Nicht jede Sozialwohnung der Landeshauptstadt ist mit einkommensschwachen Haushalten belegt, wird seit dem Wegfall der Fehlbelegungsabgabe gemutmaßt. Foto: Mierendorf

In der Landeshauptstadt wird eine mögliche Fehlbelegung von Sozialwohnungen in Kauf genommen, um soziale Brennpunkte zu entschärfen.

Stuttgart - In der Diskussion um die vom Mieterverein Stuttgart angeprangerte Wohnungsnot in Stuttgart hat der Haus- & Grundbesitzerverein die 2008 abgeschaffte Fehlbelegungsabgabe für Sozialwohnungen wieder aus der Schublade gezogen. 'Wenn sich die Städtische Wohnungsbaugesellschaft SWSG mehr um die Fehlbelegung ihrer Sozialwohnungen kümmern würde, statt sich als Bauträger hervorzutun, wäre schon viel gewonnen', gibt sich Haus-&-Grund-Geschäftsführer Ulrich Wecker kämpferisch. Bei der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft SWSG spielt Wilfried Wendel, Vorsitzender der Geschäftsführung, den Ball zurück. Der Verein verweise in der Frage des öffentlich geförderten Wohnungsbaus gerne auf andere und versuche sich selbst aus der Verantwortung zu ziehen. Doch Eigentum verpflichte. Statt mit dem Finger nur auf andere zu zeigen, sollte sich Haus & Grund viel stärker für bessere Fördermittel und Bauland einsetzen, um gemeinsam mehr geförderten Wohnraum zu schaffen. Im Übrigen komme eine Fehlbelegung dadurch zustande, dass die Voraussetzungen für einen Wohnberechtigungsschein während der Mietzeit in einer geförderten Wohnung durch eine verbesserte Einkommenssituation wegfalle.

Voraussetzungen entfallen

Diese Situation könne doch nicht mit der Sanktion einhergehen, dass ein erfolgreicher Mieter am Ende aus einer öffentlich geförderten Wohnung nur deshalb ausziehen muss, weil ihm der soziale Aufstieg gelungen sei, kritisiert der Vorsitzende der SWSG-Geschäftsführung den Verein. Haus & Grund will die Aussagen der SWSG so nicht stehen lassen: 'Wir haben schon mehrfach die bessere öffentliche Förderung von Sozialwohnungen angemahnt, ebenso die Zurverfügungstellung von Bauland. Hier liegen Verein und Wohnungsbaugesellschaft auf gleicher Linie. Allerdings halten wir es für sozial ungerecht, wenn Mieter, die jetzt wieder auf eigenen Beinen stehen, den heute Notleidenden den Platz wegnehmen beziehungsweise vergünstigt wohnen können, obwohl sie sich mittlerweile normale Mieten leisten können. Hier darf die Politik nicht wegschauen', kommentiert Ulrich Wecker.

Bis zum Jahr 2007 mussten Mieter, deren Einkommensverhältnisse sich nach dem Bezug einer Wohnung mit verbilligter Sozialmiete so weit verbessert hatten, dass sie ihnen eigentlich nicht mehr zusteht, eine zusätzliche, gestaffelte Abgabe auf die Miete entrichten - die sogenannte Fehlbelegungsabgabe. In der Landeshauptstadt entrichteten ursprünglich 29 Prozent aller Bewohner einer Sozialmietwohnung diese Abgabe, da sie über der Einkommensgrenze lagen. Im Jahre 2006 war diese Zahl auf 16 Prozent zurückgegangen, da die maßgeblichen Einkommensgrenzen wiederholt geändert wurden, erinnert sich Erhard Brändle vom Amt für Liegenschaften und Wohnen. Ob diese Zahl auch heute noch zutreffend ist, kann Brändle nicht bestätigen. Denn im Gegensatz zu damals müssen die Bezieher einer Sozialwohnung heute nicht mehr regelmäßig ihr Einkommen offenlegen. Heute werde lediglich beim Bezug der Wohnung die Berechtigung in Form eines Wohnberechtigungsscheins geprüft. 'Wie sich das Einkommen des Bewohners aber mit den Jahren entwickelt, wird nicht mehr nachgefragt.'

