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Der SPD-Mann Wolfgang Drexler hat sein Amt als Sprecher von Stuttgart 21 niedergelegt.

Stuttgart - Nach der Entscheidung seiner Partei, einen Baustopp für Stuttgart21 zu fordern, sieht SPD-Mann Wolfgang Drexler keine Basis mehr für sich als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm. Wer den Schleudersitz des 64-Jährigen übernimmt, ist ungewiss. Die Bahn drängt auf eine rasche Entscheidung.

 Als er für den Posten offiziell vorgestellt wurde, saßen Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Chef Rüdiger Grube ans einer Seite. Am Freitag, als er nach fast einem Jahr den Job als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm mit sofortiger Wirkung aufgibt, ist Wolfgang Drexler ganz alleine.

"Nach der Entscheidung der SPD-Landtagsfraktion und der SPD-Bundestagfraktion, einen Baustopp für Stuttgart21 zu fordern bis ein landesweiter Volksentscheid stattgefunden hat, kann ich die Aufgabe im Namen der Projektpartner Bund, Land, Stadt und Bahn für das Projekt zu sprechen, nicht länger mit meinem Mandat in der SPD-Fraktion in Einklang bringen." Mit diesem sperrigen Satz begründet Drexler seinen Rücktritt. Der 64-Jährige, der sonst selten in ein Manuskript schaut, liest die Begründung für seinen Rücktritt beinahe wörtlich vom Blatt ab.

"Wir sind kein Kampfverband für S21"

Die Anspannung von Drexler, der im taubengrauen Anzug, hellem Hemd und feiner weiß-blauen Krawatte im Kommunikationsbüros für Stuttgart21 und die ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm vor den Pulk der Presse tritt, wird in vielen Gesten spürbar. Mal verschränkt Drexler die Arme schützend vor der Brust, mal knetet er die gefalteten Hände, mal nimmt er die Brille ab. So auf den Punkt konzentriert hat man den Berufspolitiker in den letzten Monaten selten erlebt. Drexler weiß: Der letzte Auftritt muss sitzen. Was er jetzt sagt, bleibt.

"Ich war immer ein Mensch und Politiker, der sich nicht verbogen, sondern für seine ehrlichen Überzeugungen gekämpft hat", erklärt Drexler. "Ich lebe von meiner Glaubwürdigkeit. Aus diesem Grund kann ich nicht weitere Baufortschritte verkünden, wenn meine Partie den Baustopp fordert. Das wäre unredlich und widerspricht meiner Vorstellung von Solidarität." Auch dieser sperrige Satz hat es in sich: Drexler, der seit 46 Jahren SPD-Mitglied ist, seit 22 Jahren für den Wahlkreis Esslingen im Landtag sitzt und dort seit 2006 das Amt des Vizelandtagspräsidenten bekleidet, stellt die Partei über die Sache. Die SPD ist ihm mehr wert als Stuttgart21.

Wie schwer ihm dieser Schritt gefallen ist, macht Drexler unmissverständlich deutlich: Die Landesparteitage hätten sich 2001 und 2006 für das Bahnprojekt Stuttgart21 ausgesprochen, 2009 sogar mit 80 Prozent der Delegiertenstimmen. Auf diese "Rückendeckung" habe er sich stets verlassen, betont Drexler. Seitdem SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid und Landtagsfraktionschef Claus Schmiedel den Spagat wagen, das Projekt zwar nach wie vor für gut zu befinden, aber angesichts des öffentlichen Proteststurms noch vor der Landtagswahl am 27.März 2011 einer Volksabstimmung in Baden-Württemberg zuzuführen, sieht Drexler diese Rückendeckung nicht mehr. Deshalb wirft er hin. Ob der Strategiewechsel von Schmid und Schmiedel zum Erfolg führt? "Dazu möchte ich nichts sagen", sagt Drexler am Freitag.

Dass es andererseits innerhalb der SPD nicht wenige gibt, die seinen Rückzug als Stuttgart-21-Frontmann herbeigesehnt haben, erwähnt Drexler freilich nicht. In der Landeshauptstadt brauche man gar nicht zur Wahl 2011 antreten, so lange der prominente Genosse aus Esslingen die Werbetrommel für das umstrittene Bahnprojekt rühre, jammerten in den vergangenen Monaten namhafte SPDler aus Stuttgart. Auch der Rückzug komme im Grunde zu spät und sei "das zweite falsches Signal". Auch im Landesverband geht man auf Distanz zu Drexlers Position. "Wir sind kein Kampfverband für S21", heißt es am Freitag vielsagend.

"Drexlers Nachfolger wird deutlich teurer werden"

Der "Konflikt Drexler-SPD" (Drexler) wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen. Dabei geht es auch für ihn selbst, der 2011 in Esslingen ein weiteres Mal zur Wahl steht, um viel: Falls Drexler den Sprung ins Parlament nicht schafft, droht ihm der politische Ruhestand.

