Wer keine reichen Eltern oder Pech bei der Wohnungssuche hat, landet als Student schnell in der Notunterkunft. Foto: Sascha Maier

Studenten, die aus Jux oder politisch motiviert Häuser besetzen, das war gestern. Heute stehen Studenten an den Wohnheimen Schlange – und überdauern bis dahin zum Beispiel im Notquartier der Uni Hohenheim, das sich gerade füllt.

Plieningen - Es gab einmal einen Physikprofessor in Stuttgart, der wurde unter Studenten gleichermaßen gefürchtet und bewundert. Fachlich brillant, hatte Alejandro Muramatsu für die Alltagsnöte seiner Studenten allerdings eher taube Ohren. „Faule Ausreden“ seien das, wenn man eine Hausarbeit aus diesen oder jenen Gründen nicht rechtzeitig abgeben könne. „Ich bin in Argentinien aufgewachsen. Im Slum. Ich hatte nichts außer ein Physikbuch“, ist eine Anekdote, die er immer wieder gerne erzählte.

Ob diese Geschichte 2016 noch so zieht, ist angesichts der aktuellen Situation vieler Studierender fraglich. Denn der Wohnraummangel ist mittlerweile derart eklatant, dass einige Studenten tatsächlich kein Dach mehr über dem Kopf haben, wenn das Semester beginnt. Auch in Plieningen und Birkach. Deshalb richtet die Uni Hohenheim seit einigen Jahren Notquartiere ein, mit Feldbetten und sanitären Einrichtungen, die gemeinsam genutzt werden – auch dieses Jahr wieder.

Wohnen im Gymnastikraum

Hannah Oertel ist eine, die zu weit unten auf der Liste des Studierendenwerks Tübingen-Hohenheim stand, um noch einen Platz in einem Studentenwohnheim zu bekommen. Die 20-Jährige aus Nordrhein-Westfalen bekam im Juni die Zusage, dass sie für den Studiengang Agrarwissenschaften in Hohenheim genommen wird. Im Juni bewarb sie sich auf einen Wohnheimplatz. Zu spät, wie sich herausstellte. „Man teilte mir jetzt mit, dass die Liste für die Wohnheimplätze voll sei.“

An diesem Samstag wird sie eine Notunterkunft in der Alten Bauernschule beziehen, diese ist gegenwärtig von der Uni Hohenheim angemietet und wird ansonsten als Hörsaal und Kita genutzt. Oertel wird erst mal in einem Raum unterkommen, der eigentlich für die Erzieher der Kita vorgesehen ist. Mit bis zu zehn anderen jungen Frauen in einem Zimmer – die Feldbetten stehen schon. Auf zwei Studentinnen kommt rund ein Tisch. In einem Gymnastikraum im Keller stehen noch mal genau so viele Betten für die männlichen Studierenden, die auf dem Wohnungsmarkt leer ausgingen.

Aus Verzweiflung Stadtanzeiger

Oertel, die bis Ende Oktober auf ihrem Feldbett schlafen muss, sollte sich nun auf dem sekundären Studentenwohnungsmarkt schnell um eine Bleibe kümmern. Denn dann wird ihr Notquartier wieder anderweitig genutzt.

Doch die Suche gestaltet sich gar nicht so einfach, sagt sie. „Viele der auf der Uni-Seite ausgeschrieben Wohnungen sind bereits belegt, aber immer noch im System.“ Darum habe sie bis jetzt nur Absagen bekommen. Jetzt ist Oertel auf der Suche in Stadtanzeigern – und hofft dort privat vermietete Objekte von älteren Menschen zu finden, die womöglich nicht so internetaffin sind. Oertel ist egal, wo die Wohnung liegt und wie sie ausgestattet ist. „Hauptsache ein Dach überm Kopf“, sagt sie.

Zeitfenster ist knapp

Warum Studenten wie Hannah Oertel hausen müssen wie Wanderarbeiter? Ist es individuelle Schlamperei der Studenten, die sich nicht rechtzeitig kümmern? Oder ist der Wohnungsmarkt in Stuttgart wirklich so katastrophal?

Michael Max, der Standortleiter des Studierendenwerks in Hohenheim, sieht vor allem das knappe Zeitfenster als problematisch an, das zwischen Zusage eines Studiums seitens der Uni und Studienbeginn liegt. „Da sind die Listen bei uns oft schon voll.“

Notquartiere überbesetzt

Eine andere Gruppe, die offenbar besonders betroffen ist und das Angebot der Notunterkünfte in Anspruch nimmt, sind Studenten aus dem Ausland. Im Vorjahr waren die Notquartiere ebenfalls für knapp 20 Personen ausgelegt und mit 23 etwas überbesetzt. „Mehr als die Hälfte dort sind ausländische Studierende“, sagt Standortleiter Max.

Doch für alle Studenten, ob aus dem In- oder Ausland, gelte: Nicht nur der freie Wohnungsmarkt, auf dem sich zumindest für den studentischen Geldbeutel kaum etwas findet, ist ein Problem. Auch die Studentenwohnheime platzen – unabhängig vom Zeitpunkt der Zusagen – aus allen Nähten.

500 Bewerbungen mehr als Plätze

„Die Nachfrage steigt immer weiter, während keine neuen Wohneinheiten dazukommen“, sagt Sandra Haggenmüller, eine Sprecherin des Studierendenwerks Tübingen-Hohenheim. Alle 1050 Plätze der Wohnheime sind belegt, wobei dieses Jahr 1500 Bewerbungen eingingen.

„Diese Zahl darf man nicht überbewerten, da sich viele Studenten parallel auch woanders auf Wohnungen bewerben“, sagt Haggenmüller. „Aber unsere Wohnheimverwaltung signalisiert, dass wir mindestens 300 neue Plätze brauchen, um den Bedarf zu decken.“ 250 sind immerhin bis zum Wintersemester 2018 in Planung. Wenn der Andrang der Studierenden zunimmt wie bisher, werde das aber nicht reichen, so die Sprecherin.