Demonstration gegen Leerstand im Oktober 2015 – auf dem Areal am Eugensplatz werden inzwischen Wohnungen gebaut. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Verwaltung zieht kommende Woche eine erste Bilanz des umstrittenen Zweckentfremdungsgesetzes. Kritik der Eigentümer reißt nicht ab. Das Rathaus verweist auf Erfolge im Kampf gegen Leerstand.

Stuttgart - Die Erwartungen waren hoch, die Diskussionen hitzig. OB Fritz Kuhn (Grüne) hatte das Potenzial des Zweckentfremdungsverbots mit 1000 bis 3000 Wohnungen angegeben. Der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) hatte erklärt, das Gesetz gegen grundlosen Leerstand lohne sich bereits, wenn „ein paar Hundert Einheiten“ aktiviert werden könnten. Seit Januar 2016 sind nun 15 Wohnungen hinzugekommen. Viel wichtiger aber: 45 000 Quadratmeter Wohnraum wurden bewahrt. Das entspricht rund 580 durchschnittlichen Wohnungen.

Als Kuhn im September 2015 erklärte, er wolle das Zweckentfremdungsverbot einführen, wurde ihm vorgeworfen, die Eigentumsrechte aufzuweichen. „Enteignung light“ hatte CDU-Fraktionschef Alexander Kotz das Gesetz genannt, mit dem unbegründeter Leerstand von Wohnungen geahndet werden kann. Zudem muss die Umwandlung von Wohnraum in Büros oder Verkaufsräume genehmigt werden.

15 Wohnungen zusätzlich auf den Markt gebracht

Am kommenden Dienstag will die Verwaltung im Technischen Ausschuss des Gemeinderats nun eine erste Bilanz veröffentlichen. Unserer Zeitung liegen die Zahlen bereits vor. Insgesamt wurden demnach rund 700 Verfahren eingeleitet, 60 Prozent davon sind inzwischen abgeschlossen. Sieben Personen drohen Bußgeldverfahren. Dabei handelt es sich dem Vernehmen nach um Immobilieneigentümer, die sich entgegen der Gesetzeslage weigern, leer stehenden Wohnraum zu vermieten. Die Geldstrafen können bis zu 50 000 Euro betragen. Insgesamt sind den Zahlen der Stadt zufolge 15 Wohneinheiten wieder dem Markt zugeführt worden, die zuvor entweder leer standen oder illegal als Ferienwohnung oder Gewerbefläche genutzt wurden – also im Sinne des Gesetzes zweckentfremdet worden waren.

Vergleicht man diese Zahlen mit den von Kuhn und Föll ausgegebenen Zielen, klingt die Bilanz zunächst ziemlich ernüchternd. Stadtsprecher Sven Matis verweist auf Anfrage jedoch auf eine weitere Ziffer. 45 000 Quadratmeter Wohnraum konnten vor einer Zweckentfremdung bewahrt werden, heißt es in der Bilanz der Stadt. In diesen Fällen wurde eine geplante Zweckentfremdung – etwa ein Abriss oder eine andere Nutzung als Wohnen – verhindert. „Legt man die durchschnittliche Wohnungsgröße von 77 Quadratmetern zugrunde, käme man auf rund 580 Einheiten, die dem Markt nicht verloren gegangen sind“, so Matis. Offiziell verweist die Stadt auf die Vorstellung der Zahlen in der kommenden Woche. Nur so viel: „Wir wollen Wohnungen schaffen, erhalten oder wiedergewinnen. Auf dem angespannten Stuttgarter Wohnungsmarkt zählt jede einzelne Wohnung“, erklärt Matis auf Anfrage.

Haus und Grund sieht Eingriff ins Eigentumsrecht

Kritik am Zweckentfremdungsverbot wurde in erster Linie vom bürgerlichen Lager und vonseiten der Immobilieneigentümer geäußert. Ulrich Wecker, der Geschäftsführer von Haus und Grund, erklärt: „Die 15 Wohnungen zeigen, es wird viel Lärm um fast nichts gemacht.“ Das Ergebnis rechtfertige auf keinen Fall den erheblichen Eingriff in die Eigentumsrechte der Immobilienbesitzer, sagt Ulrich Wecker weiter.

Rolf Gaßmann, der Chef des Mietervereins, fällt ein anderes Urteil: „Angesichts dessen, dass die Mitarbeiter im städtischen Baurechtsamt erst am 1. November 2016 ihre Arbeit begonnen haben, und dass es nur zwei sind, finde ich das vorläufige Ergebnis okay.“ Gaßmann verweist aber darauf, dass das Verbot in anderen Großstädten mit deutlich mehr Personal durchgesetzt werde als in Stuttgart, zum Beispiel in München. In der bayerischen Metropole sind nach Angaben des dortigen Sozialreferats 38 Mitarbeiter damit beschäftigt, das Zweckentfremdungsverbot durchzusetzen. Gaßmann fordert: „Zum aktiven Aufspüren von Leerstand werden die beiden Stellen sicher nicht ausreichen.“ Und: „Erst wenn Wohnungseigentümer mit dem aktiven Aufspüren des Amts rechnen müssen, wird das Verbot eine noch stärker präventive Wirkung zeigen.“

Hintergrund zum Zweckentfremdungsverbot

Rechtslage „Gemeinden mit Wohnraummangel können Maßnahmen nach diesem Gesetz treffen“, heißt es im ersten Paragrafen des sogenannten Zweckentfremdungsverbots. Der Landtag hat das Gesetz im Dezember 2013 beschlossen. In Stuttgart gilt das Verbot seit Januar 2016. Die Satzung soll vorerst für fünf Jahre in Kraft bleiben.

Inhalt Gilt das Verbot, darf Wohnraum ausschließlich mit Genehmigung der Stadt für andere Zwecke genutzt werden. Das wird als Zweckentfremdung bezeichnet. In dieser Definition sind der Abriss von Wohnungen und unbegründeter Leerstand, der länger als sechs Monate dauert, enthalten. Auch die Umwandlung von Wohnungen in Verkaufsräume oder in Büroflächen sowie die ausschließliche Nutzung als Ferienwohnung ohne Genehmigung sind im Zweckentfremdungsverbot inbegriffen.

Bußgeld Wer gegen das Gesetz verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro bestraft werden kann.