Dass Drexler bei Stuttgart21 sehr gute Arbeit geleistet hat, ist unumstritten. Der kantige Sozialdemokrat, der keinem Streit aus dem Weg geht und auch nicht kneift, wenn es im Streit ungemütlich wird, war bereits 2008 vom damaligen Regierungschef Oettinger auf den Job angesprochen worden. Drexler sagte Nein. Als Oettinger und der neue Bahn-Chef Grube im Sommer 2009 erneut bei ihm anklopften, sagte Drexler zu. Er ist nicht uneitel, und dass man ihn so sehr brauchte, dürfte ihm gefallen haben.

Seit dem 1.September 2009 ist Drexler als One-Man-Show, als Eine-Mann-Schau, durch die Lande gezogen. Längst kennt er alle Zahlen und Fakten zu dem Bahnprojekt Stuttgart-Ulm aus dem Effeff. Ein Kommunikationsbüro mit rund zehn Mitarbeitern hat ihn unterstützt. 130 Veranstaltungen habe er in dem knappen Jahr besucht, berichtet Drexler am Freitag. An manchen Tagen kämen 60 bis 70 Briefe und Mails im Kommunikationsbüro an. Alle erhalten individuelle, qualitätsvolle Antworten", sagt er. "Wir machen ja keine Propaganda." Den damit einhergehenden zeitlichen Arbeitsaufwand habe er "ein bisschen unterschätzt", gesteht Drexler.

Trotz aller Anstrengung ist es Drexler und seinem Team nicht gelungen, eine Mehrheit der Bürger für Stuttgart21 zu gewinnen. Stattdessen hat sich eine Protestwelle aufgetürmt, die für die jetzige CDU/FDP-Landesregierung zur echten Bedrohung werden könnte. Dass die Umfragewerte für Stuttgart21 im Keller sind - 54 Prozent der Baden-Württemberger sind gegen das Projekt, nur 35 Prozent dafür - erklärt Drexler immer noch lapidar mit den Kommunikationsdefiziten, die sich in den Jahren vor seinem Amtsantritt angehäuft hätten.

"Drexlers Nachfolger wird deutlich teurer werden"

Doch auch Drexler hat Fehler gemacht. Er hat polarisiert, zugespitzt und in manchen Situationen das Maß an Geduld und Versöhnlichkeit vermissen lassen, das es braucht, einen Menschen von einer anderen Meinung zu überzeugen. Außerdem ist Drexler kein Supermann: Mehr als einmal ist er von den Ingenieuren und Planern der Bahn ausgebremst worden. Die Konstruktion eines ehrenamtlichen Sprechers, der für 1000 Euro Aufwandsentschädigung antritt, hat sich diesbezüglich als Nachteil erweisen. Drexler war unabhängig. Aber er war auch manchmal machtlos.

Wer den Job jetzt übernimmt, ist ungewiss. "Wir nehmen jeden, den die Landespolitik uns gibt", heißt es im Berliner Bahnkreisen. Hauptsache, die Wartezeit ist kurz. In der Stuttgarter Villa Reitzenstein kursieren schon einige Namen, auch prominente Personalvorschläge sind dabei. Von Bahn-Chef Grube heißt es, er wolle wieder einen ehrenamtlichen Sprecher. Die Idee, einen gut bezahlten Kommunikationsprofi an die Spitze zu stellen, hat sich wohl zerschlagen. Mitte nächster Woche könne man vielleicht schon mehr sagen, heißt es im Kreis der Projektpartner.

Die CDU im Land hat den Rückzug von Drexler am Freitag bedauert. "Er hat sich große Verdienste erworben", sagt Generalsekretär Thomas Strobl. Leider sei Drexler vom "Schlingerkurs" der eigenen Partei zerrieben worden, die sich "feige aus der Verantwortung stiehlt". Stuttgarts OB Wolfgang Schuster bedauert den Rücktritt "zutiefst". Drexler sei "erste Wahl für diese Aufgabe gewesen".

Das Aktionsbündnis der Stuttgart-21-Gegner erwartet, dass sich auch Drexlers Nachfolger an der Werbung für Stuttgart 21 die Zähne ausbeißt. "Es gibt weit und breit keine authentische Person, die für das neue Lieblingsprojekt von Mappus und Merkel die Drecksarbeit macht", erklärt SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker. Stuttgart 21 sei "Murks" und könne auch nicht von "Werbekosmetik2 überschminkt werden. "Drexlers Nachfolger wird deutlich teurer werden", mutmaßt Werner Wölfle, Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Gemeinderat. Weil das Produkt schlecht sei, werde auch der neue Frontmann Stuttgart 21 "nicht besser vermarkten" können.