Zwanglose Gespräche im Garten mit Lebenshilfe-Teamleiter Bastian Burger (rechts) genießen Mauricio Klumpp und Katharina Höger. Foto: privat

Menschen mit und ohne Behinderung leben in Ruit in Wohngemeinschaften zusammen. Die Bewohner ziehen ein positives Fazit des Modells. Allerdings werden dringend neue Mitbewohner gesucht.

Sein Mitbewohner hat den 32-jährigen Mauricio Klumpp manchmal zum Karaoke begleitet. „Das hat so viel Spaß gemacht“, schwärmt der junge Mann, der mit dem Downsyndrom lebt. „Am liebsten habe ich ABBA gesungen“, schwärmt der begeisterte Sportler mit den roten Haaren. Der Song „Mamma Mia“ hat es ihm angetan. Seit vier Jahren lebt der junge Mann in einer inklusiven Wohngemeinschaft in der Hedelfinger Straße in Ostfildern-Ruit. Menschen mit und ohne Behinderung sind dort zusammen. „Man hilft einander im Alltag“, sagt Bastian Burger, der als Teamleiter „Ambulant Begleitetes Wohnen“ in Ostfildern bei der Lebenshilfe tätig ist. Derzeit suchen die jungen Leute händeringend nach Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern ohne Behinderung. Das Konzept lebt vom Miteinander.

 

Die Idee für das inklusive Wohnprojekt hatte Gabriele Klumpp. Die Mutter von Mauricio ist Stadträtin bei den Grünen in Ostfildern. „Das Miteinander auf allen Ebenen“ von Menschen mit und ohne Behinderung ist ihr wichtig. Dass ihr Sohn mal alleine leben wollte, hat sie seit langem gespürt. Doch der umtriebige Mann hat sich gewünscht, mitten im Leben zu sein. Der 32-Jährige arbeitet trotz seiner Einschränkung seit Jahren in einer Kindertagesstätte im Scharnhauser Park. Dort fühlt er sich wohl. Mittags deckt er den Tisch für die Jungen und Mädchen. Und auch sonst gebe es in so einer Kita „alles mögliche“ zu tun. Wenn er nachmittags von der Arbeit heimkommt, genießt er es, mal in der WG gemeinsam mit den anderen zu kochen. Gemeinsam etwas zu unternehmen, das gefällt den jungen Leuten. Mit der Stadtbahn fährt Klumpp in sein Fitnessstudio.

„Wenn man mal keine Lust hat, geht man einfach in sein Zimmer“, sagt Lisanna Grau. Das großzügige Wohnzimmer, die Küche und das Bad teilt sich die WG. Die junge Frau arbeitet in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung. Sie braucht wegen ihrer kognitiven Einschränkungen zwar Eingliederungshilfe und Assistenz im Alltag. Das selbstbestimmte Leben klappt ansonsten aber bestens, wenn sie etwas Hilfe bekommt.

Kleine Hilfen im Alltag sind erwünscht

„Wir suchen bevorzugt Mitbewohner, die immer mal wieder im Alltag unterstützen“, sagt Bastian Burger. Dafür bekommen die Männer und Frauen dann eine Aufwandsentschädigung. Bisher habe das Modell gut funktioniert. Burger hofft, dass sich gerade Auszubildende oder Studierende für das inklusive Projekt interessieren. „Vom Austausch profitieren beide Seiten“, findet Burger. Als stellvertretender Bereichsleiter für das Wohnen bei der Lebenshilfe in Esslingen ist er im engen Kontakt mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Man entscheide immer wieder spontan, wer welche Hilfen brauche.

„Ich wollte einfach mal von zuhause raus“, sagt die 29-jährige Katharina Höger. „Das war für mich ein ganz wichtiger Moment.“ Obwohl die junge Frau berufstätig ist, hat auch sie mit Einschränkungen im Alltag zu kämpfen. Ihre Probleme überwindet Katharina Höger im Zusammenleben in der Wohngemeinschaft. „Wir unternehmen viel zusammen“, sagt die junge Frau mit dem ansteckenden Lächeln. „Durch das Leben in der inklusiven Wohngemeinschaft bin ich viel selbstständiger geworden.“

In der Hedelfinger Straße 35 hat das Siedlungswerk die Mehrfamilienhäuser gebaut, die um einen begrünten Innenhof gruppiert sind. Dort haben die Nachbarn Hochbeete, in denen sie Gemüse für den eigenen Bedarf pflanzen dürfen. Das Gärtnern hat Lisanna Grau viel Freude gemacht. Sie sei gespannt, was da geerntet wird. Die jungen Leute aus den zwei Wohngemeinschaften der Lebenshilfe kommen mit den Nachbarinnen und Nachbarn prima klar. Dass in dem Mehrfamilienhaus ein fröhliches Miteinander herrscht, spürt man schnell.

Die Integration im Stadtteil klappt

„Unsere Bewohnerinnen und Bewohner haben sich prima in Ruit integriert“, findet Bastian Burger. Darauf ist er stolz. Die Lebenshilfe will dazu beitragen, Menschen mit Behinderung aus der Isolation zu führen. Die inklusiven Wohngemeinschaften sind für ihn „ein zukunftsweisendes Modell“ für die Gesellschaft. Schritt für Schritt möchte Bastian Burger den behinderten Bewohnern Selbstbestimmung ermöglichen.

Dass es im Alltag auch manchmal Reibereien gibt, hat Lisanna Grau mit einer Mitbewohnerin erfahren, die in der Wohnung Katzen hielt. „Dass sie die Kisten oft nicht geleert hat, das ging ja gar nicht.“ Durch dieses schwierige Miteinander hat die junge Frau aber auch gelernt, ihrem Gegenüber Grenzen aufzuzeigen. Dennoch möchte sie das Zusammenleben nicht missen. „Man muss Rücksicht nehmen“, hat sie inzwischen erfahren. Wie die anderen freut sie sich darauf, sich bald wieder mit neuen Mitbewohnerinnen und -bewohnern anzufreunden und das Abenteuer Alltag gemeinsam zu bewältigen.

Bausteine für die Inklusion

Miteinander
 Die inklusiven Wohngemeinschaften der Lebenshilfe sind anfangs mit Geldern der Aktion Mensch gefördert worden. Wer sich für einen Platz in der WG interessiert, kann sich bei der Lebenshilfe Esslingen bei Teamleiter Bastian Burger unter Telefon 07 11 / 9 37 88 86 41 melden.

Ostfildern inklusiv
 Das Forum Ostfildern inklusiv setzt sich für die Belange von Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen ein. Die Stadtverwaltung Ostfildern unterstützt die Ehrenamtlichen. Im Forum werden Themen wie etwa das barrierefreie Bauen oder inklusive Projekte besprochen.

Inklusionsrat
 Um die Belange behinderter Menschen noch wirkungsvoller durchzusetzen, hat die Stadträtin Jutta Zwaschka (Die Linke) beantragt, einen Inklusionsrat einzurichten. Darüber wird der neue Gemeinderat in Ostfildern in einer der nächsten Sitzungen beraten.