Charakterstark, wohlkomponiert: das Haus Engel auf der Schwäbischen Alb. Die Architekten haben es harmonisch in ein aufsteigendes Wiesengrundstück eingebettet. Foto: Roland Halbe

Ein baumbestandenes Anwesen und eine aus den USA importierte Vorliebe: Das Stuttgarter Architekturbüro Lederer Ragnarsdóttir Oei hat aus diesen Gegebenheiten ein wohlkomponiertes Familienidyll geschaffen.

Schwäbische Alb - Laue Barbecue-Abende am Pool: In den Jahren, die die Bauherrenfamilie in den USA verbracht hatte, fand sie schnell Gefallen an dieser Vorliebe vieler Amerikaner. Ein Deck mit Schwimmbad sollte das eigene Haus im Heimatort des Bauherren auf der Schwäbischen Alb haben, mit viel Platz für ausgelassene Grillfeste und sommerliches Badevergnügen. Ursprünglich lautete ihr Bauvorhaben: Umbau. Denn an die großelterliche Villa auf dem Grundstück am Ortsrand knüpfte der Bauherr viele Kindheitserinnerungen. Der Architekturfotograf Roland Halbe schlug ihm und seiner Frau vor, das Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) aus Stuttgart für das Renovierungsprojekt zurate zu ziehen; weil sie dessen Architektur schätzen, stimmten sie zu.

 

Als in den Diskussionen zwischen Auftraggeber und Planern immer neue Ideen aufkamen, machte sich Arno Lederer daran, einen Neubau zu entwerfen. „Ein Umbau wäre ein arger Kompromiss gewesen“, so der Architekt. Sein Neubau-Entwurf kam so gut an, dass sich die Bauherren 2017 für die ungeplante Zweitlösung entschieden.

Ein Haus mit zwei Gesichtern

Mit dem Haustraum, den sie nun bewohnt, ist die fünfköpfige Familie rundum glücklich. Freilich fand der Architekt traumhafte Bedingungen vor: ein ansteigendes, parkähnliches Wiesenstück, dessen Nordflanke ein bewaldeter Hang säumt. Obwohl deutlich mächtiger als der Altbau aus den 1930ern, liegt der schmale, lang gestreckte Dreigeschosser nun ebenso harmonisch eingebettet in dem mehr als 7100 Quadratmeter großen Grundstück, dessen Trümpfe die Architektur gekonnt ausreizt. „Wir haben das Haus in diese Wiese mit dem herrlichen alten Baumbestand hineinfallen lassen, sodass eine öffentliche und eine private Seite entsteht“, so Arno Lederer.

Von Süden führt die Zufahrt in einem eleganten Bogen zum Haus Engel; zu Fuß erreicht man es auf kurzem Weg über flache Stufen. Eine Treppe führt vom Sockel mit Garage und Nebenräumen zum Eingang. Der ist nicht etwa mittig positioniert, sondern am westlichen Rand.

Herrschaftlichkeitsgehabe kommt so erst gar nicht auf. Dazu trägt auch der die Treppe überragende Balkon bei, der schwellenlos mit dem Hauszugang verbunden ist – der Ausguck ist ein Lieblingsplatz der Familie.

Schlicht und doch expressiv

Das Haus habe etwas von einer Burg, sagt die Bauherrin. Diese Assoziation drängt sich auf, was wohl mit der erhöhten Lage, aber auch mit der Außenhaut zu tun hat. Die Bauherren haben die Diözesankurie in Rottenburg von LRO gesehen und waren von deren geschlämmten Ziegelfassade begeistert. Die Rottenburger Ziegelmischung war aber nicht mehr zu haben, sodass die Architekten lange experimentieren mussten, um dem Vorbild nahe zu kommen.

Die Mühe hat sich gelohnt – das Ergebnis, das auch auf Altziegel der Bestandsvilla zurückgreift, besticht durch seine sinnliche Haptik. Das Haus ist von der Kubatur her ein schlichter Riegel. Die Architekten formen ihn aber punktuell expressiv aus und verleihen ihm so Charakterstärke. Auf der östlichen Schmalseite kragt etwa ein Erker spitz und kühn über der Garage aus; das Treppenhaus setzt sich in einer ovalen Ausbuchtung ab.

Kochen, Essen, Wohnen sind im Herz des Hauses auf Eingangsniveau zusammengefügt. Die Reize der Umgebung können sich über die mit raumhohen Glasschiebetüren verglasten Flanken in den Raum ergießen: Nordwärts fällt der Blick auf Pool und Waldhang, südwärts auf Wiese und Alb-Silhouette. Eine Bibliothek und ein Gäste-Apartment schließen sich an.

Im obersten Geschoss bilden ein schiefergefliestes Bad mit Sauna und einer frei in den Raum gestellten Badewanne sowie das Elternschlafzimmer samt Ankleide eine Rückzugseinheit, die in eine Raumspange mit den Zimmern für die Kinder übergeht.

Brettgeschalter Sichtbeton, gekalkte Eichendielen

Oberlichter, Bullaugenfenster, eine unterleuchtete Holzreling im luftig-schlichten Treppenhaus: Formensprache und Materialien lassen die Handschrift von LRO klar erkennen. Das gilt auch für die brettgeschalten Sichtbetondecken, die, in Einklang mit dem gekalkten Eichenboden, einen vitalen Kontrapunkt zum von ausgesuchten Kunstwerken geprägten Ambiente setzen.

Der souveräne Umgang mit dem Raum, das Gespür für den Genius Loci, die Liebe zum Detail machen das Haus zu einer Architekturschönheit. Auf der Nordseite hat, vor Blicken geschützt, der ersehnte Pool samt Gartenpavillon seinen Platz. Bald ist wieder Barbecue-Zeit.