne das Vertrauen in den Arzt zerstören.

Doch haben diese Ärzte dieses Vertrauen nicht schon vorher selber verspielt? Mehr als die Hälfte (54,3 Prozent) der Bundesbürger haben einer Studie der Uni Bielefeld zufolge Probleme, das Fachchinesisch ihrer Ärzte zu verstehen. Hilfe holen sich viele dann im Internet. Da können Modelle wie Dr. Heart oder aber auch die Seite washabich.de, wo Medizinstudenten von der Uni Dresden ärztliche Befunde allgemein verständlich übersetzen, helfen. Davon profitiere am Ende auch der Arzt, sagt Stefan Waller. Zumal diese Videos ja nicht den Arztbesuch ersetzen sollen. „Sie dienen nur der Ergänzung.“

Das Umdenken auf Ärzteseite findet nur langsam statt

Es ist tatsächlich ein Markt, den immer mehr Start-up-Firmen für sich entdecken. Medexo in Berlin ist so ein Unternehmen. Patienten, die unters Messer sollen, können sich hier vor der Operation eine Zweitmeinung einholen. Medexo – das ist die Abkürzung für Mediziner online – reicht die Unterlagen an Fachärzte weiter. Ein Service, der von den Krankenkassen bezahlt wird. 1500 Patienten haben das Angebot schon genutzt. Das Ergebnis wirft einen Schatten auf das staatliche Gesundheitssystem. In 55 Prozent der Fälle kamen Gutachter zu dem Schluss, dass eine OP nicht erforderlich sei.

Da geht also noch was im World Wide Web. Und der gerade von Ärzten und Rechtsanwälten gegründete Bundesverband Internetmedizin (BIM) hilft Pionieren einerseits, die Grenzen des gesetzlichen Fernbehandlungsverbots neu auszuloten. Andererseits zertifiziert er auch neue Apps und Webseiten. Diabetes, Psychotherapie und Kardiologie, das seien die größten Wachstumsmärkte, sagt BIM-Vorstandssprecher Sebastian Vorberg.

Das Umdenken auf Ärzteseite findet dagegen nur langsam statt: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Herzstiftung, Thomas Meinertz, steht hinter solchen online-basierten Aufklärungsgehilfen. Ein besser informierter Patient als er sei eigentlich ein Traum, sagt Meinertz. „Im Idealfall erweitert der noch meinen Erfahrungshorizont. Ich erlebe das nach 35 Jahren Berufserfahrung immer wieder.“

Stefan Waller sucht jetzt erst einmal eine Logopädin. Seine Stimme ist vom vielen Sprechen heiser geworden. Dabei steht er erst ganz am Anfang. Dr. Heart träumt davon, dass aus seinem Nebenjob als Internet-Doc ein Hauptberuf werden könnte. Und er ist sich sicher, dass es der richtige Weg ist. Der Ratschlag, mit dem er seine Patienten zu Beginn eines jeden Films begrüßt, er gilt auch für ihn. „Hör auf dein Herz.“