Ein anständiges Dach über dem Kopf wird in der Region Stuttgart zunehmend zum Luxusgut – viele Geringverdiener beklagen, auf dem Wohnungsmarkt inzwischen chancenlos zu sein Foto: dpa

Der Wohnungsmarkt in der Region Stuttgart wird immer schwieriger. Wer eine bezahlbare Unterkunft sucht, reiht sich in eine lange Bewerberschlange ein. Und erlebt oft Absonderliches.

Stuttgart - „Luxus pur“ verspricht die Anzeige. „Erstbezug mit Blick über Stuttgart“, heißt es da. Vier Zimmer, Garage, Balkon. 161 Quadratmeter für 3500 Euro Kaltmiete. Solche Inserate finden sich häufiger in den Zeitungen und im Internet. Wohnen für Großverdiener, das scheint auf dem Stuttgarter Neubaumarkt der Trend zu sein.

Wenn Sabine P. (Name geändert) so etwas liest, kann sie nur fassungslos den Kopf schütteln. Seit eineinhalb Jahren ist die Frau Mitte fünfzig auf der Suche nach einer kleinen, günstigen Unterkunft irgendwo in der Region. „Stuttgart, Esslingen, Rems-Murr-Kreis, Ludwigsburg, Böblingen – ich gehe überall hin, Hauptsache ich finde eine Bleibe“, sagt sie verbittert. Erschwerend kommt hinzu, dass sie seit kurzem Arbeit sucht. Zwar würde nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes das Jobcenter die Miete übernehmen, „doch das interessiert keinen“, sagt sie. Und zeigt sogar ein bisschen Verständnis dafür: „Bei 300 Bewerbern auf eine Wohnung braucht man sich da ja auch nicht zu wundern.“ Die Auswahl ist zu groß.

Die Realität in der Landeshauptstadt hat mit den angepriesenen Luxuswohnungen wenig gemein. Die große Masse der Menschen sucht nach einem bezahlbaren Dach über dem Kopf. Oftmals verzweifelt. „Suche Drei-Zimmer-Wohnung. Biete 500 Euro Belohnung“, heißt es in einer Anzeige. „Hilfe! Singlefrau sucht kleine Wohnung maximal 500 Euro Warmmiete“ in einer anderen. Manche verteilen Wurfzettel in Briefkästen, andere bieten kostenlose Gartenarbeiten an oder versuchen es mit Humor: „Wir haben keine Kinder, keine Haustiere, keine Musikinstrumente und können nicht einmal singen“, macht ein junges Paar in der Zeitung Werbung in eigener Sache. Und ein Vermieter weist darauf hin, dass er leider nicht alle Anfragen beantworten könne, „weil es das Machbare weit übersteigt“.

Fünfter Stock, kein Aufzug, kein Keller, kein Balkon

Unter zehn Euro pro Quadratmeter gibt es kaum noch eine Mietwohnung in der Stadt. Die Preise sowohl fürs Kaufen als auch fürs Mieten sind in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Zwei Zimmer, Hoffeld, 57 Quadratmeter, 790 Euro plus Heizkosten. Ein Zimmer, möbliert, Feuerbach, 25 Quadratmeter, 740 Euro warm. Viel Geld für wenig Wohnen. Wenn solche Angebote im günstigen Segment überhaupt auf den Markt kommen, sind sie dennoch heiß begehrt.

Ortstermin im Stuttgarter Süden. Ein bezahlbares Dach über dem Kopf soll es sein. Auf fünf Bewerbungen im Rahmen eines Selbstversuchs sind immerhin zwei Einladungen zur Besichtigung gekommen. Jetzt geht es hinauf in den fünften Stock. Ohne Aufzug. Immerhin hat der Makler das vorher am Telefon erwähnt. Nichts für ältere Semester. „Der jetzige Mieter trägt sogar seine Fahrräder hinauf“, sagt der kompetente Makler. Das muss er auch, denn einen Keller gibt es ebenso wenig wie einen Balkon. Dafür 70 Quadratmeter in guter Innenstadtlage für 950 Euro warm. 130 Interessenten haben sich beworben. Am nächsten Tag kommen weitere zehn von ihnen. „Jeden einzelnen hole ich an der Haustür ab und bringe ihn auch wieder hinunter“, erzählt der Mann im Anzug. Die Courtage ist verdient.

