Die Mieten und Immobilienpreise in der Landeshauptstadt steigen rasant an. An der Spitze dieser Entwicklung stehen einzelne Projekte wie das Luxushochhaus Cloud No 7 im Europaviertel. In den obersten Etagen wurden Preise jenseits von 15 000 Euro pro Quadratmeter für die Eigentumswohnungen bezahlt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Geringverdiener müssen knapp 60 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden. Das ist nur eines der interessanten Details aus dem neuen Wohnungsmarktbericht der Landeshauptstadt.

Stuttgart - Die Mietbelastung steigt, Leerstand geht deutlich zurück, die Bevölkerung wächst, ohne dass entsprechend Neubau geschaffen wird. Jede Entwicklung für sich gilt als Indiz für Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Auf Stuttgart treffen all diese Kriterien zu. Das geht aus dem neuen Wohnungsmarktbericht hervor, den die Stadt am heutigen Freitag vorstellen will. Die Untersuchung liegt unserer Zeitung bereits vor. In ersten Reaktionen warnen Experten davor, die Probleme der Stadt einfach auszusitzen.

Aus dem Bericht geht eines klar hervor: Die Situation in Stuttgart hat sich in wenigen Jahren zugespitzt. Die Stadt legt das Jahr 2009 als Basis zugrunde. In der Rückschau wird der damalige Wohnungsmarkt als „eher ausgeglichen“ bezeichnet. Das machen die städtischen Fachleute an folgenden Kriterien fest: Damals seien die Angebotsmieten wie im Bundestrend um lediglich 0,8 Prozent gestiegen. Die Mietbelastung der Haushalte sei mit 18 Prozent über Bundesniveau „eher moderat“ gewesen. Auch der Leerstand habe sich auf einem unkritischen Niveau bewegt. Nach Ansicht der Verwaltung verschärft sich die Lage aber seit 2012. Zudem schreiben die städtischen Fachleute davon, dass „noch kein Referenzniveau für die größte Marktanspannung“ erreicht sei. Will heißen: Man geht davon aus, dass sich die Situation weiter verschärfen wird.

52 000 zusätzliche Einwohner

Einer der Gründe für diese Entwicklung ist der Bevölkerungszuwachs. „Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der in Stuttgart mit Hauptwohnung gemeldeten Einwohner um über 52 000 (plus 9,4 Prozent) auf 609 219 zum Jahresende 2016 erhöht“, heißt es in dem Bericht. Die Folge für den Wohnungsmarkt: „Seit 2010 hat die Bautätigkeit nicht mit dem starken Einwohnerzuwachs Schritt halten können.“ Doch aufgrund der begrenzten Fläche hat sich das Rathaus auf die reine Innenentwicklung, also den Verzicht auf große Neubaugebiete, festgelegt, „mit der Folge, dass nicht jeder Bedarf an Wohnraum und Wohnungen im Stadtgebiet befriedigt werden kann.“

Besonders interessant ist jedoch der Blick in die Zukunft, der ebenfalls Teil des Berichts ist. So schreiben die städtischen Fachleute, dass „in den ersten Jahren der Vorausberechnung ein noch sehr dynamisches Bevölkerungswachstum zu erwarten ist, welches sich mit der Zeit abschwächt. Ab 2025 wird ein jährlicher Bevölkerungsrückgang von 0,1 Prozent vorausberechnet.“

Im Klartext geht das Rathaus davon aus, dass der Zuzug nach Stuttgart in wenigen Jahren abbrechen wird. Diese Prognose halten Wissenschaftler und Immobilienexperten in Teilen sogar für gefährlich. Hanspeter Gondring, der Dekan des Studienzentrums Finanzwirtschaft der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart, erklärt: „Wenn politisch Verantwortliche darauf warten, dass der Markt die Probleme von alleine regelt, dann ist das sehr bedenklich.“ Jede moderne Stadt sei darum bemüht, auch durch mehr bezahlbaren Wohnraum junge, gut ausgebildete Menschen in die Städte zu locken, um damit die Unternehmen in ihrem Wettbewerb um junge Talente zu unterstützen, so Gondring. Doch in Stuttgart „gibt es weder eine Zielrichtung noch einen Handlungsansatz, die Politik lebt also von der Hand in den Mund.“

Zuzug wird nicht abreißen

Auch Robert Göötz, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, hält einen Einwohnerrückgang für unwahrscheinlich. Zudem sagt Göötz: „Der Generationenwechsel in den Unternehmen kommt. Das bedeutet, dass in der Region einige Zehntausend Menschen in den Ruhestand gehen, aber nicht wegziehen werden.“ Daher dürfe man weiterhin mit Zuwanderung rechnen, sagt Robert Göötz.

Rolf Gaßmann, der Chef des Mietervereins, erklärt auf Anfrage: „OB Fritz Kuhn von den Grünen und die Gemeinderatsmehrheit haben beschlossen, nur einen Spalt der Tür nach Stuttgart zu öffnen. Mindestens die Hälfte derjenigen, die hier Arbeit findet, soll draußen bleiben.“ Und weiter: „Nur Gutverdiener können sich einen Zuzug nach Stuttgart leisten, der Rest zieht je nach Einkommen 15 bis 40 Kilometer weit weg und nimmt lange Anfahrtswege in Kauf.“

Ulrich Wecker, der Geschäftsführer von Haus und Grund, betont: „Die Einschätzung der Stadt zur Zuwanderung von außen ist zu defensiv.“ Die Flucht vom Land in Richtung der wirtschaftsstarken Metropolen werde noch geraume Zeit anhalten, sagt Wecker.