Peter Handke, seine Ehefrau Sophie Semin Handke, Jurorin Sigrid Löffler im Hegelsaal (v. li.) Foto: dpa

Ein „Fußwanderer und Einzelgänger“ sei Peter Handke, „der die Welt und Europa im Besonderen befahren und begangen und das Unterwegssein mannigfaltig erzählt und gefeiert hat“, heißt es in der Begründung der Jury, für die Sigrid Löffler spricht. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke hat in Stuttgart den Würth-Literaturpreis für europäische Verständigung erhalten.

Stuttgart - Am Dienstag trifft der Terror das Herz Europas, am Mittwoch erhält Peter Handke im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle den zehnten Würth-Preis für europäische Literatur. Das Publikum ist groß, es wird begrüßt von Harald Unkelbach, dem Vorstandsvorsitzenden der Würth GmbH. Ein „Fußwanderer und Einzelgänger“ sei Peter Handke, „der die Welt und Europa im Besonderen befahren und begangen und das Unterwegssein mannigfaltig erzählt und gefeiert hat“, heißt es in der Begründung der Jury, für die Sigrid Löffler spricht.

Zuvor hat Theresia Bauer, Kunstministerin des Landes, über das getroffene Europa gesprochen, über das alternativlose Europa: „Wir sollten die Lage nicht den Lautesten überlassen.“

Wer wäre leiser als Peter Handke, jener nachdenkliche Wanderer durch viele Ländern, dessen Blick dem Übersehenen, Alltäglichen, Verbindenden gilt? Handke, sagt Sigrid Löffler, übe sich in Weltbeobachtung und Selbstbeobachtung, unablässiger Reflexion; ein „unbekümmertes In-die-weite-Welt-Hineinstiefeln“ wandele sich bei ihm in ein „heroisches Sich-Aussetzen“. Seinen Jugoslawien-Komplex, so Löffler, habe Handke längst verabschiedet, sich einer Neuorientierung, geöffnet, die eigene Unduldsamkeit überwunden.

So zerrissen, wie Jens Harzer ihn darstellt, fühlt Peter Handke sich nicht

Jens Harzer, seit nun fünf Jahren Peter Handkes Erzähl-Ich in Dimiter Gotscheffs Inszenierung von „Noch immer Sturm“ für die Salzburger Festspiele, tritt als Laudator auf und verwandelt seine Rede in einen Theatermonolog von grandioser Intensität. Harzer spielt das innere Drama des Autors, der sich abkehrt und wieder zuwendet, spiegelt Handkes Werk, treibt es auf die Spitze. Er zitiert aus vielen Texten, dem „Versuch über den Pilznarren“, den Stücken, der kurzen Erzählung „Kali“, den jüngst erschienenen Aufzeichnungen „Vor der Baumschattenwand nachts“. Von Europa spricht Jens Harzer nicht, aber Europa lässt sich hier hinzudenken, immer dann, wenn dieses Ich nach einem Wir fragt: die Auseinandersetzung mit der europäischen Geschichte klingt stets bei Peter Handke mit – leise.

So zerrissen, wie Jens Harzer ihn darstellt, fühlt Peter Handke sich allerdings gar nicht. Den Unterschied zwischen Literatur und Leben zeigt er auf durch nichts als seine Präsenz, humorvoll und gelassen. Der 73-Jährige tritt ans Mikrofon, scheint auch auf dem Podium ganz in seiner eigenen Zeit zu leben. Er nimmt einen großen Strauß Blumen entgegen, wirft ihn seiner Frau zu, die in der ersten Reihe sitzt.

Als Jens Harzer sprach, sagt Peter Handke, da fühlte er sich einen Augenblick lang wie ein Stiefsohn Samuel Becketts – „aber so schlimm ist es in Wirklichkeit nicht. Es ist alles Rhythmus, Maß.“ In seinen Schriften sieht er sich öffentlich, auf der Bühne im Hegelsaal der Stuttgarter Liederhalle nur scheinbar: „Ich bin nicht am Platz“, sagt er, will sich nicht reduzieren lassen, spricht von der eigenen Abwesenheit und lächelt.

Für Handke ist Europa nicht tot

Dass Handke sich immer noch zum Briefeschreiben bekennt, ist keine Überraschung – aber er tut sich schwer, in seiner Wahlheimat Frankreich Marken für Europa zu finden. Sogleich spinnt er aus dieser Beobachtung die Idee zu einer Novelle. 30 Seiten, sagt er, könne ihre Länge sein, von einem Hinterzimmer könne sie handeln, in dem die Briefmarken Europas fortgeschlossen sind.

Tot ist Europa nicht für Peter Handke, aber er spricht seinen Zweifel aus an den Völkern Europas: Längst schon vermisst er das Interesse an der Kultur der anderen, die diese Völker zusammenführen könnte. „Jede Übersetzung“, sagt er, „ist heute finanziert. Es gibt keine Übersetzer mehr, die aus dem Atem der Literatur, der Neugier der Völker heraus über Grenzen gehen.“ Einen Anstoß für europäische Literaturpreise möchte Handke mit dieser Beobachtung geben – und der Würth-Preis, sinniert er mit der milden Ironie des Preisträgers, könnte sich neu benennen: Künzelsauer Preis, wie wäre das?

Noch aber gibt es Handke, der europäische Grenzen mit Geduld überschreitet, sich den Kontinent erwandert hat, der nicht müde wird. „Ich bin ein epischer Mensch im Sinne von Tolstoi und Faulkner“, sagt er. „Ich habe den Traum und die Kraft, universell zu sein.“ Für Peter Handke ist dieser Satz ein Versprechen, mit ihm verabschiedet er sich von seinen Zuhörern.