Ein fein schimmerndes, hölzernes Einfamilienhaus auf der Stuttgarter Halbhöhe beeindruckt mit einem ausgeklügelten Farbkonzept – und mit Helligkeit und Licht.
Hohe Mauern, oft sieht man nur das Dach des Hauses, vielleicht noch Bäume eines vermutlich enorm großen Gartens. Daran spaziert der Stadtflaneur entlang, wenn er zum Beispiel auf dem Killesberg oder einer anderen Stuttgarter Halbhöhe unterwegs ist. Ein kleiner privater Park mitten in der Stadt. Das ist der vielleicht größte Luxus heute, wo kaum mehr freie Grundstücke zu finden sind.
Der Flaneur kommt dann auch an einem großzügigen Grundstück mit Garten und altem Baumbestand vorbei, der zu einer herrschaftlichen Villa gehörte. Und just hier ist noch ein Wohnhaus entstanden; die Bauherren bewohnten diese Villa davor, nun leben sie in dem Neubau. An der Kreuzung zweier Straßen gelegen, doch geschützt von den Eichen und Zedern steht es da, das mit elf auf elf Metern quadratische Holzhaus mit Walmdach.
Hommage an die Kaffeemühlenhäuser
Ein schöner Beitrag zum Thema Nachverdichtung ist diese zeitgemäße Version der sogenannten Kaffeemühlenhäuser aus dem vergangenen und vorvergangenen Jahrhundert, von denen es auf den Stuttgarter Halbhöhen einige gibt. Denn das Dach ist eben bündig und nicht leicht überstehend, die Regenrinne versteckt als innen liegende Rinne ausgeführt. Und, von Spaziergängern nicht einsehbar, auf der Südseite ist das Dach ausgeschnitten für eine großzügige Terrasse mit Ausblick.
Dass in dem Haus kunstfreundliche Menschen leben, verrät beim näheren Hinschauen schon die veredelte Holzfassade – eine sogenannte Boden-Deckel-Schalung. Die „Böden“ der Verschalung sind in unregelmäßiger Abfolge farbig beschichtet in Blau-, Schwarz- und Grautönen, die „Deckel“ in einem Silbergrau. Die Fassade erhält dadurch eine Tiefenwirkung und verändert sich beim Vorbeigehen und je nach Sonneneinfall.
Entworfen wurde das Haus von Novarc Architekten aus Wien. „Ein rustikales Holzhaus hätte nicht in die Gegend gepasst, daher haben wir dieses feine Kleid für das Gebäude gewählt“, sagt die Architektin Aline Schmid.
Noch deutlicher wird die Kunstfreude, sobald man das Haus betritt. Heiteres Hellblau bereitet den Boden für die Gemälde an den Wänden, die Skulpturen in den Räumen. Da der Sockel des Hauses aus Stahlbeton ist, der Rest in Massivholzbauweise errichtet worden ist, zeigt sich dies auch an den verschiedenen Belägen: farbig beschichteter Estrich im unteren Geschoss, Eichenholzparkett in den oberen Etagen.
Das Haus ist komplett barrierefrei, ein Aufzug führt hinauf bis unters Dach. Schöner gelangt man durchs Haus freilich zu Fuß über die Holztreppe, die als Raumerlebnis inszeniert vom untersten Geschoss hinauf bis zum Dachgeschoss führt. Sie ist auch Showtreppe für die Kunst, denn durch hohe Fenster ist es licht und hell.
Ausgeklügeltes Farbkonzept
Die ausgeklügelte Farbgebung der Fassade wird im Inneren durch die Möbeleinbauten aufgenommen. Die weiß lasierten Holzwände bieten den dezenten Hintergrund für Kunst und Möbel, darunter einige Designklassiker, sowie für die Bücherregale. Die sind passend zum Farbkonzept in einem kräftigen Blauton gehalten; und in einem kleinen Leseraum, in dem Belletristik Klassiker der Literatur untergebracht sind, ist ein dazu komplementäres kräftiges Orange die Farbe der Wahl bei den Einbauten.
„Wir hatten einen hervorragenden Schreiner“, sagt die Bauherrin, die sich auch von allen anderen Gewerken beim Hausbau hoch zufrieden zeigt, aber selbst gern anonym bleiben will. In nur zwei Wochen stand das ab dem Sockel in Holzbauweise errichtete Haus, das in einer Bauzeit von Herbst bis August im Folgejahr errichtet wurde, freilich noch vor der Coronazeit. „Im Werk wurden die Wände und Decken schon samt Fräsungen für Leitungen gefertigt und vor Ort wie ein Stecksystem zusammengebaut“, sagt die Architektin. Dadurch konnte die Bauzeit stark verkürzt werden.
„Nachhaltige Materialien zu verwenden, das war uns wichtig“, sagt die Bauherrin. „Wir haben viele Jahre Erfahrung in der Planung von Gebäuden im Niedrigstenergie-Standard, möglichst fossilfrei beheizt“, sagt Aline Schmid. „Das Haus ist in Niedrigstenergie-Standard mit einer sehr guten Gebäudehülle ausgeführt, mit Luft-Luft-Wärmepumpe, großen Fenstern in südwestlicher Richtung, um im Winter möglichst solare Energie einzufangen“.
Ökologie ist für die Bauherren und den Architekten sehr wichtig – neben den architektonischen Aspekten. „Wir hatten viele Freiheiten, und die Bauherren waren mit unseren Vorschlägen einverstanden“, sagt die Architektin. Die Bauherrin betont: „Wichtig war mir die Offenheit und Helligkeit.“ Vorgaben gab es nur diese – die Kunstsammlung der Bauherren muss zu ihrem Recht kommen, die Bauherren wünschten sich dazu offene Räume und viele Ausblicke in alle Richtungen.
Die alten Bäume blieben erhalten
„Es ging uns natürlich nicht darum, dass das Bild zum Sofa passt“, sagt die Bauherrin, „sondern darum, spannende Bezüge herzustellen. Ein Raum darf nie zu harmonisch wirken.“ Offene Räume wechseln sich ab mit Rückzugsorten zum Lesen, Denken. Im ersten Stock befindet sich der Ess- und Wohnbereich, von hier geht es auch hinaus auf die Terrasse und den Garten. Weiter oben sind die Rückzugsräume, Schlaf- und Gästezimmer sowie die Bäder untergebracht.
Eine Herausforderung, sagt die Architektin, sei das rund 1,5 Meter über Straßenniveau liegende Grundstück gewesen. Die geschützten Bäume wollten erhalten bleiben, ebenso die alte Einfriedungsmauer, und der Zugang sollte barrierefrei erfolgen können, dazu steht das Haus an einer Kreuzung – ein dynamischer und exponierter Bauplatz.
Der Holzbau setzt leicht verdreht um sieben Grad auf dem Sockel auf. „Seine innere Organisation richtet sich aber nach der Geometrie des Sockels, das ergibt interessante Raumzuschnitte“, sagt die Architektin, „und das zeichnet sich auch an den Fassaden ab. Die schräg verlaufenden Traufen unterstützen den skulpturalen Charakter des Gebäudes.“
Nach Jahrzehnten in einem alten schönen Gebäude in einen Neubau zu ziehen, damit zugleich für Nachverdichtung – freilich auf hohem Niveau – mitten in der Stadt zu sorgen, haben die Bauherren nicht bereut. Und das farblich schimmernde Holzhaus ist auch für Stadtflaneure von außen schon ein ungewöhnlicher feiner Anblick.