550 Euro, 440 Euro, 520 Euro und 270 Euro warm – das sind realistische Mietpreise in baden-württembergischen Studentenstädten. Vier junge Leute öffnen ihre WG-Türen und erzählen, wie sie überhaupt an eine Bleibe gekommen sind.
Stuttgart - 440 bis 750 Euro in Stuttgart, 356 bis 599 Euro in Karlsruhe oder 360 bis 525 Euro in Konstanz. Diese Zahlen lassen Studierende und ihre Eltern nachts wach liegen. Es sind die durchschnittlichen Warmmieten für Studenten in Baden-Württembergs beliebtesten Unistädten. Der Finanzdienstleisters MLP und das Institut der deutschen Wirtschaft haben sie in ihrem aktuellen Studentenwohnreport vorgelegt. Der Markt ist umkämpft, wie leben die Studierenden, die eine Bleibe ergattern konnten?
Hülya Aydin (21), 550 Euro warm, Stuttgart-Süd
Als Hülya Aydin zum ersten Mal über den aufgebrochenen Asphalt zu ihrem grauen, vergessen wirkenden Hinterhaus lief, hatte sie auch diese Besichtigung gedanklich schon abgehakt. Im zweiten Stock links aber wartete das auf Hülya, wovon sie nach zwei Online-Semestern im Kinderzimmer geträumt hatte: hyggelige Freiheit in der großen Stadt. „Ich war schockverliebt in diese Wohnung“, erzählt die angehende Gymnasiallehrerin für Politik und Englisch. 62 renovierte Quadratmeter, drei Zimmer, eine voll ausgestattete Küche mit Sitzplatz im Wintergarten sowie Bad hatte eine Maklerin Hülya und ihrer Studienfreundin zu bieten.
Einen kleinen Schock bekamen auch Hülyas Eltern. 550 Euro inklusive Strom, Heizung und Internet kostet sie der Auszug ihrer Tochter. Das sind 200 Euro mehr, als sie vor einigen Jahren für die Studentenzimmer von Hülyas älteren Schwestern gezahlt haben. Auch wenn die Wohnung eigentlich über der Schmerzgrenze ihrer Eltern liege, so seien diese jetzt doch erleichtert, dass ihre Tochter nicht irgendwo über einer Dönerbude wohne, sagt Hülya. Auch solche Angebote hat sie besichtigt, die seien aber nicht günstiger gewesen. Freie WG-Zimmer seien ihr ebenfalls gleich oder noch teurer angeboten worden.
Jetzt wohnt Hülya gegenüber dem Marienhospital. Zur Stadtbahn läuft sie fünf Minuten, der Wald liegt hinter der Tür – und trotzdem sind es zur nächsten Einkaufs- und Ausgehmeile nur sieben Minuten zu Fuß. Weggehen steht bei Hülya aber selten an. Mehr als 50 Euro in der Woche versucht sie nicht auszugeben, die 219 Euro Kindergeld im Monat sollen reichen, ihre Eltern will sie über die Miete hinaus nicht noch zusätzlich belasten. Einen Nebenjob hat die Studentin bisher nicht.
22 Quadratmeter – in Hülyas Zimmer ist viel Platz für einen Schreibtisch, ein großes Bett, einen Schrank und ihren geliebten Schminktisch. Besondere Vorstellungen hatte Hülya vor ihrem Auszug nicht. Klar war nur: „Ich wollte nicht in ein Wohnheim. Zehn Leute auf einem Stock, das ist nichts für mich. Ich teile mein Bad nicht gerne mit jemanden, den ich nicht kenne.“
Die Wohnung ist ein Glücksgriff. Hülyas Vorteil war es, zu suchen, bevor klar war, ob das Semester in Präsenz stattfinden würde. Nun studiert sie zwar fast wieder nur online, trotzdem ist sie froh, dass sich zumindest räumlich etwas verändert hat.
Schwung in die Suche kam aber erst, als die Mutter von Hülyas Freundin die Sache in die Hand genommen hat. „Suche für meine Tochter eine WG!“ formulierte sie eine Anzeige – und plötzlich trudelten Angebote ein. Auch den Mietvertrag hat die Mutter der Mitbewohnerin unterschrieben. Hülya ist nun deren Untermieterin. Anders, glaubt Hülya, wäre ihr Schritt in die studentische Freiheit nichts geworden.
