Demo gegen Dieselverbot in Stuttgart. Foto: dpa

Angesichts der Fahrverbote steigt in der Landeshauptstadt der Wut-Pegel – ein bekanntes Phänomen. Die Stuttgarter nehmen schnell Anstoß, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Stuttgart und Wut – das gehört zusammen wie Linsen und Spätzle. Eine schwäbische Symbiose. Spätestens seit S 21 ist das so. Das heftig umstrittene und umkämpfte Bahnprojekt hat bisher 450 Montagsdemonstrationen und den bundesweit bekannten „Wutbürger“ hervorgebracht, der nicht einfach mit dem heimischen Bruddler gleichgesetzt werden kann. Der Wutbürger ist nach der Definition des Autors Dirk Kurbjuweit vielmehr ein von der Politik zutiefst enttäuschter Bürger, der sich fortgesetzt über Entscheidungen empört, die er als willkürlich empfindet.

Die eigentümliche Verbindung von Stuttgart und dem emotionalen Zustand, den man Wut nennt, ist hochaktuell: Aus Protest gegen das Fahrverbot für Besitzer von Dieselautos unterhalb der Euro-5-Norm geht eine kleine, aber wachsende Zahl von Bürgern auf die Barrikaden. An diesem Samstag versammeln sich die Wütenden, angeführt von dem Porsche-Mann Ioannis Sakkaros, erneut, und es wäre eine Überraschung, wenn die Teilnehmerzahl – zuletzt 1200 – zurückginge.

Eine widerborstige Stadt

Und das ist nur ein Ausschnitt aus einer mutmaßlich größeren Gruppe von Unzufriedenen, die beim Thema Fahrverbot die Wut packt. Darunter sind viele ernstlich Betroffene. Allerdings auch solche, die Betroffenheit vorschützen oder mit dem Thema bewusst ein politisches Süppchen kochen – etwa die AfD, die an diesem Samstag eine eigene Dieseldemo veranstaltet, nachdem am Freitag bereits zwei ehemalige AfD-Stadträte zum Dieselprotest aufgerufen haben. Wir erleben es gerade täglich: Mit Diesel lässt sich Stimmung machen. Auf die eine und die andere Weise. Wer das D-Wort aufruft, bekommt den gewünschten Applaus. Darin steckt reichlich Sprengstoff für die Kommunalwahl am 26. Mai – auch wenn es im Kern die Gerichte sind, die den Gang der Dinge und der Fahrverbote bestimmen.

Wütend sind allerdings nicht nur die Fahrverbotsgegner. Dem Phänomen der Diesel-Wutbürger steht eine zahlenmäßig ebenfalls nicht zu unterschätzende Gruppe gegenüber, die auf Gesundheitsschutz pocht und angesichts anhaltender Grenzwertüberschreitungen beim Stickoxid Fahrverbote für in Ordnung hält. Diese Wutbürger treten zwar nicht demonstrierend in Erscheinung, artikulieren ihre Meinung aber ebenfalls lautstark. Ihre Wut gründet darin, dass Stadt, Land und Autoindustrie bisher zu wenig für den Schutz der Bürger unternommen haben.

So entsteht der Eindruck einer wütenden, widerborstigen Stadt. Sie hat rebellische Gene. Immer schon. Sie nimmt nicht hin. Sie regt sich auf. Oft berechtigt. Manchmal künstlich. Vor allem ständig. Nicht nur über S 21 und den Diesel. Auch über hohe Mieten, das Kulturquartier, den Müll, den VfB, die Tauben. Das ist kein schlechter Zug, aber anstrengend. Stuttgart kann einfach nicht unaufgeregt sein.

jan.sellner@stzn.de