Von Komponisten der Neuen Musik inspiriert: Wolfgang Dauner Foto: Lg/Kovalenko

Der Jazz war die Musik des 20. Jahrhunderts – und Wolfgang Dauner spielte mit, als Pianist, Arrangeur, Komponist. Legendär seine Auftritte mit dem United Jazz and Rock Ensemble, sein Duo mit Albert Mangelsdorff. An diesem Mittwoch wird Dauner 80. Ein Stuttgarter ist er immer geblieben.

Stuttgart - „Natürlich“, sagt er, „identifiziere ich mich mit der Stadt. Aber ich könnte auch woanders leben.“ Das allerdings muss er nicht, als Jazzmusiker und Komponist. „Wenn man so in der Musik arbeitet wie ich, spielt es eigentlich keine Rolle, wo man wohnt, Stuttgart, München, Köln. Alles, was man braucht, ist ein Ruhepunkt, an den man zurückkehren, an dem man arbeiten kann.“

Dauner hat mit dem United Jazz and Rock Ensemble Tourneen durch die ganze Welt unternommen – und ist immer wieder nach Stuttgart zurückgekehrt, sein Ruhepol liegt hier. Ob er tauschen würde, das Ausland vorziehen, Südfrankreich? Wolfgang Dauner lacht und winkt ab. „Aber New York“, sagt er, „das ist eine Stadt, die mich nach wie vor fasziniert, mit ihrer Lebendigkeit. Ich war dort zum ersten Mal 1969. New York ist ein brodelnder Topf, voll von Ideen und Leuten, die aktiv sind, ihre Ideen verwirklichen. Aber gleichzeitig ist es dort auch sehr viel schwieriger zu existieren.“

In Stuttgart haben sich die Bedingungen, unter denen Jazzmusiker arbeiten, allerdings kaum verbessert. Vom Jazz zu leben ist schwer, auch 2015. „Wir haben ja überhaupt keine Lobby“, sagt Dauner. „Oder nur sehr bedingt. Das könnte viel besser sein, dazu würde einfach gehören, dass die öffentlich-rechtlichen Sender sich mehr darum kümmerten. Jungen Musikern würde ich heute sagen: Prüft erst einmal den Markt, schaut, was da überhaupt möglich ist.“

Auch Musik für Kinder geschrieben

Dauner selbst hat diese Konsequenz schon früh gezogen: Er komponierte Filmmusiken, schrieb Musik für Kinder – „weil ich davon leben wollte. Und davon leben musste, notgedrungen.“ Berührungsängste hatte er nie, Aufträge von Film und Fernsehen erfüllte er als souveräner Handwerker und nicht ohne Vergnügen: „Man muss es eben auch können“, sagt er, schmunzelt. Und: „Ganz gleich, was für Musik ich schreiben sollte – wenn sie mir keine Freude bereitet hat, dann habe ich sie auch nicht gemacht. Der Spaß ist ein ganz wichtiger Faktor, beim Spielen von Musik genauso wie beim Komponieren.“

Dauner hat als Musiker oft Grenzen überschritten, das Publikum provoziert. Er riskierte Ablehnung, erfuhr sie mitunter auch. Wenn Jazz sich mit dem Mainstream paart, lehnt er das nicht ab, aber er setzt Grenzen: „Oft wird Jazz heute mit Popmusik vermischt“, sagt er. „Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein, aber nicht selten wird der Jazz dabei ziemlich banal eingesetzt.“

Offenheit in alle Richtungen war und ist Dauners musikalisches Programm. Schon bevor Ende der 1960er die große Experimentierfreude in die Popularmusik einzog, näherte er sich der Neuen Musik an, wagte damals Unerhörtes – und blieb doch seinen Wurzeln treu. George Gershwin gehörte immer zu seinen Lieblingskomponisten. „Experimentell war das nicht“, sagt er. „Das war eine tolle, musikalisch interessante Unterhaltungsmusik.“

Experimentell arbeiten aber wollte Dauner unbedingt: „Ich war jedes Jahr beim Festival in Donaueschingen“, erzählt er, „schon in den fünfziger Jahren. Ich habe mir dort all die zeitgenössischen Komponisten angehört, Penderecki, Lutoslawski, Ligeti. Das hat mich ungeheuer interessiert, ich war einfach neugierig. Und ich bin noch immer neugierig auf die Musik und ihre Entwicklung, in jeder Richtung, nicht nur im Jazz.“

