Gerrit Heidelberg aus Ludwigsburg (links) ist am Samstag als erster Bewohner in den Neubau der Baugemeinschaft eingezogen. Foto: Caroline Holowiecki

Es ist vollbracht: Nach vier Jahren der Planung und knapp zwei Jahren Bauzeit sind „Bern“ und „Stein“, die zwei Häuser der Baugemeinschaft in Stuttgart-Heumaden, bezugsfertig. Wir haben die Baugemeinschaft bis zu diesem Tag begleitet.

Heumaden - Den 29. September hat Ingrid Höll dick im Kalender markiert. Einzug! Sie, ihr Mann und die beiden Kinder freuen sich riesig auf die neue Vier-Zimmer-Wohnung. Auch, weil Ingrid Höll genau weiß, was sie an der Heumadener Bernsteinstraße erwartet. Sämtliche Nachbarn kennt sie, die Fußböden hat sie ebenso mit ausgesucht wie die Hochbeete oder die Gemeinschaftsküche, die im Oktober geliefert wird. Ingrid Höll ist Mitglied der Baugemeinschaft, die die 23 Wohnungen ohne professionellen Bauträger erstellt hat.

Durchs Treppenhaus huschen, ist nicht erwünscht

Für 14 Wohnungen zeichnet der Bau- und Heimstättenverein verantwortlich, für zwei das Behindertenzentrum BHZ, in sieben Eigentumswohnungen ziehen Familien und Einzelpersonen ein. Der Mix ist gewollt. Die Häuser sind so konzipiert, dass man nicht schnell durchs Treppenhaus huscht, sondern auf Laubengängen wandelt. Das soll die Kommunikation fördern. „Wir waren schnell Feuer und Flamme. Wir wünschen uns eine intensive Gemeinschaft“, sagt Ingrid Höll.

Die ersten Umzugswagen waren an diesem Wochenende da. 2013, als die Pläne fürs Gebiet Über der Straße erstellt wurden, waren sie die Ersten ihrer Art in Stuttgart. Zwar hatte es auch zuvor schon Baugemeinschaften gegeben, vor vier Jahren aber goss der Gemeinderat die Konzeption in eine Form und ermöglichte per Beschluss den Verkauf von städtischen Grundstücken zum Festpreis. Viele Augen sind seither auf die Häuser „Bern“ und „Stein“ gerichtet, seit Anfang 2016 die Bagger anrückten. Ähnliche Projekte entstehen aktuell in Möhringen und auf dem Olgäle-Areal, eine Ausschreibung für Feuerbach beginnt in diesem Herbst.

Sie sind „reingestolpert“ in die Baugemeinschaft

Die 34-jährige Ingrid Höll erinnert sich noch dran, wie sie und ihr Mann Bernhard (38) sich gern Eigentum leisten wollten – aber nichts fanden. Und wie sie dann im Amtsblatt zum ersten Mal von einer Baugemeinschaft lasen und dann „reingestolpert“ sind in die außergewöhnliche Gemeinschaft. Ein Konzept, das Vorteile hat, etwa deutlich niedrigere Kosten, aber auch Rückschläge brachte. Es gab Wechsel bei den Nachbarn, teils wegen finanzieller, teils wegen persönlicher Gründe. Und wieder bei anderen habe sich während der Planung gezeigt: Vielleicht ist das Bauen in der Gruppe, an die man sich als Besitzer einer Eigentumswohnung vertraglich für mindestens zehn Jahre bindet, doch nichts. „Das ist auch eine Mutfrage, man muss das auch wollen“, findet Uta Kamleiter.

Sie wird in einem der geförderten Appartements vom 2. Oktober an mit ihrem Mann Michael und der 14-jährigen Tochter leben. Die Kamleiters sind zwar Mieter, durften aber stets mitentscheiden. Michael Kamleiter ist nach einem Schlaganfall auf einen Rollstuhl und eine barrierefreie Bleibe angewiesen, aber nicht nur diesbezüglich konnte die Familie eingreifen, auch ein Extrafenster, das sonst keiner hat, hat sie einbauen lassen. „Die Architekten fanden es nicht so berühmt, aber sie haben eingesehen, dass das zum Konzept gehört“, erzählt Uta Kamleiter (49) und lacht.

Es handelt sich um ein Sechs-Millionen-Euro-Projekt

In unzähligen Sitzungen musste viel besprochen werden. Eine Vorgabe: kein Luxus in den Gemeinschaftsbereichen. Einige Ideen sind dem Sparzwang zum Opfer gefallen, etwa ein Dachgarten oder ein gläserner Aufzug. Und auch die Holzfassade, die jetzt die Balkone schmückt, hätte die Gruppe gern am ganzen Haus gesehen, musste sich aber aus Brandschutzgründen von der Idee verabschieden. Learning by doing. Kenntnisse in Sachen Bauen haben die meisten Mitstreiter nicht mitgebracht. Ohne Projektsteuerer sowie Architekten wär es nicht gegangen, „das ist ein Sechs-Millionen-Euro-Projekt, das macht man nicht ohne Sachverstand“, betont Ingrid Höll. Spielregeln festlegen, Arbeitsgruppen bilden, sich abstimmen, das sei schon schwierig genug gewesen, aber eben auch Teil der Gruppenbildung. „Das ist wie in einem Familienverband. Familie ist auch anstrengend, aber schön“, erklärt Ingrid Höll.

Uta Kamleiter hat ebenfalls festgestellt, dass es bei 23 Parteien, so fruchtbar deren Zusammensetzung auch ist, Reibungspunkte gibt. „Es gibt auch mal Momente, in denen man sich missverstanden fühlt“, bekennt sie. Alles in allem freut sich auf das Zusammenleben, wie sie betont, „ich erlebe bei allen eine große Bereitschaft, sich drauf einzulassen“. Wie die Gruppe dann im Alltag funktionieren wird, das werde noch mal spannend. „Das wird die Stunde der Wahrheit. Die Flitterwochen sind vorbei.“