Das Atrium: Hier kann man leicht in Kontakt kommen – wenn man will. Foto: Rousek

Was ist eigentlich Mehrgenerationenwohnen? Bewohner des „Lichtbaus“ in Holzgerlingen berichten von ihrem Wohnprojekt.

In Waldenbuch beginnt Großes: In das „Mehrgenerationen-Wohnen“, das wohl größte Stadtprojekt der vergangenen Jahre, zieht Leben ein. Doch wie funktioniert dieses Mehrgenerationen-Konzept in der Praxis? Wird der Gemeinschaftsgedanke auch nach Jahren noch mit Leben gefüllt oder ist es am Ende doch nur ein normales Mehrparteienhaus?

Unsere Redaktion hat mit erfahrenen Bewohnern gesprochen – des „Lichtbaus“ in Holzgerlingen, der vor rund fünf Jahren eröffnet hat.

Der harte Kern blieb am Ball

Im lichtdurchfluteten Gemeinschaftsraum des Mehrgenerationenhauses in Holzgerlingen haben fünf Parteien Platz genommen: Michael Pflugfelder, Maja Viergutz, Gerhard Martin und eine Dame, die anonym bleiben möchte, als Eigentümer, sowie Jonas Deman als Mieter. Viergutz war Ende 2018 als erste Bewohnerin in den Lichtbau eingezogen, damals noch in eine halbe Baustelle, erinnert sie sich. Doch nach den zähen Jahren, die bis zur Realisierung des Baus vergangen waren, wollte sie wohl nicht mehr länger warten.

Entstanden war die Idee in einem von der Stadtverwaltung initiierten Arbeitskreis. Anfangs gab es nur wenige Interessenten, was die Finanzierung erschwerte. Doch der „harte Kern“ um Viergutz, Pflugfelder und Martin gaben nicht auf. Am Ende fanden sich 31 Parteien, um das Projekt in der Hohenzollernstraße aus der Taufe zu heben. Im November 2016 war Spatenstich.

Heute besteht etwa die Hälfte der 31 Parteien aus Mietern, die andere Hälfte aus Eigentümern. Junge Familien, Paare, Senioren, Hunde und Katzen leben dort. „Das Konzept ist auf jeden Fall aufgegangen“, bilanziert Michael Pflugfelder. Darauf, dass es so bleibt, achten die Vermieter sorgfältig. Würden sie die Auswahl ihrer Mieter nicht steuern, erklärt Martin, würden fast ausschließlich Senioren einziehen. „Aber es soll ja ein Mehrgenerationenhaus bleiben.“ Deshalb wird, wenn etwa ein junges Paar auszieht, die Wohnung nach Möglichkeit auch wieder an ein junges Paar vermietet.

Großer Vorteil während Corona

Das ganze Gebäude ist durch das Atrium so angelegt, dass man leicht in Kontakt mit den Nachbarn kommt. Man kann die anderen sehen, erklärt eine Bewohnerin, man winkt sich zu. „Man fühlt sich nie allein.“ Dennoch, wirft Jonas Deman ein, hat jeder auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Keiner wird gezwungen, überall dabeizusein. Überall, damit sind die gemeinsamen Treffen gemeint. Der Kochtreff, Spiele- oder Fernsehabende, spontanes Grillen. Oder, wie während der Fußball-EM, Public Viewing auf der Leinwand im Gemeinschaftsraum. Darüber hinaus bietet das Atrium genug Möglichkeiten, zusammenzukommen – sei es am Tischkicker, am Billardtisch oder einfach an Stühlen mit Tischchen auf den „Brücken“, die die beiden Hausseiten verbinden.

Während Corona bot gerade diese Bauweise mit dem Atrium große Vorteile, erinnern sich die Bewohner. In dem luftigen Raum konnte man sich mit Abstand begegnen und dennoch ein Schwätzchen halten. Oder sich gegenseitig mit Einkäufen unterstützen. „Alles andere ist natürlich flachgefallen“, so Viergutz. „Und hat sich erst danach wieder mühsam etablieren müssen.“

Die Bewohner bilden eine kleine Gesellschaft

Heute ist die Gemeinschaft wieder zusammengerückt. Es gibt neben dem Bewohnerrat im Haus eine Technikgruppe, eine Lastenfahrrad-Gruppe, eine Gruppe, die die Gemeinschaftsgrünanlage pflegt und eine Orga-Gruppe. Die Bewohner – und manchmal auch die Vermieter wie Gerhard Martin – kommen zu etwa zwei Veranstaltungen die Woche zusammen. „Es ist wie eine kleine Gesellschaft“, findet Deman. „Die Lösung all meiner Probleme“, schwärmt Viergutz.