Impulse aus der E-Musik

Die Impulse, die Dauner aufnahm und in seiner Musik verarbeitete, kamen früh von der E-Musik her, „aber sie kamen auch aus mir heraus“, sagt er, „aus meinem Inneren, weil ich mich für die Elektronik interessiert habe.“ In den frühen 1970er Jahren erkundete Dauner gemeinsam mit Jon Hiseman und Larry Coryell in der Band Et Cetera den Jazzrock – und spielte nicht selten auf denselben Bühnen wie die Krautrock-Gruppen jener Zeit. „Für uns war das immer sehr interessant“, sagt er und fügt natürlich hinzu: „Eine gewisse Qualität musste es schon haben. Das ist das Einzige, was mich interessiert, egal, um was für Musik es sich handelt.“

Mit der neuen Rockmusik kam der politische Aufbruch. Dauner blieb am Rande, aber nicht unbeteiligt. Er tourte mit der „Grünen Raupe“, machte Wahlkampf für die Grünen. „Damals“, sagt er, „war alles viel spannender als heute. Diese Aufbruchsstimmung gab es ja nicht nur in der Politik, sondern auch in den Künsten, in Musik und Malerei.“ Heute sagt er: „Ich verstehe nichts von Politik, und ich weiß auch nicht, ob die Politiker etwas von Politik verstehen. Politik ist ein schwieriges Instrument. Ich kümmere mich um die Musik.“

Der künstlerische Aufbruch jedoch hat für ihn nichts an Kraft und Faszination eingebüßt. Und das Stuttgarter Kunstmuseum zeigt diesen Aufbruch, so wie er immer wieder stattfand, Seite an Seite mit der Geschichte des Jazz, in der Ausstellung „I Got Rhythm – Kunst und Jazz seit 1920“. „Free Jazz könnte hier ja alles sein!“, sagt Wolfgang Dauner beim ersten Besuch der Schau.

Sein Favorit unter den Free Jazzern der Leinwand ist Jackson Pollock. Eines seiner Gemälde ist auf dem Cover des Albums zu sehen, mit dem Ornette Coleman 1961 den radikalsten Stil des Jazz aus der Taufe hob. „Action Painting“, sagt Wolfgang Dauner, „ist synonym zu Free Jazz. Hier geht es nur um die Aktion, es gibt keine Kriterien mehr. Im Modern Jazz gibt es eine harmonische Struktur, die man bewerten kann und ob einer ein tolles Solo darüber gespielt hat oder nicht. Ob er die richtigen Harmonien gedrückt hat und so weiter. Das gibt es im Free Jazz nicht.“ Begegnet ist Wolfgang Dauner Jackson Pollock leider nie – „aber er hat mich immer schwer inspiriert“.

Die Konzertreihe „I Got Rhythm“ eröffnet

Am 20. Oktober spielte Dauner gemeinsam mit seinem Sohn Florian im Kunstmuseum, eröffnete die Konzertreihe zu „I Got Rhythm“ – und lotete dabei die Möglichkeiten elektronischer Klangerzeugung und Improvisation aus, suchte Stationen seines Weges auf, verknüpfte sie neu, spielte mit der eigenen Geschichte. Die aufwendig gestaltete CD-Aufnahme dieses Auftritts mit dem Titel „Elektronische Mythen“ wird Dauners Frau Randi Bubat im Beisein von Kunstmuseums-Direktorin Ulrike Groos und allen anderen Beteiligten dieser Produktion an diesem Mittwoch anlässlich des 80. Geburtstags an Wolfgang Dauner übergeben.

„Früher war es nicht einfach, so etwas live zu machen“, sagt Dauner über diesen Auftritt. „Ich hatte zwar einen Synthesizer, aber der wog sechseinhalb Zentner, den konnte ich ja nicht einfach so mitnehmen.“ In den 70 Minuten, die das Konzert dauerte, flossen viele Fäden zusammen, die sich durch Dauners Werk ziehen. Dauner nutzte die Technologie der Computer, um sie neu zu verknüpfen. „Elektronische Mythen“ wurde zu einem späten Schlüsselwerk – vielleicht nicht seinem letzten.

Denn Dauners Wunsch mit 80 Jahren ist es, noch einmal für ein großes Orchester zu schreiben. „Die Möglichkeiten dazu sind heute sehr gering“, sagt er. „So etwas müsste ja auch gesendet werden. Die Rundfunkanstalten tun sich damit schwer. Es heißt, die Leute könnten nichts anfangen mit solcher Musik. Aber das liegt doch einfach daran, dass sie sie nicht zu hören bekommen.“

Die Existenzbedingungen, nicht nur für Jazz-Musiker, sind prekärer geworden. Streaming-Dienste hebeln das Urheberrecht aus, und jene, die seit jeher nur schwerlich von ihrer Musik leben konnten, können es noch weniger. Aber Wolfgang Dauner ließ sich niemals leicht von seinen Zielen abbringen. „Damit muss man umgehen“, sagt er. „Und ich werde damit umgehen. Ich werde weitermachen. Das ist kein Grund für mich, mit der Musik aufzuhören.“