Haben Behörden versäumt, ein kulturhistorisch wichtiges Wohnhaus rechtzeitig unter Denkmalschutz zu stellen, sodass es abgerissen werden konnte? Der Architekturhistoriker Marc Hirschfell zumindest erhebt diesen Vorwurf.
Stuttgart-Nord - Unterhalb des Kriegsbergturms, dort, wo bis zum 4. Oktober an der Eduard-Pfeiffer-Straße das Haus Nummer 79 stand, ist jetzt nichts mehr. „Das Gebäude ist verkauft worden und war am Samstag, den 5. Oktober, um 10 Uhr weg“, sagt ein Anwohner. Marc Hirschfell mochte das zunächst nicht glauben. Nachdem er sich vom Wahrheitsgehalt der Information überzeugt hatte, reagiert er mit Unverständnis: Der Abrissbirne zum Opfer gefallen ist ein Wohnhaus, das 1936/37 nach einem Entwurf des Baumeisters Paul Schmitthenner (1884 -1972) errichtet worden war. Der Architekt gilt als Mitbegründer der „Stuttgarter Schule“, eines traditionellen Baustils, und als Gegner der Bauhausarchitektur. Unter Denkmalschutz stand das Gebäude nicht. Im Lauf des vergangenen Monats wollten die Denkmalschützer prüfen, ob es in die Liste der Kulturgüter gehört. Dafür ist es jetzt zu spät.
Ein „Meisterwerk“ mit vielen interessanten Details
„Dieses Haus, das so genannte Professor Köster-Haus, war etwas Besonderes. Der Physiker hat es bei Schmitthenner gleich zwei Mal in Auftrag gegeben. Die erste Version ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden“, sagt Hirschfell. Weil es schnell ging und kostengünstig war, wurde Nummer eins mit vorgefertigten Fachwerkwänden gebaut. Bei Nummer zwei von 1950 fehlen die, weil die Fachwerksysteme nicht mehr hergestellt wurden. Für das Köster-Haus verwendet habe Schmitthenner Dachziegel von Abbruchhäusern. „Die hatten Patina und stachen nicht durch helles Orange aus der Dachlandschaft heraus“, sagt Hirschfell.
Das Köster-Haus bezeichnet er als ein „Meisterwerk“ der Architektur mit interessanten Details auch im Inneren wie kunstvollen Handläufen und Fliesen aus Solnhofer Schiefer. Der Architekturhistoriker: „Schmitthenner hat gern Goethes Gartenhaus in Weimar zitiert, aber nie kopiert.“ Hirschfell hat auch ganz persönliche Erinnerungen an das Köster-Haus. Als junger Mann ist er von dem Professor empfangen worden, der ihm stolz sein Haus gezeigt hat. „Die Fassaden waren grandios in ihrem Spiel mit Asymmetrien. Das Tor zum Hof war ursprünglich in einem Blau-Grün, das wir Insider Schmitthenner-Blau nennen.“ Den Denkmalschützern macht er den Vorwurf, geschlafen zu haben: Denn obwohl bei der Unteren und Oberen Denkmalschutzbehörde bereits vor der Übergabe des Hauses angefragt worden ist, ob es unter Denkmalschutz gestellt werden muss, ist nichts passiert. „Wer schläft in dieser Stadt Stuttgart alles seinen gemütlichen Behördenschlaf?“, fragt Hirschfell. Die Untere Denkmalschutzbehörde, die bei der Stadt angesiedelt ist, weist jede Schuld zurück: „Der Abbruch war verfahrensrechtlich frei. Das Gebäude Eduard-Pfeiffer-Straße 79 ist nicht in der Liste der aktuellen Kulturdenkmale aufgeführt. Zuständig für die Erfassung ist das Landesamt für Denkmalpflege“, spielt die Pressestelle den Ball ans Land weiter. Die Obere Denkmalschutzbehörde lässt mitteilen, dass „die Prüfung der Denkmaleigenschaft“ durch das Landesamt für Denkmalpflege unmittelbar bevorstand, der Eigentümer darüber informiert war und der den Denkmalpflegern einen Prüfungstermin noch im Oktober in Aussicht gestellt hat. „Bedauerlicherweise ist der Eigentümer der geplanten Prüfung durch Abbruch des Hauses zuvor gekommen“, teilt das Amt mit.
Gebäude vor der Begutachtung abgerissen
Der Eigentümer sagt, dass er das Haus nicht gekauft hätte, wäre es geschützt gewesen, versichert aber, der Abriss sei ihm schwer gefallen. Allerdings seien die Bauschäden so enorm gewesen, dass laut seines Gutachters nichts mehr zu retten war. „Sogar Abdichtungen haben gefehlt, sodass Wasser in den Keller eingedrungen ist. Dadurch hat sich Schwarzschimmel gebildet“, sagt er. Für sich und seine Familie wolle er auf dem Gelände ein Einfamilienhaus bauen. Und die Aufregung, die verstehe er nicht – zumal Schmitthenner Nationalsozialist war. Ob der Abriss rechtliche Folgen haben könnte, prüft nun die Untere Denkmalschutzbehörde.