Eine, die an diese Zeit gerne zurückdenkt, ist Valerie Nußbaum. Sie und ihr Mann bezogen 2019 ihre damals brandneue Wohnung im Holzgerlinger Lichtbau. Zuvor hatten sie in Esslingen in einem Mehrfamilienhaus gelebt – mit einer tollen Gemeinschaft. Entsprechend schwer war ihnen die Vorstellung gefallen, dort wegzuziehen. In die Anonymität, ohne Freunde und Bekannte.

Das Inserat des Lichtbaus kam da gerade richtig. Nicht nur wegen der Gemeinschaft, die dort zum Konzept gehört, sondern auch, weil es als Passivhaus baulich ein spannendes Projekt war, erinnert sich Nussbaum. Für die beiden war klar: Wenn sie schon – des Berufs wegen – in den Landkreis Böblingen ziehen, dann nur für so etwas.

Als es soweit war, seien alle mit dem Gedanken eingezogen, nicht anonym wohnen zu wollen. Dadurch, dass insbesondere die Eigentümer dieses Konzept von Beginn an gelebt haben, sei es auch für die Mieter einfach gewesen, mitzuziehen, sagt sie. Ganz nach dem Motto: Alles kann, nichts muss.

Vorhänge mit Symbolkraft

Der Lichtbau ist auch baulich etwas Besonderes: Alle Wohnungen haben nach außen und nach innen in Richtung Atrium eine Art Fenster. Nach einer Weile habe sich eingebürgert, erzählt Valerie Nußbaum, dass man diese Scheiben verdeckt, wenn man ungestört bleiben möchte – und sie offenlässt, wenn man etwa einem spontanen Besuch nicht abgeneigt ist.

2022 zogen Nußbaum und ihr Mann dann aus. Doch nicht, weil es ihnen im Lichtbau nicht gefallen hätte, sondern schlicht, weil sie eine Eigentumswohnung wollten und eine solche in dem Gebäude in Holzgerlingen nicht in absehbarer Zeit frei geworden wäre. Inzwischen wohnen sie in einem Haus mit einem ähnlichen Konzept in Herrenberg, das sogar der selbe Architekt entworfen hat.

Über die Zeit im Lichtbau sagt Valerie Nußbaum: „Es war genau so, wie wir es uns gewünscht haben.“ Auf einen Schlag haben sie und ihr Partner eine Menge neuer Leute kennengelernt – Ur-Holzgerlinger, junge Paare, Menschen mittleren Alters. „Von dieser Vermischung profitieren alle Seiten“, ist sie überzeugt. Ihr Fazit: Das Konzept von Mehrgenerationenhäusern sei „absolut zukunftsfähig“.

Das Mehrgenerationen-Wohnen in Waldenbuch

Wohnungen
Das Objekt in Waldenbuch bietet Wohnungen für 21 Familien sowie fünf für Personen mit Wohnberechtigungsschein. Dazu finden 14 Personen in zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften Platz, von denen ebenfalls sieben Plätze für Menschen mit Sozialleistungsbezug zur Verfügung stehen. Nochmals 37 Einheiten bietet der Bereich betreutes Wohnen. Im Unterschoss wurden zudem großzügige, helle Räume für die Tagesbetreuung mit 18 Plätzen eingerichtet.

Tagespflege
Die Pflegekasse fördert die Tagespflege, und der Beitrag der Pflegekasse deckt den Aufenthalt. Nur Kost und Unterhalt sind selbst zu leisten. Es ist möglich, die Einrichtung auch nur tageweise, also zum Beispiel zweimal wöchentlich nur an den Vormittagen zu nutzen. Bei 18 Plätzen sind etwa Anmeldungen von 60 Personen für eine Komplettauslastung möglich. Die Tagespflege steht allen Personen, auch außerhalb Waldenbuchs zur Verfügung. Auch, wenn es nur um die Teilnahme am Mittagstisch geht.

Gemeinschaftsräume
Eine große Cafeteria ist als Raum der Begegnung, für Familienfeiern der Bewohner und für den Mittagstisch vorgesehen. Zur aktiven Bewegung steht ein Fitnessraum für Senioren zur Verfügung. Ebenfalls eine Bibliothek inklusive eines Computers zur allgemeinen Nutzung.