Eine Gruppe engagierter Esslinger setzt sich seit Jahren für ein alternatives Wohnprojekt im Stadtteil Hohenkreuz ein. Bald wird der Bauantrag eingereicht, nächstes Jahr soll dann der Bau beginnen – sofern noch eine große Hürde genommen werden kann.
Ihre Vision wird langsam Wirklichkeit. Vor etwa sieben Jahren haben Irene und Marco Gölz zusammen mit einigen Mitstreitern eine Initiative für alternatives Wohnen in Esslingen ins Leben gerufen. Jetzt steht ihr erstes Wohnbauprojekt im Stadtteil Hohenkreuz in den Startlöchern. Wenn alles gut geht, soll im kommenden Jahr mit den Bauarbeiten begonnen werden – doch eine große Hürde gilt es zuvor noch zu nehmen. Denn noch fehlt das nötige Eigenkapital.
Solidarisches, bezahlbares und gemeinschaftliches Wohnen in Hohenkreuz ermöglichen: Das ist das Ziel der Initiative Alternatives Wohnen in Esslingen (Alwo). Dafür will die Gruppe aus 25 Erwachsenen und zehn Kindern, die sich in einem Verein organisiert hat, vier Häuser im künftigen Tobias-Mayer-Quartier bauen. Diese sollen sich den üblichen Mechanismen des Wohnungsmarktes entziehen, zu denen laut Irene und Marco Gölz unter anderem teils massive Preissteigerungen aufgrund von Eigentümerwechseln oder auch die stetig wachsende Wohnfläche pro Person zählen.
Ob die Initiatoren später in den neuen Häusern wohnen, ist unklar
Irene Gölz und ihr Neffe Marco sind voll bei der Sache. Pro Woche sei er umgerechnet etwa zwei volle Arbeitstage mit dem Projekt beschäftigt, sagt Marco Gölz, seine Tante einen Arbeitstag. Dabei ist noch nicht einmal klar, ob sie überhaupt in einem der vier Neubauten wohnen werden. „Niemand aus unserer Gruppe hat die Gewissheit, später in den Häusern zu leben“, stellt Marco Gölz klar. „Wir sehen uns als engagierte Bürgerschaft, die an einem Gesellschaftsmodell arbeitet, das wir als erstrebenswert erachten“, erklärt er. Schließlich sei Wohnen die Grundlage für alles im Leben – es dürfe nicht sein, dass sich das keiner mehr leisten könne. „Es geht darum, zu zeigen, dass man Mietwohnen anders gestalten muss“, betont seine Tante.
Ein Kernelement des Projekts ist der Beitritt zum Mietshäuser-Syndikat, einem deutschlandweiten Zusammenschluss selbstverwalteter Mietshäuser, zu dem laut Irene und Marco Gölz inzwischen rund 200 Hausprojekte gehören. Ziel des Syndikats sei es, Wohnraum als Gemeinschaftseigentum zu schaffen und so dem Markt zu entziehen. Damit sei der Wohnraum nicht von Abriss, Umnutzung, Hausverkauf oder Mietsteigerungen betroffen. Es sei denn, die Hausgemeinschaft entscheide sich basisdemokratisch aus bestimmten Gründen für eine Anhebung der Mieten – etwa, weil in die Instandhaltung investiert werden muss.
Allerdings braucht die Initiative jetzt noch Geld, um das Bauprojekt zu finanzieren. Die Banken hätten bereits Kredite in Höhe von zwölf Millionen Euro zugesagt und man habe alle Fördermöglichkeiten ausgeschöpft, so Marco Gölz. „Aber wir brauchen rund drei Millionen Euro Eigenkapital“ – und dafür gebe es keine Fördermittel. Deshalb setze man nun auf sogenannte Direktkredite. Dabei könnten Privatpersonen dem Projekt ohne Beteiligung einer Bank für eine bestimmte Zeit Geld leihen, was mit einem geringen Zinssatz vergütet werde.
Direktkredite sollen Eigenkapital-Anteil decken
Die Initiative wirtschafte mit dem Geld und investiere es in das alternative Wohnprojekt, erklärt Marco Gölz. Die künftigen Mieteinnahmen sollen dann – abgesehen von der Deckung der Hausbetriebskosten – ausschließlich in Zins und Tilgung der Kredite fließen. Bislang unterstützten rund 100 Personen das Projekt mit Direktkrediten, berichtet Gölz. „Wir arbeiten an der ersten Million, aber es ist noch ein weiter Weg bis zu den drei Millionen Euro Eigenkapital.“ Er hoffe, dass noch viele weitere Menschen ihr Geld in dem alternativen Wohnprojekt anlegen wollen. Denn: „Wir sehen das Projekt und dessen Finanzierung als gesellschaftliche Verantwortung.“
Wenn alles klappt wie geplant, soll im April der Bauantrag eingereicht und Anfang 2026 mit dem Bau begonnen werden. Weil das innovative Projekt Teil der Internationalen Bauausstellung ist, sollte es bis 2027 fertig sein. Dann sollen auf dem Gelände des Tobias-Mayer-Quartiers in Esslingen-Hohenkreuz vier miteinander verbundene Häuser für rund 70 Bewohnerinnen und Bewohner stehen. In den drei- bis fünfgeschossigen Gebäuden sollen Wohnungen verschiedenster Größen untergebracht werden – vom Mikro-Appartement mit knapp 40 Quadratmetern bis zu rund 100 Quadratmeter großen Mehrzimmer-Einheiten.
Der Quadratmeter-Preis soll in allen Wohnungen gleich sein. Zudem hat jede Einzelperson nur Anspruch auf maximal 45 Quadratmeter Wohnfläche, jede zusätzliche Person pro Wohnung darf weitere 15 Quadratmeter beanspruchen. Damit will man verhindern, dass zu viel Wohnfläche von zu wenigen Personen genutzt wird: „Das gehört schließlich auch zur Absurdität des Wohnungsmarktes“, findet Irene Gölz.
Das Projekt ist Teil einer groß angelegten Neugestaltung des Areals zwischen Wäldenbronner Straße, Tobias-Mayer-Straße, Am Schönen Rain sowie den Bauflächen östlich der heutigen Palmstraße. Hier entwickelt die Esslinger Wohnungsbau GmbH (EWB) zusammen mit der Baugenossenschaft Esslingen in den kommenden Jahren das Tobias-Mayer-Quartier als Vorzeige-Viertel für zeitgemäßes Wohnen.
Gemeinschaftliche Nutzung von Flächen und Fahrzeugen
Gemeinschaftsflächen
Statt exklusiven Lofts sollen auf den Dächern der vier Kettenhäuser Dachterrassen entstehen, die von allen Bewohnern genutzt werden dürfen. Zudem soll vor den Neubauten ein sogenanntes Gartenfeld angelegt werden, das gemeinschaftlich bewirtschaftet werden soll.
Mobilität
Nicht nur das Wohnen, auch die Mobilität soll neu gedacht werden. So dürfen Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnprojekts kein Auto besitzen. Schließlich werden die Häuser ohne Tiefgarage gebaut und man will auf Carsharing und alternative Verkehrsmittel setzen.
Soziales
Die Hälfte der Wohnungen sollen günstige Sozialwohnungen sein. Zudem will man notwendige Entscheidungen in dem Wohnprojekt basisdemokratisch treffen. Allerdings solle nicht so lange geredet werden, bis alle für etwas sind, sondern nur so lange, bis keiner mehr dagegen ist, erklärt Mitinitiator Marco Gölz.