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Nelly Lickert (19), 440 Euro warm, Stuttgart-Ost
Noch ist es etwas einsam in Nellys Wohnung. Geheizt und gemütlich eingerichtet ist bisher nur ihr eigenes, 16 Quadratmeter großes Zimmer: Selbst gebautes Hochbett, eine Kleiderstange, ein Schreibtisch und viele kleine Erinnerungen an das alte Leben in ihrer Heimat Freiburg an der Wand. Wieso zieht jemand, der aus der Studenten-Traumstadt Freiburg kommt, nach Stuttgart, um sich in Soziologie einzuschreiben? „Ich habe mich nicht in Freiburg studieren sehen, und ich mag es, für mich allein zu sein“, sagt sie.
Doch schon bald wird mehr Leben in die 57 Quadratmeter große Studenten-WG kommen, die Nelly ganz kurzfristig von zwei Vorgängerinnen übernommen hat. Zwei Wochen nach der Besichtigung zog sie ein. Nur leider sprang ihr eigentlich vorgesehener Mitbewohner zwei Tage vor dem Einzug ab. Das Zimmer wurde noch einmal im Internet ausgeschrieben und ein 22-Jähriger sprang ein, der bereit war, schon einige Wochen vor Start seines Freiwilligen Sozialen Jahres Miete zu zahlen. Sonst wäre Nellys hart erkämpftes Zimmer wohl futsch gewesen. Allein hätte sie die 880 Euro teure Warmmiete nicht aufbringen können. Die 19-Jährige finanziert sich über BAföG und einen Mietzuschuss. Die Kaution hat der Freund ihrer älteren Schwester für sie ausgelegt.
Nelly ist sicher: Ihre Spontaneität sofort einzuziehen und Miete zu zahlen, hat ihr den Zuschlag für die Wohnung mitten im immer hipper werdenden Stuttgarter Osten gebracht. Bei der Wohnungssuche war sie auf sich allein gestellt. Bis Nelly an eine Vermieterin geriet, die finanziell schwächer gestellte Studentinnen unterstützt, hat es lange gedauert. „Ich hab nicht mehr gezählt, auf wie viele Anzeigen ich mich beworben habe“, sagt Nelly. „Ich war so verzweifelt, ich hätte alles genommen. Ich habe sogar auf Anzeigen ohne Fotos geantwortet.“ Lange musste Nelly im WG-Zimmer einer Freundin auf dem Boden schlafen und von dort aus nach einer Bleibe suchen. Auch im Wohnheim fand sich kein Platz.
350 Euro wollte sie höchstens für ein Zimmer ausgeben. Doch schnell war klar, dass sich dafür nichts finden würde. Für 90 Euro mehr hat sie nun ein Bad mit Wanne, eine Küche mit Wasch- und Spülmaschine, ein gemeinsames Fernsehzimmer und einen kleinen Balkon. Allerdings bleiben, wenn ihr der ausgerechnete BAföG-Satz ausgezahlt wird, nur noch 300 Euro im Monat zum Leben. Für Ernährung müssen 20 Euro in der Woche reichen. Zu essen gibt es vor allem Müsli, Milch, Nudeln oder Reis, zu trinken Leitungswasser oder Tee und die Erkältung wird mit Klopapier statt Taschentüchern weggeschnupft. Einziger Luxus, den sich die Studentin gönnt, ist das Rauchen. Bei einer Erstsemesterkneipentour von der Uni ist Nelly mit vier Euro durch den Abend gekommen. „Wenn ich einen Nebenjob habe, kann ich auch mal sechs Euro an einem Abend ausgeben“, sagt sie. Aber Nebenjobs in Coronazeiten sind rar, bei der Teststation vor ihrer Haustür hat sie sich schon beworben.
Luca Krause (20), 520 Euro warm, Konstanz
Von der Ferienwohnung in die Uni: Lucas Studium begann holprig, zumindest in Bezug auf die Wohnsituation. Eineinhalb Monate zwischen der Entscheidung, Biological Sciences in Konstanz zu studieren, und dem Semesterbeginn waren zu kurz, um rechtzeitig eine Bleibe zu finden. Also bezog der 20-Jährige mit seinem Schulfreund und jetzigen Mitbewohner erst einmal eine Ferienwohnung. „Wir waren wirklich sehr verzweifelt“, erzählt Luca rückblickend, „ich habe auf unzählige Wohnungsanzeigen geschrieben. Die meisten haben gar nicht geantwortet, das war sehr, sehr frustrierend.“ Auch die Bekanntschaft mit „ekelhaften Halsabschneidern“, die Wohnungen mit Schimmel an den Wänden oder Zimmer für bis zu 700 Euro warm boten, blieb Luca nicht erspart.