Für den regelmäßigen Nachweis des Einkommens gebe es mit dem Wegfall der Fehlbelegungsabgabe auch keine Rechtsgrundlage mehr, erklärt der Leiter des Stuttgarter Wohnungsamtes. Beim Stuttgarter Mieterverein hält man heute eine Fehlbelegungsquote von 29 Prozent allerdings auch für nicht mehr realistisch, da die Einkommensgrenzen für den Bezug eines Wohnberechtigungsscheins seither deutlich angehoben wurden, so Doris Wittmer vom Mieterverein. 'Es gibt allerdings keine verlässlichen Zahlen, auf die man zurückgreifen könnte', sagt die Expertin. Auch sie muss schätzen und kommt vielleicht auf zehn Prozent der Sozialwohnungen in der Landeshauptstadt, die 'vielleicht noch' unter eine Fehlbelegung fallen könnten, drückt sie sich vorsichtig aus.

Mieterverein gegen Fehlbelegungsabgabe

Wittmer betont, dass der Stuttgarter Mieterverein von Anfang an gegen die Fehlbelegungsabgabe war. 'Sie war sozial ungerecht, weil dem Haushaltseinkommen auch das Einkommen der Kinder zugerechnet wurde - selbst wenn die ihren Eltern nichts von dem Geld abgaben', erinnert sich Doris Wittmer. Manche Familien mussten von einem Jahr auf das andere bis zu 200 Euro mehr im Monat für ihre Wohnung bezahlen, während die Familie nebenan alles vom Sozialamt gestellt bekam. Das habe damals zu großem Unfrieden in den sozialen Brennpunktsiedlungen geführt. Trotzdem gab es nicht mehr Wohnungen. Auch Erhard Brändle ist sich im Nachhinein sicher, dass mit einer Fehlbelegungsabgabe nicht mehr Sozialmietwohnungen in der Landeshauptstadt gewonnen wären.

Lediglich zur Finanzierung neuer Sozialmietwohnungen könnte mehr Geld zur Verfügung stehen. Im Jahr 2008 kam mit der Einführung des Landeswohnungsförderungsgesetzes das Aus für die Fehlbelegungsabgabe. Allerdings nicht ganz so eigennützig: Die Kommunen befürchteten nämlich auch, dass sich die zusätzlich durch die Fehlbelegungsabgabe zur Kasse gebetenen Mieter langfristig besseren Wohngegenden zuwenden und es so zu einer sozialen Ghettobildung in den Quartieren kommen könnte. Da nahm man dann lieber in Kauf, dass der eine oder andere Mieter vielleicht etwas günstiger wohnt, die Quartiere aber sozial ausgewogener sind, so ein Wohnungsexperte hinter vorgehaltener Hand. Aktuell gibt es in Stuttgart rund 16 400 Sozialwohnungen. Selbst bei einer Quote von zehn Prozent wären noch rund 1640 Wohnungen falsch belegt.

'Für die Mieter ist diese Situation wie ein Sechser im Lotto', kommentiert Dr. Klaus Lang, Vorsitzender von Haus & Grund, den Vorgang und fordert, dass der Gesetzgeber hier initiativ werden muss. 'Es kann nicht sein, dass auf der einen Seite vom Mieterverein beklagt wird, dass günstige Wohnungen fehlen und auf der anderen Seite die Stadt aufgrund fehlender Kontrollmöglichkeiten verbilligten Wohnraum verschenkt.' Beim Land sieht man in Sachen Fehlbelegung derzeit keinen Handlungsbedarf. Dafür soll das Zweckentfremdungsverbot wieder eingeführt werden. Danach kann Immobilienbesitzern untersagt werden, Wohnraum bei Bedarf in Büroflächen umzuwandeln. Die Immobilienwirtschaft ist hier schon einen Schritt weiter: Sie wandelt bereits fleißig Büroflächen in Wohnflächen um, da sich hier höhere Mieterträge erzielen lassen.