Lage, Lage, Lage: im Süden werden Wohnungen zu horrenden Preisen angeboten – und gekauft. Foto: Georg Linsenmann

Im Stuttgarter Süden geht die Angst vor der Gentrifizierung um. Nun will die Stadt einschreiten und verhindern, dass die bisherigen Bewohner durch Luxussanierungen verdrängt werden.

S-Süd - „Es gibt im Stadtbezirk Süd Gebäudeverkäufe mit der Absicht von Mietpreissteigerungen. Wir sehen die Veränderung im Süden. Die Frage ist, ob wir zuschauen oder ob wir steuern wollen.“ Mit dieser Feststellung begründete Yvonne Bast-Schöning von der Abteilung Bodenordnung des Stadtplanungsamtes im Bezirksbeirat die Absicht der Stadt, eine Satzung „zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ zu erarbeiten. Eine solche „Milieuschutzsatzung“ gibt es bisher nur für das Nordbahnhof-Viertel. Dieses städtebauliches Instrument könne in einem klar definierten Gebiet eingesetzt werden, „wenn als Folge baulicher Maßnahmen eine Änderung in der Zusammensetzung der Bevölkerung nachteilige Auswirkungen befürchten“ lasse. Es schütze aber nicht den einzelnen Mieter, ergänzte ihr Kollege Matthias Bertram.

Bezirksvorsteher spricht von schleichendem Prozess

Der klassische Anwendungsfall ist laut Bertram „eine Modernisierung und Anhebung der Kaltmiete zur Verdrängung der angestammten Bevölkerung“. Ein Vorgehen, das auch als Luxus-Sanierung und Gentrifizierung bekannt ist – und das nun nicht zuletzt als Folge der Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße auf die Tagesordnung kam, wie der Bezirksvorsteher Raiko Grieb anmerkte: „Wenn in der Berlin ganze Wohnblöcke entmietet und gentrifiziert werden, ist das hier nicht so sichtbar. Im Süden ist das ein schleichender Prozess, aber er ist voll im Gange.“

Im Nachgang zur Sitzung nannte Grieb einige ihm bekannte Beispiele. Etwa eine Wohnung im Böhmisreuteweg, 4. Stock, die für über 700 000 Euro angeboten und nur unwesentlich darunter verkauft worden sei: „Ein Preis, der deutlich aus dem Rahmen fällt.“ Ganz ähnlich sei der Fall einer Vier-Zimmer-Wohnung in der Lerchenrainstraße mit 90 Quadratmetern, für 650 000 Euro. Ein anderes Phänomen im Quartier sei der Ausbau von Dachgeschossen, die dann „vor allem an Studierende vermietet werden. Als extrem teure Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnungen“, weiß Grieb.

Und er kenne Leute, „die gerne im Süden bleiben würden, sich das aber nicht mehr leisten können, trotz zweier Verdienste.“ Im übrigen haben man es hier mit Investoren zu tun, „die jede Regelung kennen und jede kleine Lücke in den Gesetzen zu nutzen wissen“. In Zusammenhang mit der Hausbesetzung seien „viele einfache, gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger“ auf ihn zugekommen: „Sie haben sich solidarisch erklärt und betont, das gehe sie persönlich an. Sie hatten Angst, ihre Wohnung aus einschlägigen Gründen zu verlieren.“

In der Sitzung wurde die Abgrenzung vorgestellt, die im Wesentlichen die Tallage zwischen der Böblinger Straße und der nicht einbezogenen Eiernest-Siedlung umfasst. Auf der einen Seite von der Adler-, auf der anderen von der Müllerstraße abgegrenzt. Um fürs Milieu typische Merkmal zu erhalten und daraus das „Aufwertungspotenzial“ abschätzen zu können, bot der Blick ins Kataster eine Orientierung. Demnach befinden sich in dem Gebiet 766 Wohngebäude mit rund 4500 Wohnungen, die Hälfte davon mit drei bis vier Zimmern. Insgesamt werde das Gebiet durch eine „kleinteilige Eigentümer-Struktur gekennzeichnet“. Per anonymisierter Mieterbefragung soll nun eine Voruntersuchung gemacht werden.

Gegenstimmen von FDP und AfD

In der Debatte nannte Wolf-Dieter Wieland (FDP) den Erhalt der Zusammensetzung der Bevölkerung „ein hehres Ziel“. Auch er wolle nicht, „dass Leute aus der Straße, die ich seit langem kenne, weggemobbt werden“. Nicht zuletzt kritisierte er aber die Abgrenzung: „Wenn ich auf der einen Seite der Adlerstraße bin, darf ich sanieren, wenn ich zum ärmeren Teil gehöre, nicht. Und die Reichen in der Hanglage dürfen weiter machen, was sie wollen“. Wolfgang Jaworek (Grüne) begrüßte „alle Maßnahmen, die zur Verminderung der Wohnungsnot auf dem außer Kontrolle geratenen Mietmarkt helfen“. Für die CDU betonte Roland Petri: „Wir wollen nicht, dass die alteingesessene Bevölkerung verdrängt wird, weil sie sich den Wohnraum nicht mehr leisten kann.“ Er sehe hier „ein Handeln mit Maß und Ziel“. Zusammenfassend stellte Grieb fest: „Eine solche Satzung ist ein Instrument unter mehreren. Es ist ungerecht, wenn Menschen, die schon lange hier wohnen, im Alter eine andere Bleibe suchen müssen.“ Für den Einstieg stimmten 13 für die Voruntersuchung. Wieland (FDP) und Ernst Udo Abzieher (AfD) stimmten dagegen.