Altersgerecht wohnen ist sinnvoll – aber der Umzug oft teuer. Foto: dpa/Rainer Jensen

Viele Familien in der Region Stuttgart suchen größere Wohnungen oder gar ein Haus. Ältere Menschen leben dagegen häufig in zu groß gewordenen Immobilien. Dahinter steckt nicht nur Bequemlichkeit.

Ein Zimmer für jedes Kind, vielleicht noch ein kleines Bürozimmer, ein geräumiges Wohnzimmer und kurze Wege zur Kita, zum Supermarkt, zur Kultur und zur Stammkneipe ums Eck. Das ist die Traumvorstellung für viele Familien. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Laut einer Studie des Deutschen Instituts der Wirtschaft (IW) wohnte 2020 ein Drittel aller Familien in Großstädten auf zu engem Raum. Freiwillig tun das nur wenige. Größere und bezahlbare Wohnungen sind aber Mangelware.

 

Dabei gibt es diese großen Wohnungen. Sie werden laut der IW-Studie aber oft von Senioren bewohnt. Könnten die Jungen mit den Alten nicht die Wohnungen tauschen? Genau das hat im vorigen Jahr die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Caren Lay, vorgeschlagen – als Option auf einen Wohnungstausch im Mietrecht. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Christina-Johanne Schröder brachte 2023 in der „Bild“ Steuererleichterungen für Senioren ins Spiel, „die ihr Eigenheim zu einem fairen Mietzins an eine Familie vermieten“ und dafür in eine neue Mietwohnung umziehen – weil „manche Menschen mehr Wohnraum haben, als sie brauchen, und umgekehrt“.

Senioren haben auch in der Region Stuttgart viel Platz

Sowohl der Sozialverband als auch die Eigentümervertretung Haus und Grund fanden die Idee gut. Ein Wohnungstausch wäre auch in der Region Stuttgart in sehr vielen Fällen sinnvoll. Menschen über 65 leben hier häufig alleine oder zu zweit in großen Wohnungen. Die durchschnittliche Wohnfläche liegt bei 92 Quadratmetern, in Stuttgart ist es etwas weniger (80 qm), in dörflichen Regionen etwas mehr (103 qm).

Ein starkes Drittel der Familien mit zwei Kindern lebt auf weniger Fläche – und mit weniger Räumen. Senioren bewohnen in der Region Stuttgart typischerweise vier oder fünf Zimmer. In vielen Fällen bedeutet das: Einige Zimmer sind ungenutzt oder stehen sogar leer. Senioren verfügen also über jenen teils nicht wirklich benötigten Wohnraum, über den sich viele Familien in der Region freuen würden. Trotzdem ziehen die Älteren nicht um. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass sie schlicht gerne in ihrer Wohnung bleiben, weil sie so schön ist.

So teuer ist Umziehen

„Ein Umzug in eine kleinere Wohnung ist oft teurer als die eigene zu große Wohnung“, sagt Verena Lihs, Referentin beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Familien geht es bei der Suche nach einer neuen Wohnung ähnlich.

Wie teuer ein Umzug ist, zeigt der Vergleich von Bestands- und Angebotsmieten. Laut Zensus zahlten Mieter Mitte 2022 in Stuttgart im Schnitt 10,39 Euro Nettokaltmiete je Quadratmeter. Laut Daten des Dienstleisters Value, der die Angebotsmieten von Internetportalen wie Immoscout24 und Immowelt auswertet, kosten neu gemietete Wohnungen rund vier Euro pro Quadratmeter mehr – das sind etwa 40 Prozent.

Wer für seine 100-Quadratmeter-Wohnung bislang 1000 Euro Miete im Monat bezahlt, müsste nach einem Umzug also mit 1400 Euro rechnen. Soll die neue Wohnung gleich groß sein wie die bisherige, müsste man schon sehr weit aus der Stadt rausziehen – Value blickt dabei in den Kreis Göppingen oder an den äußeren Rand des Rems-Murr-Kreises. Das hätte aber einen Nachteil: Die Wege wären dann nicht mehr so kurz wie in Stuttgart, und Freunde und Bekannte würden auch weit weg wohnen.

Für Menschen über 65 wäre der Unterschied beim Umzug sogar noch größer. In der Region Stuttgart wohnen Senioren durchschnittlich 17 Jahre lang in derselben Wohnung, ihre Nettokaltmiete liegt in Stuttgart bei rund 8,50 Euro pro Quadratmeter. Entsprechend bleiben sie schon aus finanziellen Gründen in der Wohnung – so niedrige Mieten gibt es aktuell fast nirgendwo in der Region Stuttgart.

Es gibt nicht genug altersgerechte Wohnungen

Expertinnen wie Verena Lihs unterstützen ein lebenslanges, selbstständiges Wohnen in der eigenen Wohnung. Viele Einheiten seien aber nicht altersgerecht: Ins Schlafzimmer kommt man nur über eine Treppe, für einen Rollator ist zu wenig Platz, der Einstieg in die Dusche ist zu hoch. Die Lücke zwischen dem Angebot und dem Bedarf sei gewaltig und werde vermutlich in Zukunft durch den demografischen Wandel weiter wachsen, prognostiziert Verena Lihs. Und: „Wenn barrierefreie Wohnungen gebaut werden, bedeutet das noch nicht, dass dann auch die Leute einziehen, die darauf angewiesen sind.“

Familien suchen größere Wohnungen, Senioren bewohnen sie – das Problem und seine Gründe sind bekannt, nach einer allgemein anerkannten und wirksamen Lösung wird noch gesucht. Die Idee der Grünen-Politikerin Christina-Johanne Schröder mit der Steuererleichterung jedenfalls wurde auf „Focus Online“ als „explosiver Wohnvorschlag“ bezeichnet – samt Verweis auf „über 2000 Kommentare“, deren Verfasser die Idee mehrheitlich ablehnten.

Verschiedene Lösungsansätze

Wohnungstausch
Beim Wohnungstausch tauschen zwei Parteien, also zum Beispiel Senioren und Familien, ihre Wohnung. So wird Wohnraum effizient genutzt und die Wohnsituation kann an veränderte Lebensumstände angepasst werden. Die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) bietet beispielsweise eine sogenannte Wohnungstauschbörse an.

Gemeinschaftliche Wohnprojekte
Gemeinschaftliche Wohnprojekte oder auch Mehrgenerationenwohnen zielen darauf ab, dass Menschen unterschiedlicher Altersgruppen zusammengebracht werden. Sie wohnen in unterschiedlichen Wohneinheiten in einem gemeinsamen Gebäudekomplex oder Quartier. Dies fördert den generationenübergreifenden Austausch und die gegenseitige Unterstützung. Gemeinschaftsflächen können geteilt werden, dennoch hat jeder seinen eigenen Raum. Die Fläche wird so optimal genutzt. Zudem können beispielsweise innerhalb des Wohnprojektes je nach Bedarf Wohnungen getauscht werden.

Flexibler Wohnungsbau
Für den Neubau von Wohnungen und die kommenden Herausforderungen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist flexibler Wohnungsbau eine Möglichkeit. Das Projekt „ready“ des Instituts Wohnen und Entwerfen der Fakultät Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart zielt darauf ab, Neubau so zu planen, dass er später je nach veränderter Lebenssituation flexibel angepasst werden kann.