Der Durchbruch kam in einer Freitagnacht um 22 Uhr. Luca saß in seiner Heimatstadt Tübingen im Bus, aus Langweile aktualisierte er seine Wohnungsabfragen auf dem Handy, da tauchte plötzlich eine neue, WG-geeignete Wohnung auf. „Sie stand erst seit 20 Sekunden drin, da habe ich spontan noch aus dem Bus heraus geschrieben, dass ich Interesse habe“, erinnert er sich. Die Antwort kam prompt: Besichtigungstermin am nächsten Vormittag. Zwölf Stunden später saß Luca mit seinem Freund und seiner Mutter im Auto nach Konstanz.
18 Quadratmeter hat sein jetziges WG-Zimmer, dazu kommt ein winziges Gemeinschaftszimmer, eine Küche und ein kleines Bad mit Dusche und Badewanne. „Die ist aber so klein, dass ich gar nicht reinpasse“, sagt der 1,86 Meter große Student. Auf Spül- und Waschmaschine müssen die jungen Männer bei einer Warmmiete von 520 Euro aber verzichten. Gewaschen wird daheim.
Das Schönste an Lucas Wohnung ist der Balkon, von dem aus man theoretisch über den Bodensee bis in die Schweiz schauen kann, „bisher war es aber immer neblig“, sagt er. 20 Minuten braucht Luca von seiner Busstation Petershausen-West bis in die Uni und zehn Minuten mit dem Fahrrad in die Altstadt. Die jetzige Wohnung, sagt Luca, liege sogar ein bisschen über seien Erwartungen: „Ich bin aber auch unkompliziert, Hauptsache ich habe einen Schlafplatz.“
Ohne elterliche Hilfe hätten Luca und sein Mitbewohner wohl keine Chance auf eine Wohnung gehabt. „Hätten sie nicht für die Miete und die Kaution gebürgt, hätten wir von keinem Vermieter auch nur eine Antwort bekommen“, sagt Luca. Und noch ein Gefühl wird Luca nicht los: „Alle Vermieter wollten zuerst Bilder von uns sehen, bevor sie uns einen Besichtigungstermin angeboten haben. Ich vermute, die wollten erst checken, ob wir wie Deutsche aussehen.“
Felix Messerschmidt (21), 275 Euro warm, Karlsruhe
Das Limit lag bei 400 Euro. Teurer durfte das Studentenzimmer von Felix in Karlsruhe nicht sein. Nun liegt sein Zimmer in einer 60 Quadratmeter großen Dreier-WG mit 275 Euro sogar 125 Euro unter dem Limit. „Für 275 Euro muss ich mich einschränken“, sagt Felix „aber durch die günstige Miete bleibt mir jetzt ein bisschen mehr Spielraum.“ Das übrige Budget fließt nun ins Mountainbike- und BMX-Fahren. Dafür wohnt Felix in einem 13 Quadratmetern kleinen Zimmer in einem leicht schmuddeligen Altbau. Er wäscht sich in einer notdürftig abgetrennten Dusche mitten in der Küche, kocht auf zwei Elektroplatten und steckt zum Heizen einen mobilen Heizkörper in die Steckdose. Seine geringen Ansprüche hätten die Suche erleichtert, glaubt er. Immerhin ist Karlsruhe nach Stuttgart inzwischen die zweitteuerste Studentenstadt im Südwesten. Das Karlsruher Institut für Technologie, an dem auch Felix Mechatronik studiert, zieht viele Studierende an.
Die ersten beiden Semester hatte Felix ein Zimmer für 240 Euro im Wohnheim, verglichen damit fühlt sich seine neue WG fast wie ein Palast an. Dort wohnte er zu zwölft auf einem Flur mit einer verschmuddelten Küche. So anonym fand Felix es da, dass er in seinem ersten Jahr dort nur vor Prüfungen übernachtete. Den Rest des Studiums hat er online aus seinem Tübinger Kinderzimmer bestritten.
Für seine jetzige Bleibe habe die Nähe zur Uni gesprochen, sagt Felix. Zu Fuß ist er in fünf Minuten auf dem Campus. „Hätte ich es viel weiter, könnte ich mich viel zu selten aufraffen, in die Uni zu gehen.“
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