Die Landeshauptstadt ist ein teures Pflaster. Doch innerhalb der vergangenen sechs Monate haben sich lediglich drei Menschen gegen zu hohe Mieten zur Wehr gesetzt Foto: Sebastian Weitbrecht

Mit Hilfe der Mietpreisbremse könnten Mieter eigentlich gegen überzogene Forderungen von Immobilienbesitzern vorgehen. Doch bislang haben lediglich drei Mieter von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Stuttgart - 80 Prozent aller angebotenen Wohnungen in Stuttgart verstoßen nach Aussage des Mietervereins gegen die Mietpreisbremse. Das Gesetz gilt seit rund sechs Monaten. Doch erst in drei Fällen haben Mieter versucht, sich gegen die mutmaßlich überzogenen Forderungen von Immobilienbesitzern zu wehren – mit bislang unklarem Ausgang. Angesichts Tausender neuer Mietverträgen im vergangenen halben Jahr eine verschwindend geringe Zahl.

Rund neuen Euro pro Quadratmeter gibt der Mietspiegel für eine durchschnittliche 50-Quadratmeterwohnung in Stuttgart her. Nach dem neuen Gesetz darf der Aufschlag bei einem Mieterwechsel maximal 10 Prozent über dieser sogenannten ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Doch aus den korrekten 9,90 Euro werden aufgrund der hohen Nachfrage und des knappen Angebots in Stuttgart derzeit schnell elf, zwölf oder deutlich mehr Euro – Mietpreisbremse hin oder her. Davon ist zumindest der Mieterverein überzeugt.

80 Prozent verstoßen gegen die Mietpreisbremse

Der Vorsitzende des Mietervereins, Rolf Gaßmann, sagt: „80 Prozent der in Stuttgart angebotenen Mietwohnungen verstoßen gegen die Mietpreisbremseund sind eigentlich unzulässig.“ Doch warum wehrt sich trotzdem kaum ein Mieter? „Die einzige Chance ist, nach dem Einzug in die neue Wohnung dem eigenen Vermieter mit einer Klage zu drohen“, erklärt Gaßmann. Ein Schritt, den offenbar viele Mieter scheuen, glaubt er. „Man nimmt lieber die zu hohen Mieten hin.“ Die ursprüngliche Idee sei gewesen, dass zu hohe Mieten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden sollten, so Gaßmann, der Vermieter also gar nicht mehr als gesetzlich zulässig hätte verlangen dürfen.

Zwar seien alle im Bundestag vertretenen Parteien mit der Forderung nach der Mietpreisbremse in die letzte Bundestagswahl gezogen. „Doch am Ende wurde das Gesetz verwässert“, urteilt Gaßmann, „so hat es keine abschreckende Wirkung.“ Nun sei es so, dass Vermieter mehr oder weniger verlangen könnten, was sie wollen. Für die Mieter bleibt nur der Klageweg nach Vertragsabschluss.

Ein weiterer Grund, weshalb sich kaum ein Mieter zur Wehr setzt, ist nach Ansicht des Mietervereins die Komplexität des Gesetzes. „Es gibt zahlreiche Ausnahmen“, so Gaßmann. Die Mietpreisbremse greift nicht, wenn grundlegend saniert wurde oder der Vermieter schon vom vorherigen Mieter deutlich mehr verlangt hat, als im Mietspiegel verankert ist. Auch der Erstbezug im Neubau ist ausgenommen. „In den drei aktuellen Auseinandersetzungen, die wir führen, beziehen sich die Vermieter auf eben jene Ausnahmen“, sagt Gaßmann und fügt an: „Es ist schwer, nachzuweisen, dass die Sanierung der betreffenden Wohnung nicht grundlegend war oder dass der Vormieter doch weniger bezahlt hat, als vom Vermieter angegeben.“

In drei Fällen gingen Mieter gegen Vermieter vor

Gaßmanns Fazit zur Mietpreisbremse und den bislang lediglich drei Fällen in Stuttgart: „Das ist entsetzlich wenig und entspricht nicht der Realität der zu hohen Mietpreise.“ Das Gesetz müsse deswegen allerdings nicht abgeschafft sondern verschärft werden, so der Vorsitzende des Mietervereins.

Für eine komplette und möglichst rasche Abschaffung plädiert hingegen Ulrich Wecker, der Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins. „Der Grund, aus dem kaum einer von der Mietpreisbremse Gebrauch macht, ist, dass die Stuttgarter Vermieter keine überzogenen Preise verlangen“, sagt Wecker. Aus seiner Sicht helfe das neue Gesetz ohnehin nicht denen, für die es ursprünglich gedacht war. „Die Mietpreisbremse ist unsozial“, sagt er. Da sich Vermieter aus gutem Grund für den solventesten Kandidaten entschieden, helfe das Gesetz lediglich den ohnehin finanzstarken Schichten, sich noch größere Wohnungen leisten zu könne, so der Geschäftsführer.

Den Immobilienbesitzern rät Wecker, aufgrund der neuen Gesetzeslage die Mieten regelmäßig im Rahmen des Erlaubten anzupassen, und genau zu prüfen, ob die eigene Wohnung im Mietspiegel korrekt eingruppiert ist – beispielsweise als vorteilhafte Lage.

Bürgermeister Föll sieht ein wirkungsloses Instrument

Auch die Stadt zieht mit Blick auf das neue Gesetz ein negatives Fazit. „Mein Eindruck ist, dass die Mietpreisbremse ein weitgehend wirkungsloses Instrument ist“, erklärt der Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU). Es handle sich aus seiner Sicht um einen Papiertiger, fügt Föll an. Und: „Ich kann verstehen, dass es sich die Menschen nicht sofort durch eine Klage mit ihrem Vermieter verscherzen wollen.“

Mit Blick auf die sonstigen Veränderungen in der Mietgesetzgebung – das Bestellerprinzip (wonach nicht mehr automatisch der Mieter den Makler bezahlen muss), die Kappungsgrenze (der Anstieg der Mieten im Bestand wird stärker beschränkt) oder das Zweckentfremdungsverbot (Leerstand von Wohnungen wird geahndet) – zieht Föll hingegen ein positives Zwischenfazit. „Ich habe den Eindruck, dass diese Instrumente großteils effektiv sind.“ Für eine endgültige Bilanz müsse man aber noch ein bis zwei Jahre warten, so Föll weiter.

Ulrich Wecker von Haus und Grund hingegen bezeichnet das Paket der neuen Mietgesetze als „Folterwerkzeug gegen rechtschaffene Vermieter“. Besonders das von der Landeshauptstadt eingeführte Zweckentfremdungsverbot ist für Wecker „ein direkter Misstrauensantrag von OB Fritz Kuhn gegen die Haus und Grundbesitzer der Stadt“.