Wolfgang Thierse (SPD) spricht am Samstag im Landtag in Stuttgart. Die Rede auf der SPD-eigenen Veranstaltung fand anlässlich des Mauerfalls vor 25 Jahren statt. Foto: dpa

Bei der offiziellen Gedenkfeier des Landes zum Mauerfall darf Wolfgang Thierse nach seinen Schwaben-Bemerkungen nicht sprechen, die SPD hat den 71-Jährigen aber trotzdem nach Stuttgart eingeladen. Seine Ausladung hält er für einen "Ausdruck von Kleingeistigkeit".

Stuttgart - Und er redet doch: Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hält am Samstag im Stuttgarter Landtag eine Rede über den Mauerfall vor 25 Jahren. Er erinnert an die damaligen Ereignisse, spricht über Einheit und Freiheit, gesamtdeutsche Solidarität, Flüchtlingspolitik, europäische Integration und Globalisierung. Er bezeichnet den 9. November 1989 samt politischer Folgen als „historisches Glück“: „Wir leben wiedervereint in einem freien Land, (...) gewissermaßen umzingelt von Freunden.“

Dass Thierse im Landtag spricht, ist etwas Besonderes. Fast wäre die - wie SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel sie bezeichnet - „historische Stunde“ nämlich ins Wasser gefallen. Denn CDU und FDP hatten sich im Juli bei dem Plan quergestellt, den SPD-Politiker zur Hauptveranstaltung des Parlaments zum Jahrestag einzuladen.

Hintergrund ist eine skurrile Debatte um Brötchen und Schwaben in der Bundeshauptstadt, die die themenarme Zeit zum Jahreswechsel 2012/2013 beherrschte. Thierse hatte gesagt: „Ich ärgere mich, wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen gibt, sondern Wecken.“ Und: „Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche.“

Das war Grund genug für die baden-württembergische Opposition, den SPD-Politiker vom Landtag fernzuhalten. Der 71-Jährige sieht darin einen „Ausdruck von Kleingeistigkeit“ seitens der CDU und FDP. „Aus zwei ironisch-läppischen Bemerkungen ein öffentliches Beleidigtsein zu machen, das ist absurd“, sagt er am Samstag.

Schmiedel: Verhalten der CDU „kleinkariert“

Schmiedel empfindet vor allem das Verhalten der CDU als „kleinkariert“. Die Sozialdemokraten allerdings ergriffen die Chance, riefen eine eigene Gedenkfeier im Landtag ins Leben und luden Thierse doch ein. Daher dankt der Fraktionschef den Christdemokraten. Mit ihrer Weigerung hätten sie der SPD den Weg freigemacht, „aus einer Parlamentsveranstaltung eine Bürgerveranstaltung“ zu machen. Bei der offiziellen Gedenkstunde am Donnerstag im Landtag wird nun der frühere DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz (Grüne) sprechen.

Thierse lobt in seiner Rede vor rund 200 geladenen Gästen zwar den Fortschritt im Osten Deutschlands, stellt aber auch fest: „Es bleibt noch viel zu tun.“ Der Politiker nennt Beispiele aus dem Bericht der Bundesregierung „zum Stand der deutschen Einheit 2014“: So seien unter anderem die Arbeitsproduktivität im Osten niedriger und die Arbeitslosenquote im Osten höher als im Westen. Thierse fordert die Bevölkerung auf, weiter am Ausgleich der Verhältnisse zu arbeiten.

Schmiedel schätzt Thierses „intellektuelle Präzision“ - sowohl als Zeitzeuge als auch als bürgerschaftlicher und politischer Akteur. Und er spielt auf die „Schrippen-Debatte“ an, als er den 71-Jährigen einen „profunden Schwabenkenner“ nennt. Doch Schmiedel scheint noch Ausbaupotenzial bei Thierse zu vermuten - und überreicht ihm ein Buch über historische Einblicke in die Geschichte Baden-Württembergs sowie eine CD mit Aufnahmen von Opernchören aus der Region.