Blick aus Stuttgarts Toplage auf den Talkessel – nicht nur auf der Halbhöhe werden inzwischen astronomische Preise für Wohnungen bezahlt. Foto: Lichtgut/Zweygarth

Experten sind besorgt, dass das Engagement in den Wohnungsbau bald ausbleiben könnten. Der Grund: trotz steigender Mieten werden Investitionen in Immobilien weniger attraktiv.

Stuttgart - 2250 Euro Monatsmiete für eine 2-Zimmer-Wohnung, 2700 Euro kalt für 83 Quadratmeter oder knapp 40 Euro pro Quadratmeter im vierten Stock eines Hochhauses – das sind nur ein paar Auszüge aus den aktuellen Immobilienangeboten für Stuttgart. Verdienen sich Vermieter also gerade eine goldene Nase auf dem Rücken der Wohnungssuchenden? Nein, sagt der Wissenschaftler und Immobilienexperte Stephan Kippes. Der Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) erklärt: „Auch wenn es angesichts der deutlich steigenden Mieten überraschend erscheinen mag, die Kaufpreise steigen noch wesentlich stärker. Damit sinken die Renditen deutlich.“ Kurz gesagt: Auch wenn die Mieten steigen, verdienen Vermieter häufig weniger.

Zahlen des Marktforschungsinstituts des Immobilienverbands Deutschland (IVD) belegen Kippes’ Aussagen. Demnach sind die Mieten für Neubauwohnungen in Stuttgart in guter Wohnlage seit 2009 um 27 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum haben die Kaufpreise im gleichen Segment jedoch um 102 Prozent angezogen. „Durch die sinkenden Renditen schwindet die Bereitschaft, neuen Wohnraum zu schaffen“, sagt Kippes. Und: „Die niedrigeren Renditen mögen jetzt von Investoren noch akzeptiert werden. Doch in dem Moment, in dem die Zinsen für Geldanlagen anziehen, wird sich dies schmerzlich bei der Schaffung neuen Wohnraums bemerkbar machen.“ Dann könnten noch weniger Wohnungen gebaut werden.

Der Deutsche Mieterbund bestätigt die Situation. Grundsätzlich stimme es, dass die Kaufpreise vor allem in Ballungsräumen stärker steigen als die Mieten, sagt der Landesgeschäftsführer Udo Casper. Aber: „Die Kaufpreise sind schlicht viel zu hoch. Bei den Mieten gibt es jedoch eine wirtschaftliche Leistungsgrenze, die können nicht beliebig steigen.“ Zahlreichen Mietern bleibe nach Abzug der Wohnkosten kaum noch etwas zum Leben. „Das ist ein Armutsrisiko“, so Casper. Dabei spreche man längst auch von der Mittelschicht: „Leute, die für die Funktion einer Großstadt wichtig sind, können sich das Leben dort nicht mehr leisten.“ Die einzige Lösung seien mehr Wohnungen – und bis dahin eine schärfere Mietpreisbremse.

Als Gründe für den erheblichen Anstieg bei Mieten und Kaufpreisen sehen Experten den erheblichen Zuzug in die großen Städte gepaart mit wenig Neubau. Nach Angaben der städtischen Immobiliengutachter wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres in Stuttgart lediglich 63 neue Eigentumswohnungen verkauft – so wenig wie nie zuvor. Ein weiterer Grund für die Wohnungsknappheit ist der hohe Anteil an Singlehaushalten. In München und Stuttgart liegt der Anteil der Einpersonenhaushalte laut Kippes bei über 50 Prozent.

Ein weiteres Indiz für den geringen Neubau in Stuttgart ist die Absage der Stuttgarter Immobilienmesse im Haus der Wirtschaft. Gegenüber unserer Zeitung hatten die Veranstalter die Absage damit begründet, dass es in Stuttgart zu wenig Bauprojekte gebe, die auf einer solchen Messe präsentiert werden könnten.

Gefragt nach einer Lösung des Problems schlägt Wissenschaftler Kippes einen Mix an Maßnahmen vor. Neben dem Ausweisen neuer Baugebiete und schnellen, unkomplizierten Genehmigungsverfahren für Bauprojekte durch die Politik fordert Kippes auch die Wirtschaft zum Handeln auf: „Arbeitgeber sollten wieder Werkswohnungen bereit stellen, statt nur über einen Fachkräftemangel zu jammern.“