Wo man schon mal hier ist, bietet der Makler gleich noch eine andere Wohnung um die Ecke an – im selben Preissegment. Diesmal deutlich kleiner, im vierten Stock und mit Aufzug. „Wenn ich die inseriere, ist sie sofort weg“, betont er. Den Mini-Keller bezeichnet er lachend als „Hundebox“. Ehrlich währt am längsten. Daran halten sich nicht immer alle. Manche Vermittler verlangen inzwischen Besichtigungsgebühren. Betrüger versuchen es mit der beliebten Masche, Vorkasse für die Schlüsselübergabe zur Besichtigung einer Wohnung zu fordern. Die aber steht gar nicht zur Vermietung. Das Geld muss ins Ausland geschickt werden.

Persönliche Daten per Selbstauskunft

Ob man bei den besichtigten vier Wänden im Süden eine Chance hätte, ist offen. Also geht es weiter in den Stuttgarter Westen. Die kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Zehn-Parteien-Blocks macht einen gepflegten Eindruck. „Sehr viele Bewerber“ hätten sich gemeldet, sagt der Vermieter, der persönlich gekommen ist, knapp. Besichtigungstermine gibt es im Viertelstundentakt die ganze Woche über.

Doch wer dort ernsthaftes Interesse anmelden will, stößt auf eine Hürde. In einer dreiseitigen Selbstauskunft werden jede Menge Dinge abgefragt. Name und Anschrift des derzeitigen Vermieters, Kopie des Personalausweises, Gehaltsnachweis, Mietschuldenfreiheitsbestätigung und Schufa-Auskunft werden verlangt. Auch das Privatleben ist von Interesse. Haustiere? Musikinstrumente? Gab es Räumungsklagen oder Zwangsvollstreckungen? Bestehen Darlehen oder sonstige Zahlungsverpflichtungen? Womöglich Vorstrafen oder ein Haftbefehl?

Starker Tobak. In dem Vordruck steht zwar, es sei bekannt, dass man solche Selbstauskünfte nicht verlangen könne, sie seien aber dennoch „Vorbedingung“ für eine Vermietung. Sie würden später „gemäß Bundesdatenschutzgesetz“ vernichtet. Als der Suchende sich über so viel Neugier wenig begeistert zeigt, sinkt das Interesse des Vermieters rapide. Macht aber nichts – der nächste Kandidat wartet schon vor der Tür.

Laut Experten wird viel zu wenig gebaut

„Der einfache Wohnwert, alles, was bezahlbar ist, fehlt massiv auf dem Stuttgarter Markt“, sagt Stephan Kippes. Sein Forschungsinstitut beim Immobilienverband Deutschland (IVD) ermittelt regelmäßig die Entwicklungen bei den Immobilien. „Die Wohnungsproduktion ist in allen Segmenten viel zu niedrig. Nicht nur beim sozialen Wohnungsbau, sondern auch im nicht geförderten Bereich“, weiß der Experte.

Das setzt eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang: Leute mit gutem Gehalt können sich angesichts der Preise die besseren Wohnungen, die für sie normalerweise infrage kämen, nicht mehr leisten. Sie weichen auf günstigere Angebote aus. Auf die wären aber eigentlich Menschen angewiesen, die weniger verdienen. Die Spirale dreht sich nach unten weiter, sodass Leute mit sehr wenig Geld kaum noch eine Chance haben.

Bisherige Schritte der Politik sieht Kippes kritisch. „Durch die Mietpreisbremse wird das auch nicht besser“, sagt er. Er erwartet dadurch eher eine weitere Drosselung des Angebots. „Die Kaufpreise steigen noch viel stärker als die Mieten“, so der Experte. Neubau-Eigentumswohnungen haben pro Quadratmeter noch vor acht Jahren 3200 Euro gekostet. Inzwischen sind es 5200 Euro. „Wir brauchen aber Leute, die bauen und kaufen. Dabei geht es nicht nur um Großkopferte. Häufig sind das kleine Leute, die an ihre Altersvorsorge denken“, weiß Kippes. Wenn die ihre hohen Kosten nicht mehr über die Mieten einspielen können, wird das Paket unattraktiver.

Angst vor der Notunterkunft

Sabine P. hat „inzwischen alles versucht“, sagt sie. Ihre Bewerbungsschreiben füllen Aktenordner, sie hat Wohnbaugesellschaften abtelefoniert, an einigen Besichtigungen teilgenommen, bei denen die Interessenten Schlange standen. Die arbeitslose Frau muss in wenigen Tagen ihre Wohnung räumen, weiß noch nicht, wohin sie soll. Sie hat Angst vor einer Notunterkunft. „Das ist eine furchtbare Situation, in der ich noch nie gewesen bin. Ich fürchte, der soziale Absturz ist programmiert“, sagt sie. „Luxus pur“ auf 161 Quadratmetern erscheint ihr angesichts dieser Situation wie der blanke Hohn.