Nach dem Abriss des IBM-Labors in Böblingen entsteht dort eine der größten Fertigbau-Siedlungen Deutschlands. Die Pläne für die Holzbauten sind schon überraschend konkret.
Eine bedeutende Ära Böblinger Industriegeschichte nähert sich ihrem endgültigen Ende: Seit 65 Jahren befindet sich auf dem Rauhen Kapf zwischen Böblingen und Schönaich eines der größten Entwicklungslabore der IBM außerhalb der USA. Eigentlich hätten dort schon 2023 die Lichter ausgehen sollen. Doch durch die Malaise des Hightech-Konzerns am Verwaltungssitz in Ehningen, zogen Management und Vertrieb kurzerhand gemeinsam in das Böblinger Labor. Ein Kuriosum, dessen Tage gezählt sind: Derzeit werden dort fleißig die Umzugskisten gepackt.
Aus internen Quellen ist zu erfahren, dass die deutsche IBM nun Stück für Stück wie geplant nach Ehningen umsiedelt. Ein Prozess, der bis zum 10. November abgeschlossen sein soll: Das ist der erste offizielle Arbeitstag im neuen Technology-Campus in Ehningen, wie jetzt zu erfahren ist. Am 19. November feiert man im neuen Domizil dann offiziell Eröffnung, angekündigt ist Bundesdigitalminister Karsten Wildberger. Bei aller Wehmut über den IBM-Wegzug überwiegt auf dem Böblinger Rathaus indes die Vorfreude auf das, was auf dem Rauhen Kapf entstehen soll.
Bebauungsplan so gut wie fertig
„Es arbeiten alle Beteiligten mit großem Engagement an diesem Projekt“, bestätigt der städtische Pressesprecher Fabian Strauch. Das Bebauungsplanverfahren sei in den letzten Zügen: Derzeit würden die Anregungen, die zu den Entwürfen eingingen, geprüft und die Planung insgesamt weiterentwickelt. Außerdem fänden intensive Abstimmungen mit der Grundstücksgesellschaft Greenpark GmbH statt, heißt es aus dem Rathaus.
Der aus Böblingen stammende Greenpark-Investor Norbert Ketterer bestätigt die enge Zusammenarbeit: „Die finalen Abstimmungen über den Bebauungsplan stehen kurz bevor.“ Über die Greenpark befindet sich zum einen das Grundstück in Ketterers Besitz. Zum anderen plant er, darauf eine der größten Fertigbausiedlungen Deutschlands in Holz-Hybrid-Bauweise zu errichten. Dahinter steht das von Ketterer gegründete Unternehmen Nokera mit Sitz in Magdeburg: Dort werden die Gebäudeteile für die drei-, vier- und fünfgeschossigen Gebäude vorgefertigt und vor Ort in kurzer Zeit aufgebaut.
Nach dem Auszug der IBM sollen die geschichtsträchtigen Laborgebäude dann relativ schnell dem Erdboden gleichgemacht werden: „Nach dem Winter 2025/26 werden wir mit dem Abbruch beginnen“, sagt Ketterer. Der Abriss habe eine große Dimension und werde entsprechend Zeit in Anspruch nehmen. Als erstes stünden dann mehrmonatige Erschließungs- und Tiefbauarbeiten an. Schließlich müssen Gräben für die Kanalisation, Straßen, Versorgungsleitungen, Parks und Außenanlagen errichtet werden.
„Gigantisches Lego“
„Man muss sich das Prinzip vorstellen wie gigantisches Lego, aus dem sich verschiedene Gebäude erstellen lassen“, sagt er. Nicht alle Häuser seien identisch, es gebe Unterschiede bei Fassaden, Balkonen und natürlich der Farbe. „Die Häuser in Böblingen sind zum Teil in einem hellen Farbton gehalten, zum Teil in einem skandinavisch angehauchten Rot.“ Bei der Ausstattung im Inneren allerdings gleichen sich die Wohn-Module deutlich stärker.
Rund 1000 Wohnungen will Ketterer dort in relativ kurzer Zeit hochziehen. „Wir planen, dass zwischen 2500 und 3000 Menschen dort wohnen werden“, sagt er. Zum Vergleich: Auf dem Flugfeld geht man derzeit von rund 3400 Bewohnern aus. Damit wäre die neue Siedlung wohl die größte Holz-Fertigbausiedlung Deutschlands. Und: Aufgrund der Fertigbauweise dürften die Wohnungen relativ schnell bezugsfertig sein und der neue Stadtteil aufgesiedelt werden. Über die Hälfte der Wohnungen solle als bezahlbarer Wohnraum eingestuft sein.
Von Beginn an gewachsene Bäume
Hinzu kommen Kindergarten, Grundschule sowie ein Nahversorger für Böblingens jüngsten Stadtteil. Damit die Siedlung nicht den Eindruck einer Trabantenstadt macht, habe man großen Wert auf die Gestaltung der Außenanlagen gelegt, sagt Norbert Ketterer. So sollen von Beginn an gewachsene Bäume eingepflanzt sowie Spielplätze und Möblierungen gebaut werden. Außerdem verfügen die Mehrfamilienhäuser über Solarzellen auf dem Dach und Batteriespeicher im Keller.
Die Gebäude seien nach KfW-40-Standard ausgeführt und mit dem Qualitätssiegel für nachhaltige Gebäude versehen, das die gesamte Lebensdauer betrachtet. Einen Zeitpunkt für die Eröffnung nennt Ketterer ebenfalls schon: „Bis Jahresende 2026 sollen die ersten Häuser stehen.“ Nur ein Name für den neuen Stadtteil, der sei noch nicht gefunden.
Wohnungen vom Fließband
Nokera
Die Nokera AG wurde 2021 von Norbert Ketterer im Schweizer Rüschlikon gegründet. Ziel des Unternehmens ist, Geschosswohnungen aus Holz seriell zu bauen. Ketterer ist in Böblingen geboren und seit dreißig Jahren in der Immobilienbranche tätig.
Neuer Stadtteil
Eines der ersten Nokera-Projekte entsteht in Böblingen auf dem Gelände des IBM-Labors. Dort sind Wohnungen für rund 2500 Menschen geplant.
Serielles Bauen
Experten sehen in der digitalisierten Fließbandproduktion von Wohngebäuden, dem seriellen Bauen, eine Antwort auf die Probleme am deutschen Wohnungsmarkt. Dieser hinkt den politischen Zielen bisher hinterher.